Rechtsextreme bei einer Demonstration
Vor allem die Straftaten im rechten Spektrum haben der Statistik zufolge zugenommen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Fredrik von Erichsen

Krieg, Corona und Rechtsextremismus So viele politisch motivierte Straftaten wie noch nie

09. Mai 2023, 21:11 Uhr

Die politisch motivierte Kriminalität hat in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht. Verantwortlich dafür sind viele Fälle, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und mit dem Ukraine-Krieg stehen. Auch die Zahl der Gewalttaten im rechten Spektrum nahm erneut zu. Politisch links motivierte Kriminalität hingegen ging zurück.

Nikta Vahid-Moghtada
Bildrechte: MDR/Markus Geuther

Zum vierten Mal in Folge hat die Zahl politisch motivierter Straftaten in Deutschland zugenommen. Wie Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt am Dienstag in der Berlin mitteilten, wurden 2022 insgesamt 58.916 Straftaten registriert. Das entspricht einer Zunahme um sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr – die Zahlen haben damit einen neuen Höchststand erreicht.

Ein wesentlicher Grund war die Zunahme von Straftaten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg.

Faeser sieht "Zeitenwende" auch für innere Sicherheit

"Der 24. Februar war eine Zeitenwende auch für die innere Sicherheit", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg gab es den Angaben zufolge 5.510 politisch motivierte Straftaten. Dies ging damit einher, dass die Delikte im Bereich "ausländische Ideologie" deutlich zugenommen haben.

Auch sogenannte Hasskriminalität aus ausländerfeindlichen oder rassistischen Beweggründen habe zugenommen, sagte Faeser. "Es ist in höchstem Maße menschenverachtend, Menschen zu attackieren, die vor Krieg und Terror geflüchtet sind und bei uns Schutz gefunden haben."

Anstieg bei Delikten von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern"

Ein deutlicher Anstieg von 40 Prozent wurde zudem bei Delikten und Gewalttaten durch sogenannte Reichsbürger verzeichnet. Den Schwerpunkt bildeten hier den Angaben zufolge Nötigungen, Bedrohungen und Beleidigungen. Der Verfassungsschutz rechnete der Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 2022 deutschlandweit etwa 23.000 Menschen zu. Rund 400 von ihnen hätten Ende 2022 noch über eine Erlaubnis zum Waffenbesitz verfügt, sagte Faeser und forderte eine Reform des Waffenrechts, um Erlaubnisse schneller entziehen zu können.

Wie aus der Statistik weiter hervorgeht, zählte die Polizei auch deutlich mehr Delikte im Zusammenhang mit Klima- und Umweltschutz. Hier verzeichnete das BKA einen Anstieg um knapp 73 Prozent auf 1.716 Straftaten. Meistens ging es dabei um Sachbeschädigung, Nötigung, Bedrohung sowie um Verstöße gegen das Versammlungsgesetz oder um Hausfriedensbruch. Der Klimaschutz sei zwar ein wichtiges Anliegen, das sie selbst auch teile, sagte Faeser, fügte im Hinblick auf die Straßenblockaden der "Letzten Generation" hinzu: "Wer andere im Alltag blockiert, schadet der Sache."

Mehr Gewalttaten im rechten Spektrum

Faeser wie Münch betonten, Rechtsextremismus sei nach wie vor "die größte Bedrohung für die Demokratie". Während die Zahl der Gewalttaten im linksextremistischen Bereich deutlich zurückging, erhöhten sie sich im rechten Spektrum um mehr als zwölf Prozent auf 1.042.

Auf eine Frage zur Rolle der AfD vor allem in Ostdeutschland sagte Faeser, Hass und Hetze seien nicht selten Nährboden für Gewalt. Eine große Rolle spielten dabei Vernetzungsmöglichkeiten im Internet und in Sozialen Medien. "Aus Worten werden Taten." Die Behörden hätten deshalb Aufrufe bei Demonstrationen und Kundgebungen "sehr genau im Blick. Und da kommt natürlich auch der AfD eine besondere Rolle zu".

Kritik an der Kategorie der "nicht zuzuordnenden" Fälle

Ein immer größer werdender Teil der Straftaten lässt sich keinem eindeutigen Spektrum mehr zuordnen. 24.080 Straftaten waren es im Jahr 2022. Dazu zählten noch die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen, aber auch Fälle im Kontext des Ukraine-Kriegs. Die Hintergründe seien vielfältiger und diffuser geworden, sagte Faeser.

Robert Kusche
Robert Kusche Bildrechte: IMAGO / Future Image

Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, der ebenfalls am Dienstag eine Bilanz rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt vorlegte, kritisierte die offizielle Polizeistatistik und deren Kategorie "nicht zuzuordnen". Er befürchte eine Untererfassung rechter Tatmotive, sagte Robert Kusche vom Vorstand des Verbands. Allein in Sachsen hätten ein Drittel der politisch motivierten Straftaten 2022 nicht zugeordnet werden können. Das führe dazu, dass die Betroffenen nicht zu ihrem Recht kämen und dass folglich auch das Vertrauen in die Behörden zunehmend geringer werde. Die Fälle, die ihm aus diesem Bereich bekannt seien, seien "eindeutig", sagte Kusche.

Täglich werden mindestens fünf Menschen Opfer rechter, rassistisch oder antisemitisch motivierter Gewalt.

Robert Kusche Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt

Beratungsstellen verzeichnen mehr Angriffe gegen Kinder

Auffällig sei auch die in den Bundesländern uneinheitliche Entwicklung. Nach Berlin werden dem unabhängigen Monitoring der Opferberatungsstellen zufolge und gemessen an der Einwohnerzahl, in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern die meisten Gewalttaten aus dem rechten Spektrum registriert. "Täglich werden mindestens fünf Menschen Opfer rechter, rassistisch oder antisemitisch motivierter Gewalt", sagte Kusche.

Die Leiterin der Ombudsstelle für das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz Doris Liebscher kritisierte auch Kompetenzlücken bei der Strafverfolgung. "Opfern rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt wird oft selbst die Schuld oder eine Mitverantwortung an einem Angriff zugeschrieben." Um eine solche Täter-Opfer-Umkehr zu verhindern, seien beispielsweise flächendeckend Rassismusbeauftragte bei Polizei und Justiz nötig.

MDR (mit Material von Afp, Epd, dpa)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 09. Mai 2023 | 11:00 Uhr

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