Hintergrund So werden Meinungs- und Wahlumfragen gemacht
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04. Februar 2025, 11:48 Uhr
Jede Woche gibt es Meinungsumfragen zur Parteienpräferenz – oder die Sonntagsfrage wird gestellt. Umfragen ab etwa 1.000 zufallsgenerierten Teilnehmenden gelten als repräsentativ für die aktuell etwa 60 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland. Welche Umfrageinstitute gibt es? Wie arbeiten sie und wie unabhängig sind sie?
Repräsentative Umfragen in Deutschland werden vor allem über Telefonbefragungen mit 1.000 bis etwa 3.000 zufallsgenerierten Teilnehmenden gemacht. Im Schnitt nimmt nur etwa jede fünfte angefragte Person teil. Die Befragung ist anonymisiert. Oft werden Telefonumfragen durch Online-Befragungen ergänzt. Ziel ist ein möglichst repräsentativer Querschnitt der Gesamtbevölkerung.
Wie repräsentativ ist die Datenerhebung?
Bis in die 2000er-Jahre wurden die Umfragen meist per Festnetztelefon durchgeführt, inzwischen auch über Mobilfunkanschlüsse und zunehmend online sowie in sozialen Netzwerken. Daneben gibt es auch weiter persönliche Befragungen/Interviews (face-to-face), die aber aufwendiger und teurer sind. Grundsätzlich gilt: Die Repräsentativität von Umfragen hängt maßgeblich vom Auswahlverfahren ab und erst in zweiter Linie von der Anzahl an Befragten.
So stehen reine Online-Umfragen mit fragwürdiger Methodik in der Kritik und führten wie im Fall des Institus Civey schon zu Gerichtsverfahren.
Ab wie vielen Teilnehmenden sind Umfragen repräsentativ? Oft haben in Deutschland repräsentative Umfragen etwa 1.000 Teilnehmende oder mehr. Bei guter qualitativer Streuung reichen aber auch niedrigere Fallzahlen, um einen Bevölkerungsquerschnitt abzubilden. Das bedeutet, es lässt sich ein relativ genaues Bild für die mehr als 80 Millionen Menschen im Land erstellen. Grundlage ist eine statistische Faustformel: 1/√Stichprobe. Bei 1.000 Teilnehmenden beträgt die Genauigkeit 0,032 beziehungsweise die Fehlertoleranz 3,2 Prozentpunkte in beide Richtungen. Je größer die Stichprobe, desto genauer wird die Umfrage, aber Aufwand und Genauigkeit steigen nicht proportional. Mit 2.000 Teilnehmern sinkt die Fehlergrenze auf 2,2 Prozentpunkte, bei 10.000 auf 1 Prozent.
Ein Problem bei Umfragen sind Antwortverweigerer. Das hat verschiedene Gründe, wie etwa die allgemeine Ablehnung von Umfragen oder auch eine höhere Sensibilität beim Schutz persönlicher Daten. Dadurch können Gruppen mit bestimmten Einstellungen zu kurz kommen. Als unterrepräsentiert in Telefonumfragen gelten vor allem ältere und formal niedrig gebildete Personen sowie Stadtbewohner. Um das auszugleichen, werden Teilnehmer aus diesen Bereichen höher gewichtet.
Weitere Fehlerquelle ist die Richtigkeit der Antworten. So kann Befragten aus unterschiedlichen Gründen ihre Antwort unangenehm sein oder sie wollen einen anderen Eindruck erwecken.
Dennoch herrscht Konsens, dass bei Einhaltung von Qualitätsstandards repräsentative Ergebnisse erzielt werden – jedoch stets mit einer gewissen Fehlertoleranz. Zur Beurteilung der Repräsentativität ist Transparenz bei der Datenmethodik nötig. Zumeist stellen die Institute diese Informationen bereit, oft fehlen sie aber in der Presseberichterstattung.
Meinungsforschungsinstitute in Deutschland und ihre Kunden
Es gibt Dutzende Markt- und Sozialforschungsinstitute in Deutschland. Sie sind größtenteils privatwirtschaftlich aufgestellt und bieten ihre Dienste Unternehmen, Parteien, Stiftungen, Institutionen und Verbänden an. Trendforschung ist ein Milliardenmarkt, vor allem die Marktforschung. Selten gibt es andere Organisationsformen – bei der Forschungsgruppe Wahlen (FGW) etwa handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein, der im Kern auf Meinungs- und Wahlforschung spezialisiert ist und exklusiv für das ZDF arbeitet.
Infratest dimap
- die 1990 in Berlin gegründete Firma Infratest dimap ist spezialisiert auf politische Trends
- Infratest und das Bonner dimap-Institut sind seit 1996 für alle ARD-Wahlberichterstattungen zuständig
- Infratest dimap gehört zur internationalen Verian-Gruppe (bis 2023 Kantar), der Finanzinvestor Bain Capital hält 51 Prozent der Anteile
- Kunden sind Medien, Regierungseinrichtungen, Verbände, Universitäten, internationale Organisationen und Unternehmen
- Infratest dimap hat etwa 25 feste Mitarbeiter, für Telefonbefragungen werden teils mehr als 1.000 freiberufliche Interviewer beschäftigt
- an Wahltagen liefert Infratest dimap für die ARD die Prognose um 18 Uhr und danach die Hochrechnungen
Forschungsgruppe Wahlen
- 1974 wurde die Forschungsgruppe Wahlen (FGW) in Mannheim als Verein gegründet
- die FGW betreut die Umfragen für das Politbarometer und die Wahlberichterstattung im ZDF; der Sender finanziert die Non-Profit-Organisation
- die Befragungen für die FGW führt die eigenständige Firma Telefonfeld durch, die neben Sozialforschung auch Marktforschung betreibt
- weitere größere Kunden sind Kommunen, der Kassenärzteverband und die Deutsche Verkehrswirtschaft
- Telefonfeld beschäftigt nach eigenen Angaben mehr als 300 für Umfragen geschulte Mitarbeiter und arbeitet auch für andere Auftraggeber
Forsa - Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen
- die 1984 in Berlin gegründete Forsa GmbH bezeichnet sich selbst als "eines der wenigen nicht konzerngebundenen, sondern unabhängigen privaten Markt- und Meinungsforschungsinstitute" für Unternehmen, Medien, Politik und Wissenschaft
- Kunden sind Medien wie RTL/ntv (Trendbarometer), Zeit, FAZ sowie andere Unternehmen, Bundesministerien und Institutionen
- dem Institutsleiter Manfred Güllner wurde früher politische Einflussnahme vorgeworfen, so für die SPD unter Gerhard Schröder und 2007 bei einer Umfrage zur Privatisierung der Deutschen Bahn AG
- Forsa hat etwa 80 Mitarbeiter
Institut für Demoskopie Allensbach (IfD)
- das IfD wurde 1948 von der Kommunikationsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann in Allensbach/Baden-Württemberg gegründet
- es hat Niederlassungen in Bonn und Berlin und ist zu 99 Prozent im Besitz der Stiftung Demoskopie Allensbach
- neben Meinungs- und Medienforschung wird auch Marktforschung betrieben
- Medienkunden sind etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Zeit, Spiegel oder Süddeutsche Zeitung sowie Bundesinstitute, Forschungseinrichtungen, Verbände oder Konzerne
- das IfD setzt auf eine gezieltere Auswahl von Stichproben statt Zufallsstichproben; mit dem sogenannten Quotenverfahren sollen validere Daten erreicht werden
- dem IfD wird politische Nähe zur Union nachgesagt, besonders in der Helmut-Kohl-Ära; für Schlagzeilen sorgten in den 1990er-Jahren bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg deutlich geringere Umfragewerte für die Republikaner als dann bei der Wahl erzielt wurden
- das Institut hat etwa 80 Mitarbeitende, davon ein Viertel Wissenschaftler; dazu kommen 1.200 nebenberufliche Interviewer
INSA
- das private Markt- und Sozialforschungsinstitut Insa (Institut für soziale Antworten) wurde 2009 in Erfurt gegründet
- die nach eigenen Angaben unabhängige Firma bietet Kunden aus Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft Marktforschungsstudien sowie politische Umfragen an, aber auch Geschäftsberatung und Projektentwicklung
- zu Insa gehört der Consulere-Verlag, daneben gibt es eine Stiftung
- Insa führt eigene Telefonbefragungen durch, aber auch Online-Umfragen mit Panels anderer Institute.
- Hauptprodukt ist die Sonntagsfrage für die Springer-Presse, jede Woche in "Bild" und "BamS", es werden auch Umfragen zu Landtagswahlen und Kommunalwahlen gemacht. Für die Wahlumfragen kauft INSA Daten von YouGov ein und reichert sie mit eigenen Analysen an
- weitere Kunden sind Cicero, das rechte Blatt "Junge Freiheit", die "Frankfurter Rundschau" und mehrere ostdeutsche Zeitungen wie die "Freie Presse"
- Chef der Insa-Consulere GmbH ist der frühere CDU-Politiker Hermann Binkert, dem Kontakte zur AfD vorgeworfen wurden.
- Insa hat nach eigenen Angaben etwa zehn wissenschaftliche Mitarbeiter sowie zahlreiche freie Telefoninterviewer
Civey
- Die 2015 gegründete Berliner Civey GmbH ist nach eigenen Angaben "das führende Unternehmen für digitale Markt- und Meinungsdaten mit dem größten Panel in Deutschland". Prominente Kunden aus der Medienbranche waren zwischenzeitlich der "Spiegel" oder Focus-Online, daneben auch Parteien, Wirtschaftsverbände und Konzerne sowie etwa Krankenversicherungen, Bundesministerien, E.ON oder die Bertelsmann-Stiftung
- Civey setzt gezielt auf Online-Umfragen und Algorithmen, die von klassischen Instituten als methodisch unsauber kritisiert werden; dabei werden auf Webseiten die Besucher für Umfragen ausgewählt, um Fragen zu beantworten. Diese weitgehend automatisierte Datenerhebung ist erheblich preisgünstiger als repräsentative Telefon-Umfragen. Bei der Bayern-Wahl 2023 erzielte Civey die beste Wahlvorhersage
- Civey beschäftigte zuletzt rund 60 Mitarbeiter und hatte zuletzt eine Bilanzsumme von 6,5 Millionen Euro. Doch unter anderem durch einen Rechtsstreit mit Forsa geriet die Firma in Finanznot
YouGov
- YouGov ist ein börsennotiertes britisches Markt- und Meinungsforschungsinstitut, das nach eigenen Angaben weltweit am häufigsten zitiert wird. Größte Aktionäre sind Investmentgesellschaften wie Blackrock. Hauptsitz ist London, Deutschland-Sitz Köln.
- Das Unternehmen benennt als Hauptdatenquelle eine globale Online-Community. Die Teilnahme wird vergütet – aber gering und im Schnitt im zweistelligen Euro-Bereich pro Monat.
- YouGov liefert fortlaufend frei zugängliche Daten, Rankings und Umfragen (Sonntagsfrage), die von verschiedenen Medien in Deutschland genutzt werden – darunter Bild, Focus, Zeit Online oder Handelsblatt; zudem werden für Kunden Daten zu politischen, gesellschaftlichen Stimmungen, zu Trends sowie für die Marktforschung erhoben
- 2023 übernahm YouGov das Consumer Panel Business der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) – einem Marktführer für Haushaltseinkäufe in 16 europäischen Ländern mit insgesamt über 100.000 Haushalten
Ipsos
- Die Ipsos GmbH ist das deutsche Tochterunternehmen des weltweit aktiven und börsennotierten Marktforschungskonzerns Ipsos
- Ipsos ist auf Markt- und Konsumforschung spezialisiert mit Kunden etwa in der Pharma- oder Telekommunikationsbranche oder dem TÜV, bietet aber auch Medien- und Sozialforschung sowie politische und Wahlumfragen an.
- In Deutschland hat Ipsos etwa 500 Mitarbeiter am Hauptsitz Hamburg und in weiteren deutschen Großstädten, dazu kommen etwa bundesweit etwa 3.300 freiberufliche Interviewer
Verian (Kantar/Emnid)
- Verian Germany, ehemals Kantar Public bzw. Emnid, berät Wissenschaft und Politik und bietet laut Eigenwerbung empirische Forschung von der Konzeption über die Methodik und Datenerhebung bis hin zur Datenanalyse und Berichterstellung an.
- Die Firma mit Sitz in München hat nach eigenen Angaben 70 festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie etwa 455 Beschäftigte für Umfragen und Interviews. Medienkunde ist etwa das Magazin Focus.
Die Aussagekraft von Wahlumfragen – wie werden kleine Parteien berücksichtigt?
Wahlumfragen sind keine Voraussagen für das Wahlergebnis, sondern bilden die aktuelle politische Stimmung ab – abhängig vom Umfragezeitraum, von jüngsten Ereignissen und methodischen Details. Dabei gibt es immer Differenzen zur Entscheidung am tatsächlichen Wahltag. Die statistische Fehlertoleranz liegt unterschiedlichen Quellen zufolge bei +/- drei Prozentpunkten. Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte geht von zwei bis vier aus. Auch das Parteiergebnis spielt eine Rolle: Bei einer Fünf-Prozent-Partei ist der relative Fehlerbereich größer als bei einer 30-Prozent-Partei. Ein Ranking der Voraussagen für die Bundestagswahl 2021 finden sie hier: Spitzenreiter war Allensbach, Infratest Dimap gehörte zur Spitzengruppe, Schlusslichter waren YouGov und Emnid.
Die Forschungsgruppe Wahlen erläutert auf ihrer Seite die Reihenfolge bei Wahlabfragen und den Umgang mit kleinen oder neuen Parteien für das ZDF-Politbarometer. Demnach werden bei der Sonntagsfrage für den Bundestag die Parteien in der Reihenfolge ihres Zweitstimmenergebnisses bei der letzten Wahl abgefragt. Bei den kleinen "sonstigen Parteien" wird noch einmal nachgefragt, um welche Partei es sich handelt. Ab einem Anteil von drei Prozent wird diese Partei dann einzeln aufgeführt – wie etwa das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht. Das hat methodische Gründe. Unter drei Prozent ist der statistische Fehlerbereich sehr hoch, seriöse Aussagen sind dann kaum möglich. Andere Institute gehen auch bis auf zwei Prozent runter.
Einige Internetportale sammeln Ergebnisse von Wahlumfragen und führen sie zusammen. DAWUM errechnet daraus einen Mittelwert unter Ausweisung der Fehlertoleranz. Ähnlich macht es der Politpro-Wahltrend.
Onlineumfragen und Social-Media-Befragungen als neue Faktoren
Der Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V. (ADM) vertritt nach eigenen Angaben die wichtigsten Marktforschungsunternehmen in Deutschland mit etwa 12.000 Beschäftigen und einem Gesamtumsatz 2023 von gut 2 Milliarden Euro. Der ADM ist auch für Qualitätssicherung zuständig und trägt gemeinsam mit drei weiteren Branchenverbänden den Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung. Der Rat spricht auch Rügen aus.
Nach ADM-Einschätzung haben sich Demoskopie und Marktforschung mit der Digitalisierung deutlich verändert und entwickeln sich stetig weiter. Markt- und Sozialforschung seien eine Entscheidungsgrundlage für Wirtschaft und Politik. Daher sei die Qualität der Daten wichtig.
Der ADM sieht Risiken durch die Online-Datenerfassung und den Trend zu Social-Media-Befragungen. Das führe zu Repräsentativitätsproblemen für die Gesamtbevölkerung. Dazu gebe es Verzerrungen durch Bots und Fakenews in der Online-Community. Social-Media-Daten seien relevant, aber als alleinige Datenquelle ungenügend. 2023 haben der ADM sowie weitere Branchenverbände ihre Qualitätsstandards angepasst und Anforderungen für Markt- und Sozialforschungsprojekte definiert.
MDR AKTUELL (ans)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 01. Februar 2024 | 18:05 Uhr