Kommentar Reform des Abtreibungsrechts taugt nicht als Wahlkampfthema
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06. Dezember 2024, 15:45 Uhr
Eine von der Bundesregierung einberufene Expertenkommission legte bereits im April dieses Jahres Empfehlungen für die Liberalisierung des Abtreibungsrechts vor. Die Bundesregierung tat danach viele Monate nichts. Nun, einige Wochen vor einer Neuwahl, drängen SPD und Grüne plötzlich auf eine Reform – und setzen die Union unter Druck. Doch die sensiblen ethischen Fragen um die Rechte ungeborenen Lebens taugen nicht als Wahlkampfthema, kommentiert MDR-AKTUELL-Autor Alexander Laboda.
- Grüne und SPD drängten nach einer Kommissionsempfehlung zur Reform des Abtreibungsrecht auf eine ausführliche Debatte im Parlament.
- Nach dem Aus der Ampelkoalition hat sich das Blatt gewendet und in die Debatte kommt vor den Neuwahlen Schwung.
- Die Debatte um Paragraf 218 ist emotional aufgeladen und sollte deshalb kein Wahlkampfthema sein, sondern sensibel und in Ruhe behandelt werden.
Mehr als ein Jahr diskutierten die Fachleute der "Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin". Dann gaben sie im April dieses Jahres eine eindeutige Empfehlung: Schwangerschaftsabbrüche in der Frühphase der Schwangerschaft sollten – anders als bislang – rechtmäßig sein. Ein klarer Auftrag an die Bundesregierung, die diese Kommission eingesetzt hatte, müsste man meinen. Doch die Bundesregierung tat trotz des Votums der Sachverständigen: nichts.
Die zuständige Familienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte seinerzeit über die Empfehlungen, diese seien "eine gute Grundlage für den nun notwendigen offenen und faktenbasierten Diskurs". Denn das Thema Schwangerschaftsabbruch sei "emotional". Ähnlich die Positionierung des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD). Er sprach davon, dass es am Ende "einen breiten gesellschaftlichen und natürlich auch parlamentarischen Konsens" brauche und dankte der Kommission "für die Anregungen zur Debatte." Auch Bundeskanzler Olaf Scholz ließ verlautbaren, ihm sei daran gelegen, dass diese Diskussion in ruhiger und sensibler Weise geführt werde.
Schändliches Kalkül
Knapp acht Monate und einen Ampel-Bruch später ist von der einig vorgetragenen Behutsamkeit beim Abtreibungsrecht nichts mehr übrig. Abgeordnete von SPD und Grünen nehmen das Dasein als Minderheitsregierung zum Anlass, einen Gesetzentwurf zum Thema in den Bundestag einzubringen – wenige Monate vor den Neuwahlen. Nach der ersten Debatte im Plenum am heutigen Donnerstag soll das Vorhaben über den Rechtsausschuss noch innerhalb der nächsten Monate zur finalen Abstimmung zurück ins Plenum gebracht werden. Dabei soll die Union den Prozess gefälligst nicht "blockieren", heißt es von Sozialdemokraten und Grünen.
Dieses Vorgehen ist nicht nur frech, wie bei anderen Vorhaben, die die Ampel selbst nicht rechtzeitig fertig bekommen hat. In diesem Fall ist es sogar schändlich. Denn es drängt sich der Eindruck auf, dass SPD und Grüne das Thema in den Wahlkampf ziehen wollen. Die beiden Parteien müssen davon ausgehen, dass sie so kurzfristig und Druck ausübend keine Stimmen von CDU, CSU oder FDP für ihr Vorhaben bekommen werden. Wollen Sie Friedrich Merz á la Donald Trump dann als Feind des Selbstbestimmungsrechts der Frau hinstellen?
Bei dieser "ethisch äußerst sensiblen und bedeutsamen Frage" (Ex-Justizminister Marco Buschmann) verbietet sich ein solches Kalkül. Anders als in den USA besteht gar keine dringende Notwendigkeit, die harte öffentliche Auseinandersetzung zu suchen. Seit den 1990er-Jahren besteht der jetztige Konsens in der Gesetzgebung. Schwangerschaftsabbrüche können straffrei bis zur zwölften Schwangerschaftswoche durchgeführt werden. Kein Gericht und kein Politiker von Rang stellt das infrage.
Notwenige Reform in Ruhe angehen
Die Regierung hat kleinere Verbesserungen für die Selbstbestimmung der Frauen in dieser Legislatur erreicht. Das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche wurde aufgehoben. Im November trat das Verbot der sogenannte Gehsteigbelästigung in Kraft, also von aggressiven Protestaktionen von Abtreibungsgegnern in der Nähe von Beratungsstellen oder Arztpraxen. Den großen Wurf, die Abschaffung des Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch, hat die Ampel in ihrer dreijährigen Amtszeit nicht gewagt. Das lässt sich nun auf den letzten Metern nicht korrigieren, ohne Unfrieden zu stiften.
Es ist grundsätzlich eine gute Idee, eine Reform parteiübergreifend anzugehen, ohne Fraktionszwang. Abtreibungen sollten in der frühen Schwangerschaftsphase legalisiert werden. Die Lücken in der Versorgung mit medizinischen Einrichtungen, die Abbrüche durchführen, müssen ebenfalls geschlossen werden. Die Abgeordneten sollten sich aber die nötige Zeit nehmen für diese Vorhaben – und zwar außerhalb der Wahlkampfarena.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 05. Dezember 2024 | 11:05 Uhr