Unter der Lupe – die politische Kolumne Proteste, Streiks und Alarmismus
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14. Januar 2024, 05:00 Uhr
Bauern, Handwerk und Logistikbranche gehen gemeinsam zusammen auf die Straße, um ihrem Unmut Luft zu machen. Die Lokführer treten in den Streik. Manch einer versucht das alles unter der Überschrift Wechselstimmung und sozialen Unruhen zusammenzufassen. Rechtsextremisten versuchen, die Proteste zu vereinnahmen und feiern erste Teilerfolge. Wer protestiert wofür und gegen wen? Ein genauer Blick lohnt sich – Ruhe bewahren auch.
- Diese Woche fanden vielerorts Autobahnblockaden durch die Bauernproteste statt, von einer Stilllegung des Landes kann man aber nicht sprechen.
- Es gibt aber Protestierende, denen es mehr um Umsturzfantasien als ihre Höfe zu gehen scheint.
- Dass die Lokführer ausgerechnet in derselben Woche gestreikt haben, ist Zufall – keine komplette Blockade der Bundesrepublik.
Für die Proteste der Bauern gibt es viele Gründe. Um diese nachzuvollziehen, ist vor allem eine Erkenntnis entscheidend: Bauern sind nicht gleich Bauern. Die Milchbäuerin von nebenan hat wenig mit Agrargroßbetrieben gemein. Kleine Höfe, die regional produzieren, sind Auslaufmodelle, wenn sich die Subventionspolitik der EU nicht schleunigst grundlegend ändert.
Alarmierende Überschriften
Dass Trecker Deutschland lahmlegen, hört sich aufregend an. Auch deswegen wird es in den Berichten vieler Medienhäuser so dargestellt. Mit der Realität haben diese alarmierend klingenden Überschriften aber wenig zu tun. Tatsächlich dürfte ein Großteil der Deutschen von den aktuellen Bauernprotesten gar nicht so viel mitbekommen haben. Ja sicher, Sternfahrten und Autobahnblockaden fanden und finden vielerorts statt. Die Stilllegung des Landes ist dadurch aber nicht erfolgt.
Die falschen Fragen
Der Geldregen aus Brüssel beglückt vor allem jene Betriebe, die große Flächen bewirtschaften. Das Streichen einer verhältnismäßig unbedeutenden Agrardiesel-Subvention ist nicht der Sargnagel für die Agrarwirtschaft. Viele Bauern nehmen die Subventionskürzung nur zum Anlass, um auf grundlegendere Probleme aufmerksam zu machen.
Warum werden Großbetriebe so bevorzugt? Warum erhält die deutsche Fleischindustrie Milliarden-Förderungen, um Filets nach Asien und Afrika zu exportieren? Wo ist der Sinn dahinter, dass Tierwohlauflagen vor allem kleine Betriebe treffen, die mit einem immer größeren Anpassungsdruck zu kämpfen haben und eigentlich Planungssicherheit brauchen?
Die Subventionspolitik muss sich generell ändern. In Deutschland und der EU. Die Debatte darüber ist wichtig und wird auch Dank der Proteste endlich wieder geführt. Das haben die Bauern geschafft.
Respekt für die Bauern
Den Bauernverbänden gebührt Respekt. So haben die Landwirte nicht nur ihr enormes Organisationstalent unter Beweis gestellt, sondern auch innerhalb weniger Tage die Bundesregierung zum Einlenken bewegt. Die Ampel hat Teile der Subventionskürzungen zurückgenommen. Ein großer Erfolg.
All jene, die jetzt glauben, dass die Bundesregierung alle Kürzungen zurücknehmen wird, dürften sich am Ende wundern. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Bundesregierung sich erpressbar macht. Und irgendwoher muss das Geld kommen, um die Milliardenlöcher im Haushalt zu stopfen.
Demokraten lynchen nicht
Auffällig ist: Auch unter den Bauernprotesten gibt es Protestierende, denen es mehr um Umsturzfantasien als ihre Höfe zu gehen scheint. Wenn Bauern in Schleswig-Holstein versuchen, die Fähre des Wirtschaftsministers zu stürmen, in Wiesbaden Landwirte ein Plakat unter den ihren dulden, auf dem steht "tötet Cem Özdemir", dann sind längst die Grenzen des demokratischen Diskurses überschritten.
Um dem glaubhaft entgegenzutreten, braucht es mehr als Distanzierungsaufrufe von Bauernpräsident Joachim Rukwied. Es braucht Konsequenzen. Eine Trecker-Kolonne, die Kollegen duldet, obwohl diese sich Galgen auf ihren Anhängern zusammengezimmert haben, verliert ihre Legitimität. Demokraten dürfen Aufrufe zur Lynchjustiz – ob direkt oder indirekt – nicht akzeptieren. Da gibt es kein Vertun.
Rechtsextreme Melange sucht Anschluss
In Dresden versammelten sich am Montag dieser Woche Rechtsextremisten von "Freien Sachsen" und AfD, um den Anschein zu erwecken, es gäbe anlässlich der Bauernproteste einen Generalstreik gegen das System. Es kamen ein paar Handwerker, Logistiker und auch ein paar Bauern. Vor allem aber Pegida-Fans und Corona-Leugner auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern und all jene, die sich gerne mit Reichsflaggen an Bundesstraßen aufstellen. Dass diese Melange an Empörten mehrere tausend Menschen ausmachten, ist bemerklich – von Generalstreik war jedoch keine Spur.
Differenzierung ist geboten
Der sächsische Innenminister Armin Schuster fasste das Geschehene sehr treffend zusammen. Diese Demonstrationen seien in Dresden "Alltagsgeschäft". Das Resümee ist traurig genug, jedoch auch erfrischend nüchtern. Der Vorabend der rechtsextremen Revolution sieht anders aus.
Dass Lokführer jetzt zufälligerweise in der gleichen Woche in den Arbeitskampf treten, um sich eine Vier-Tage-Woche zu erstreiken, ist ein terminlicher Zufall und kein Anzeichen für eine komplette Blockade der Bundesrepublik. Zumal die Lokführer auch nicht die Ampel bestreikt, sondern die Unternehmensführung der Deutschen Bahn.
Probleme nicht kleinreden
Und bitte nicht falsch verstehen. Inflation, Energiepreise, Corona-Nachwehen, Krieg in Europa und milliardenschwere Haushaltslöcher sind nicht einfach mal so auf die leichte Schulter zu nehmen. Darüber hinaus bietet die Politik der Bundesregierung viel Anlass zu Kritik und Protest. Hier gilt es, genau hinzuschauen und Probleme als das zu benennen, was sie sind.
Die aktuellen Streiks und Proteste aber über einen Kamm zu scheren und als allgemeine Systemkritik zusammenzufassen, hilft nur jenen, die eine Bühne suchen, auf der sie ihre Umsturzfantasien zur Aufführung bringen können.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 13. Januar 2024 | 21:07 Uhr