
Unter der Lupe – die politische Kolumne Jetzt wird verhandelt: Bitte die Ost-Themen nicht vergessen!
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15. März 2025, 16:29 Uhr
Die Grünen geben grünes Licht für das Finanzpaket der künftigen Koalition. Mehr Geld für die Infrastruktur, den Klimaschutz und die Bundeswehr. Das verschafft CDU, CSU und SPD Freiräume bei den angelaufenen Koalitionsgesprächen. Ein Freibrief sollte das allerdings nicht werden. Das Geld muss gut investiert werden und vor allem: Bitte den Osten nicht aus dem Blick verlieren.
- Union und SPD drücken aufs Gas, damit Friedrich Merz noch vor Ostern zum Kanzler gewählt werden kann.
- In den Verhandlungsgruppen sind viele Politiker aus Ostdeutschland dabei.
- Die Koalition muss bei den Themen Infrastruktur, Zuwanderung, Frieden und Wirtschaft liefern, will sie die AfD in Ostdeutschland auf Distanz halten.
- Bis zu drei Ministerien könnten von Ostdeutschen geleitet werden.
Die Finanzierung steht, auch wenn die Abstimmung im Plenum noch aussteht. Der Merz-Zug Richtung Kanzleramt nimmt Fahrt auf. Zehn Tage lang wird verhandelt, dann könnte für Friedrich Merz ein Traum wahr werden: Noch vor Ostern, am 23. April, könnte sich Merz zum Kanzler wählen lassen. Ein ambitionierter Zeitplan, der Disziplin erfordert. Denn der nun fast schon sichere Finanzrahmen eröffnet zwar Spielräume, kann aber manche inhaltliche Hürde nicht ganz überdecken.
Es dürfte noch an der einen oder anderen Stelle haken, bei der Migration etwa oder bei der Frage nach Sozialausgaben. Lars Klingbeil wird manchem an seiner Parteibasis die Neuauflage der Großen Koalition erst noch schmackhaft machen müssen. Und Friedrich Merz weiß um den Unmut an seiner Basis. In der CDU machen sich Sorgen breit, ob man diese Milliardensummen am Ende als Schuldenhypothek an die nachfolgenden Generationen abgibt. Wohl auch deshalb mahnt der künftige Kanzler schon zur Haushaltsdisziplin, bevor es überhaupt einen Haushalt gibt. Das Prinzip Gießkanne kann sich angesichts solcher Milliardensummen niemand leisten.
Der Osten mit Fachkompetenz dabei
Dafür ist der Verhandlungsplan immerhin vielversprechend. In 17 Arbeitsgruppen wird nun fast täglich durchverhandelt. Ein Blick in die Gruppen zeigt auch viele ostdeutsche Gesichter. Aus Sachsen-Anhalt verhandeln etwa der Landwirtschaftsminister Sven Schulze für die CDU in der Arbeitsgruppe Ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt.
Die Bundestagsabgeordnete Franziska Kersten leitet dieselbe Gruppe für die SPD. Sepp Müller, der bisherige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union verhandelt im Bereich Kommunen, Sport und Ehrenamt mit. Gesundheitspolitiker Tino Sorge von der CDU verhandelt den Bereich Gesundheit und Pflege. Katja Pähle, die SPD-Fraktionschefin aus Sachsen-Anhalt und Mitglied im Bundesvorstand ihrer Partei leitet für die SPD dieselbe Arbeitsgruppe.
Auch die Sachsen schicken ostdeutsche Kompetenz ins Verhandlungsrennen. Burkhard Jung, der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, bringt sich für die SPD beim Thema Bürokratierückbau, Staatsmodernisierung, moderne Justiz ein. Martin Dulig, der ehemalige Wirtschaftsminister aus Sachsen, ist im SPD-Verhandlungsteam für Kommunen, Sport und Ehrenamt.
Die sächsische Gesundheitsministerin von der SPD, Petra Köpping, verstärkt die ostdeutsche Perspektive in der AG Gesundheit und Pflege. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Holger Mann sitzt in der AG 8 Bildung, Forschung und Innovation mit am Verhandlungstisch, und Kathrin Michel für die SPD in der AG Arbeit und Soziales. Die CDU schickt Sebastian Gemkow, den sächsischen Wirtschaftsminister, in die AG 8 zum Thema Bildung. Der sächsische Bildungsminister Conrad Clemens verhandelt die Familienpolitik mit. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Christiane Schenderlein leitet die Arbeitsgruppe Kultur und Medien.
Auch aus Thüringen werden ostdeutsche Verhandler nach Berlin geschickt. Elisabeth Kaiser, SPD-Staatssekretärin im Bundesbauministerium, verhandelt für dasselbige Ressort. Christian Hirte, der ehemalige Ostbeauftragte der CDU setzt sich in der AG 10 für die Belange der Kommunen ein. Und der aktuelle Ostbeauftragte der SPD, Carsten Schneider, sitzt in der Steuerungsgruppe an übergeordneter Stelle.
Demokratische Mitte unter Verhandlungsdruck
256 Verhandler haben Union und SPD zusammengetrommelt, wohl auch, weil man sich auf weniger nicht verständigen konnte. Die Themen sind gut verteilt, aber bei den Inhalten dürfte es noch haarig werden. Bei dem kurzen Fahrplan regen sich berechtigte Zweifel, ob es auch mit aller Gründlichkeit gelingen kann.
Es ist gut und richtig, dass sich die ostdeutschen Verhandler in nahezu allen Arbeitsgruppen wiederfinden. Vor allem, was die Entwicklung der ländlichen Räume betrifft, aber auch die Fragen, wie die Infrastruktur in Ostdeutschland weiter ausgebaut werden kann: Kitas, Straßen- und Bahnstrecken. Denn hier entscheidet sich, ob die investierten Milliarden tatsächlich ein Heilmittel gegen das Erstarken der politischen Ränder sind.
Wer die AfD auf Distanz halten will, sollte nicht aus dem Blick verlieren, was den Wählern seit Jahren unter den Nägeln brennt: Zuwanderung, Frieden, Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit, aber auch ein Gefühl, nicht wirklich von der Bundespolitik wahrgenommen zu werden.
Braucht es einen Ostbeauftragten?
Auch deswegen wird es nicht nur um Inhalte gehen, sondern auch um Gesichter. Drei Ministerposten hätten die ostdeutschen Politiker gern in der neuen Regierung. Aber mit wenigstens einem oder zweien würde man sich wohl auch zufriedengeben. Hinter den Kulissen hat das Stühlerücken schon begonnen.
Ein großes Ressort müsse es auf jeden Fall sein. Außerdem wird bei der CDU der Wunsch nach einem Ostbeauftragten wieder laut. Zuletzt hatte das Sven Schulze, der CDU-Landesvorsitzende gefordert. Ähnlich wie jetzt sollte der dann Befugnisse im Kanzleramt haben. Doch das allein wäre zu wenig. Der Ostbeauftragte als Feigenblatt für ostdeutsche Interessen? Diese Zeiten sind vorbei. Es müssen Gesichter in die erste Reihe. Einige Namen sind schon im Gespräch.
Wer kann Minister oder Ministerin?
Christiane Schenderlein von der CDU könnte die Arbeitsgruppe Kultur und Medien nicht nur leiten, sondern auch als Kulturstaatsministerin übernehmen. Zumindest fällt der Name öfter im Berliner Regierungsviertel. Frau und Osten, plus Medienkompetenz – das hätte Chancen.
Auch Sepp Müller aus Sachsen-Anhalt ist im Gespräch. Als jüngster Bundestagsabgeordneter und politisches Talent in die Politik gestartet, hat er sich inzwischen ein Profil erarbeitet. Und das ist durch seine Funktion als stellvertretender Fraktionschef der Union inhaltlich breit aufgestellt. Das könnte seine Chancen auf ein Ministeramt erhöhen. Ambitionen und Chancen werden auch dem amtierenden Ostbeauftragten nachgesagt. Der Thüringer Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider hat dem Job des Ostbeauftragten ein neues Gesicht gegeben, Netzwerke aufgebaut und sich für Wirtschaftsansiedlungen in Ostdeutschland stark gemacht. Er könnte sich damit auch für andere Positionen empfohlen haben.
Noch steht das Personaltableau nicht fest. Noch wird über Inhalte verhandelt. Doch wer bei den Verhandlungen in führender Position dabei ist, sichert sich zumindest gute Chancen auf mehr. Schwarz-rot auf Bundesebene muss wissen, dass man im Osten auf Bundesebene keine Wahlen gewinnen kann, verlieren aber schon. Das haben die Ampelparteien hier zuletzt deutlich zu spüren bekommen. Nochmal am Wähler vorbei regieren, können sich die künftigen Koalitionäre nicht leisten.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 13. März 2025 | 20:05 Uhr