Eine einzelne Pflanze vor gelbem Hintergrund
Viele Kreise sind überdurchschnittlich von Hitze und Dürre betroffen. Fertige Konzepte haben sie aber oft noch nicht. Bildrechte: dpa, MDR/Fabian Frenzel

Anpassung an Klimawandel Großteil der Landkreise in Mitteldeutschland hat keine Konzepte gegen Extremwetter

13. Juli 2023, 18:17 Uhr

Ein Großteil der Landkreise und Kreisfreien Städten in Mitteldeutschland erwartet zunehmend Schäden durch Hitze, Dürre, Starkregen und Hochwasser. Doch nur ein Drittel hat ein Klimaanpassungskonzept erstellt. Besonders in Sachsen-Anhalt setzten viele Landkreise noch keine Maßnahmen um. Teilweise fehlt den Kreisen dafür das Geld.

Leonhard Eckwert
Bildrechte: Charlotte Anlauf

Drei Viertel der Kreise in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, die auf eine gemeinsame Umfrage verschiedener Medien geantwortet haben, sehen sich zukünftig öfter mit extremen Wetterereignissen konfrontiert. Doch nur rund ein Drittel hat ein Konzept oder plant Maßnahmen, um sich auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten.

Die Umfrage stammt von CORRECTIV, BR Data, NDR Data und WDR Quarks. Die Redaktionen haben die 400 deutschen Landkreise und kreisfreien Städte befragt. In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt haben insgesamt 38 Landkreise geantwortet – das entspricht drei Viertel aller Kreise.

Über die Recherche

Zwischen April und Mai 2023 haben CORRECTIV, BR Data, NDR Data und WDR Quarks den 400 Landkreisen in Deutschland eine Umfrage geschickt. Sie wurden darin gefragt, wie sie sich auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten. Insgesamt haben 329 der angefragten Kreise (82,3 Prozent) so geantwortet, dass die Antworten ausgewertet werden konnten.

Die Redaktionen haben 20 Fragen entwickelt, die das Thema Klimaanpassung umfassend abbilden sollen. Die Fragen wurden von ausgewählten Landkreisen und kreisfreien Städten auf Machbarkeit überprüft und von wissenschaftlichen Partnern an der TU Dortmund auf wissenschaftliche Standards.

Zusätzlich haben die Redaktionen Daten zu Hitze, Dürre, Starkregen und Hochwasser ausgewertet und zur Verfügung stellt.

Projektteam: Jana Heck, Uli Hendrix, Nandor Hulverscheidt, Lara Schwenner (WDR Quarks/WDR Data), Julia Barthel, Anna Behrend, Michael Hörz, Isabel Lerch. Zusätzliche Mitarbeit: Serafin Arhelger, Ciara Cesaro-Tadic (NDR Data), Constanze Bayer, Johanna Bernklau, Robert Schöffel (BR Data), Lilly Brosowsky, Max Donheiser, Katarina Huth, Annika Joeres, Paulina Thom (CORRECTIV)

In der Befragung haben Stadtkreise häufiger angegeben, Maßnahmen gegen Wetterextreme zu ergreifen. Viele Landkreise können nur über ihre eigenen Konzepte informieren und keine Angaben über Konzepte in den einzelnen Gemeinden machen. Möglicherweise ergreifen einige Gemeinden selbst Maßnahmen, von denen die Landkreise nichts wissen.

Der Klimawandel wartet nicht auf Anpassungskonzepte und ist schon jetzt spürbar. Extrem heiße Tage treten häufiger auf, die Wälder und Äcker leiden unter langanhaltender Dürre, Starkregen verursacht Überschwemmungen und Erdrutsche. Daten zeigen, welche Kreise bereits stärker von Extremwetter betroffen sind – und ob sie sich darauf vorbereiten.

Hitze: Sachsen-Anhalt ist besonders anfällig

Ein kühles Zuhause oder Büro ist in diesem Sommer ein Luxus. Temperaturen über 30 Grad bringen einen nicht nur zum Schwitzen, sondern können Kreislaufprobleme verursachen. Die Zahl der Hitzetage pro Jahr ist über die vergangenen Jahrzehnte stetig gestiegen. An 9,8 Tagen im Jahr lagen in Deutschland die Temperaturen über 30 Grad (im Zeitraum von 1993 bis 2022).

Besonders in Sachsen-Anhalt und Sachsen leiden mehr Regionen unter Hitze als im Rest von Deutschland. Wittenberg ist in Mitteldeutschland am stärksten betroffen: Mit 13,5 Hitzetagen im Jahr liegt der Landkreis weit über dem Bundesschnitt. Obwohl der Kreis heute schon überdurchschnittlich stark betroffen ist, hat der Kreis laut Umfrage keine gängigen Schutzmaßnahmen umgesetzt oder konkret geplant. Ein Hitzeaktionsplan fehlt zum Beispiel. In so einem Plan halten Kreise fest, wie sie ihre Orte hitzerestistent umbauen.

Zahlreiche weitere Kreise in Mitteldeutschland haben laut Umfrage ebenfalls keinen Hitzeaktionsplan samt Maßnahmen – obwohl Hitzetage sie bereits überdurchschnittlich belasten. Dazu gehören neben Wittenberg unter anderem das Jerichower Land, Anhalt-Bitterfeld, der Salzlandkreis, Stendal, Bautzen und der Burgenlandkreis.

Die Stadt Chemnitz arbeitet bereits mit einem Hitzeaktionsplan und ergreift Maßnahmen. Die Stadt entsiegelt und begrünt Flächen auf ihrem Gebiet. Denn betonierte und asphaltierte Böden nehmen die Sonnenstrahlung auf und erwärmen den Boden. Auf freien Flächen mit Bäumen und Büschen verdunstet hingegen mehr Wasser und kühlt die Luft ab.

Was bedeutet "Hitzetage"?

Ein "heißer Tag" ist laut Deutschem Wetterdienst jeder Tag, an dem die höchste Temperatur mindestens bei 30 Grad liegt.
Die Grundlage für die Berechnung der Hitzetage sind Rasterdaten vom Deutschen Wetterdienst, die unter anderem regionale Temperatur-Unterschiede sichtbar machen. Daraus wurde für jeden Landkreis und jede kreisfreie Stadt ein jährlicher Median der Hitzetage berechnet (Zeitraum von 1993 bis 2022). Der Durchschnitt aus diesen Werten zeigt, wie stark ein Kreis von Hitze betroffen ist.

Dürre: Sachsen-Anhalts Böden unter Stress

Viele Hitzetage, unregelmäßiger Regen: Die vergangenen Jahre haben Mitteldeutschlands Äcker und Wälder schwer zugesetzt. Parallel zu den Temperaturrekorden gibt es immer mehr Dürremonate.

Zwischen 2018 und 2022 war der Boden vor allem in Sachsen-Anhalt und Brandenburg ausgedörrt. Besonders Wälder und Bäume leiden unter trockenen Bodenschichten bis zu einer Tiefe von 1,8 Metern. In den vergangenen fünf Jahren gab es in den Landkreisen in Deutschland durchschnittlich 7,6 Dürremonate jährlich.

Dessau-Roßlau, Magdeburg, Wittenberg, Jerichower Land – in vielen Regionen Sachsen-Anhalts herrschte in den vorigen Jahren nahezu dauerhaft Dürre. In Dessau-Roßlau war das sogar das ganze Jahr über der Fall. Die Stadt ist dafür laut Umfrage auf dem Gebiet so aktiv wie kaum ein anderer Kreis. Sie setzt auf dürreresistente Baum- und Pflanzenarten. Kiefern zum Beispiel erreichen mit ihren tiefen Wurzeln auch bei langer Trockenheit noch Wasser in unteren Bodenschichten. Die Stadt entsiegelt außerdem nach eigenen Angaben Böden und schafft Flächen, auf denen Regenwasser langsam versickern kann – damit das Grundwasser wieder steigt.

Im Jerichower Land passiert davon auf Kreisebene nichts – trotz durchschnittlich elf Monaten Dürre im Jahr. Der Kreis erwartet zwar, dass durch zunehmende Dürre der Haushalt stärker belastet wird. Doch die Sprecherin des Landkreises gibt an, dass die Maßnahmen bisher noch nicht ausreichend finanziert seien.

Was bedeutet Dürre?

Ein Landkreis erlebt einen Dürremonat, wenn mehr als die Hälfte seiner Fläche von Trockenheit betroffen ist. Die Bodenfeuchte muss in diesem Monat niedriger sein als in 80 Prozent der gleichen Monate zwischen 1951 und 2015. Die Daten beruhen auf dem Dürremonitor des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Es wird die durchschnittliche Anzahl der Dürremonate pro Jahr zwischen 2018 und 2022 betrachtet.

Starkregen vermehrt in Sachsen

Bei Starkregen versickert das Wasser häufig nicht schnell genug im Boden. Ganze Gebiete können so überschwemmt oder von Schlammlawinen überrollt werden. Ab 2011 zeigen die Daten vor allem in sächsischen Kreisen extrem heftigen Starkregen. Besonders betroffen sind bergige Regionen.

Die Starkregenwarnstufe 4 wurde in Meißen, im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, dem Erzgebirgskreis, Mittelsachsen, Dresden und im Vogtlandkreis im Schnitt mehr als eine halbe Stunde überschritten. Der Wert erscheint auf den ersten Blick niedrig, die Warnstufe 4 wird aber sehr selten erreicht. In Meißen löste sich 2014 durch Starkregen eine Schlammlawine und überschwemmte zahlreiche Straßen der Stadt.

Während der Vogtlandkreis noch Maßnahmen plant, hat Meißen bereits die ersten umgesetzt. Die Kreisstadt setzt nach eigenen Angaben unter anderem auf Überflutungsflächen, die Starkregenwasser aufnehmen können.

Der Ilm-Kreis müsste sich auch an zunehmend heftige Regenfälle anpassen. Viele Häuser in Thüringen stehen an starkregengefährdeten Orten – wie zum Beispiel Hängen. Der Kreis gibt an, dass Maßnahmen nötig sind. Aber auch hier sei die Finanzierung noch unklar.

Was bedeutet Starkregen?

Als Starkregen werden in den Daten Ereignisse von maximal sechs Stunden Dauer zusammengefasst. Für Stufe 4 wird vor mindestens 40 Litern in einer Stunde oder 60 Litern in sechs Stunden gewarnt. Hier wird eine Stunde gezählt, wenn die Warnstufe durch ein tatsächliches Ereignis überschritten wurde – nicht die Zeit der Vorwarnung. Auch Ereignisse, die insgesamt länger als sechs Stunden dauerten, können mehrfach die Warnstufe überschreiten und so neu zählen.

Berechnet wurden die Mittelwerte der Kreise über die Jahre von 2001 bis 2022. Gute Messungen liegen erst seit 2001 vor. Schlüsse für die Zukunft können daraus nicht gezogen werden.

Hochwasser: Dresden hat sich vorbereitet

In Dresden sind deutschlandweit am zweitmeisten Menschen durch Flusshochwasser gefährdet. Von allen deutschen Gemeinden wären nur in Ludwigshafen am Rhein mehr Menschen direkt betroffen. Mindestens 58.000 Einwohner Dresdens müssten sich bei einer "Jahrhunderflut" in Sicherheit bringen – das sind rund elf Prozent der Bevölkerung.

In Dresden hat Hochwasserschutz historisch immer eine Rolle gespielt. Besonders das Hochwasser 2002 ist durch die vielen Schäden bei den Menschen präsent. Neben Deichen und Schutzwänden setzt die Stadt auch Maßnahmen um, die gegen Starkregen helfen. Mit dem Konzept der Schwammstadt sollen mehr städtische Flächen wieder größere Mengen Wasser aufnehmen können.

In den meisten Kreisen ist nur ein kleiner Teil der Einwohner durch Hochwasser gefährdet. Im thüringischen Sömmerda sind es noch elf Prozent der Menschen, im Kyffhäuserkreis nur noch sechs Prozent. Dabei spielt die Besiedlungsdichte eine entscheidende Rolle. In Leipzig wären zwar nur rund drei Prozent der Bevölkerung bei Hochwasser betroffen – absolut wären es aber mehr als 15.000 Menschen.

Was bedeutet Hochwasser?

Die Bundesländer in Deutschland erstellen alle sechs Jahre Hochwasserrisikokarten, zuletzt im Jahr 2019. Dabei bilden Überflutungstiefen vergangener Hochwasser die Berechnungsgrundlage. Sofern zu den potenziell betroffenen Gebieten auch Wohngebiete oder solche mit gemischter Nutzung gehören, wird der Anteil der betroffenen Bevölkerung berechnet. Den Berechnungen der Länder liegen Werte von 2017 zugrunde.

Beim Hochwasser verwenden die Landesbehörden drei Szenarien:
1. hohe Wahrscheinlichkeit (durchschnittlich ein Ereignis in 10 bis 20 Jahren)
2. mittlere Wahrscheinlichkeit (durchschnittlich ein Ereignis in 100 Jahren)
3. niedrige Wahrscheinlichkeit (ein Ereignis in 200 bis 300 Jahren).

Je seltener ein Ereignis auftreten kann, desto höhere Überflutungen werden erwartet. Die Auswertung verwendet das mittlere Szenario, das auch als "Jahrhundertflut" bezeichnet wird. Alle Bundesländer definieren dieses Szenario einheitlich, zudem gibt es vergleichbare historische Ereignisse, was eine Einordnung erleichtert.

Mehr zum Thema Klimafolgen:

MDR (Leonhard Eckwert)

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