Klimawandel Anpassung an Klimawandel: Thüringer Kommunen hinken hinterher

14. Juli 2023, 14:43 Uhr

Die Kreise und Gemeinden in Thüringen kommen bei der Anpassung an den Klimawandel nur langsam in Fahrt. Das geht aus einer bundesweiten Umfrage unter den Landkreisen und kreisfreien Städte hervor, die der MDR auswerten konnte.

Die Kommunen in Thüringen hinken bei der Anpassung an den Klimawandel tendenziell anderen Regionen Deutschlands hinterher. Das geht aus einer großangelegten, bundesweiten Umfrage unter allen Landkreisen und kreisfreien Städten hervor, die BR Data, NDR Data und WDR Quarks in Kooperation mit Correctiv durchgeführt haben. Der MDR hat diese Recherche ausgewertet.

Allen Kommunen wurden Online-Fragebögen zugeschickt. Darin konnten sie angeben, welche Klimarisiken wie Dürre, Hitze oder Hochwasser sie bis 2050 erwarten. Und zum anderen, welche Anpassungsmaßnahmen bei ihnen im Kreis oder den nachgeordneten Gemeinden unternommen werden oder schon wurden. Es geht dabei also nicht um die Vermeidung von CO2, sondern um den Umgang mit den Folgen des menschengemachten Klimawandels.

Thüringer Kommunen im Schnitt weniger vorbereitet

Feldbrände, zunehmende Hitzetage, mehr Dürremonate oder Starkregen - 96 Prozent der deutschen Landkreise und kreisfreien Städte rechnen bis 2050 mit mehr Extremwetterereignissen. In Thüringen sind es lediglich ungefähr 80 Prozent. Obwohl sich die Anzahl der Dürremonate laut Dürremonitor im Zeitraum 2018 bis 2022 im Vergleich zu 1961 bis 1991 im Schnitt in Thüringen fast vervierfacht hat, haben auffallend wenige Kommunen das Risiko ernsthaft auf dem Schirm: Nur 47 Prozent geben an, mit Dürre bis 2050 als Risiko für sich zu rechnen. Alle anderen können es nicht einschätzen oder sehen keine Probleme in dieser Hinsicht.

Mit Folgen von Hitze sehen sich 53 Prozent konfrontiert. Und Wasser- und konkret Trinkwassermangel machen 26 Prozent als ein Problem in den kommenden Jahren aus.

Hinweis zur Grafik

Als "stark betroffen" werden Kreise bewertet, die im UFZ-Dürremonitor über dem Durchschnitt in Deutschland liegen.

80 Prozent der Kreise ohne Konzept

In der Umfrage von Correctiv und den ARD-Redaktionen konnten die Kommunen auch angeben, welche konkreten Projekte die Kreise selbst oder die angeschlossenen Gemeinden umsetzen. Sprich, ob Flächen entsiegelt werden, klimaresilientere Bäume gepflanzt werden - oder ob es sogar einen Klimaanpassungsmanager oder ein konkretes Konzept gibt. Also ein zentrales Dokument, in dem Klimarisiken und Anpassungsstrategien festgehalten werden. Die Hälfte der antwortenden Landkreise gab dabei an, Bescheid zu wissen, ob in ihren Gemeinden derartige Maßnahmen umgesetzt werden.

Vor allem bei den Landkreisen wird es dünn: Hier haben in Thüringen knapp 80 Prozent der Landkreise weder ein Anpassungskonzept, noch erarbeiten sie gerade eines. In Nordrhein-Westfalen ist es genau umgekehrt: Dort haben mehr als 80 Prozent der Kreise entsprechende Konzepte oder arbeiten daran. Die kreisfreien Städte, oftmals vor allem personell besser ausgestattet, sind hierbei noch nicht einmal berücksichtigt.

Ilm-Kreis ist Vorreiter bei Kreisen

Lediglich der Ilm-Kreis kann als einziger Landkreis in Thüringen laut Umfrage momentan ein Anpassungskonzept vorweisen. Mit dem Unstrut-Hainich-Kreis und den Kreisen Saalfeld-Rudolstadt und Gotha haben sich drei weitere Kreise auf den Weg gemacht und geben an, derzeit ein Konzept zu erarbeiten.

Thüringen schneidet schlecht ab

Die MDR-Datenredaktion hat zudem alle Einzelmaßnahmen von antwortenden Landkreisen und kreisfreien Städte in einer Punktzahl zusammengerechnet. Diese Summierung ist zwar nicht ganz trennscharf, doch vergleicht man den Durchschnitt der unternommenen Maßnahmen, lässt sich festhalten:

Die Thüringer Kommunen sind bei den Klimaanpassungen tendenziell deutlich weniger aktiv als andere Regionen in Deutschland - der Wert fällt signifikant niedriger aus als im deutschen Durchschnitt. In Sachsen-Anhalt sieht es im bundesweiten Vergleich sogar noch schlechter aus.

Beispiele Kyffhäuserkreis und Weimarer Land

Einer der Kreise in Thüringen, der hervorsticht, ist der Kyffhäuserkreis. Er gibt zwar an, dass Hitze und Dürre in den kommenden 30 Jahren häufiger eine Rolle spielen werden, aber dass nur wenige Maßnahmen bislang umgesetzt werden sollen oder gar wurden. Ein Hitzeaktionsplan oder die Entsiegelung von Flächen werden zum Beispiel bislang nicht als relevant eingeschätzt.

Und auch das Beispiel Weimarer Land ist bezeichnend. Im Fragebogen gibt der Kreis an, dass er für sich Dürre als kein Risiko einschätzt. Dabei war er laut Dürremonitor zwischen 2018 und 2022 durchschnittlich 7,4 Monate pro Jahr von Dürre im Gesamtboden betroffen. Auch die allermeisten Anpassungsmaßnahmen sind offenbar "nicht relevant".

Eine Sprecherin des Landratsamtes erklärte, den Fragebogen selbst ausgefüllt zu haben, da es in keiner Fachabteilung jemanden gegeben habe, der zu dem Thema etwas sagen konnte. Dass das Weimarer Land bei Klimaanpassungen noch ziemlich am Anfang steht, ist also kein böser Wille - es gibt bislang einfach kaum Bewusstsein oder gar Strukturen für die zu bewältigenden Herausforderungen.

Gleichzeitig scheint es aber immer wieder auch am politischen Widerstand zu liegen, dass auf Kreisebene kaum Schutzvorhaben umgesetzt werden: Der Vorsitzende des Linken-Kreisverbands Apolda-Weimar und selbst Kreistagsmitglied, Kevin Reichenbach, schrieb auf Instagram, dass es bereits einen Antrag zur Erarbeitung eines konkreten Anpassungskonzeptes gegeben habe. "Der Antrag wurde u.a. mit Stimmen von CDU, FDP und AfD abgelehnt", so Reichenbach.

Viel wichtiger ist, was es uns kostet, wenn wir sie nicht umsetzen, wenn wir nicht agieren.

Christoph Schulte Umweltbundesamt

Christoph Schulte leitet am Umweltbundesamt die Abteilung Wasser und Boden. Die geplanten Maßnahmen auch wirklich umzusetzen, sei letztlich im Interesse aller, sagte er dem Rechercheteam von ARD und Correctiv. Er warnt davor, auf Maßnahmen zur Klimaanpassung aus Kostengründen zu verzichten, zum Beispiel gegen Trockenheit: "Viel wichtiger ist, was es uns kostet, wenn wir sie nicht umsetzen, wenn wir nicht agieren. Wir müssen sehen, dass die Kosten durch Trockenheit wie Ernteverluste immens sind."

Oft scheitert es am fehlenden Personal und Geld

Bezeichnend ist, dass in der Umfrage fast alle Thüringer Kommunen angeben, die als erforderlich erkannten Klimaanpassungen in den kommenden Jahren nicht ausreichend finanzieren zu können. Nur ein Beispiel: Der Landkreis Gotha sieht es als "nötig", vermehrt Flächen zu entsiegeln, hat bisher aber noch nicht das Geld dafür aufgetrieben.

Im Thüringer Umwelt- und Energieministerium hat man das auch erkannt: Das Thema sei zwar in den Kommunen angekommen, so ein Sprecher, doch vor allem "kleinere Kommunen tun sich hier deutlich schwerer, was vor allem an Personalkapazitäten liegt". Da es sich bisher nicht um eine Pflichtaufgabe handele, sei die "finanzielle und personelle Ausstattung bislang unzureichend".

Gemeindebund fordert mehr Geld

Der Gemeinde- und Städtebund Thüringen kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Er kritisiert, dass für solche Anpassungsmaßnahmen im laufenden Landeshaushalt zu wenig Geld für die Kommunen bereitstehe. Denn Klimaanpassung sei für die Gemeinden und Städte "ein relevantes Thema", so Markus Steinmeier, stellvertretender Geschäftsführer des Gemeindebunds. Viele setzten seit Jahren unterschiedliche Maßnahmen in diesem Bereich um. Aber, so Steinmeier: "Gerade in kleineren Verwaltungen sind die personellen Kapazitäten ohnehin schon an der Belastungsgrenze."

Das Umweltministerium setzt hier dagegen: "Die Förderung des Thüringer Umweltministeriums ist attraktiv", heißt es von dort. Denn finanzschwache Kommunen könnten unter anderem in Kombination mit Bundesgeldern die Kosten für Klimaanpassung komplett erstattet bekommen. Die Kommunen fragten mittlerweile auch verstärkt Fördermittel für Anpassungsmaßnahmen nach. Ein Drittel der Anträge aus dem Förderprogramm "Klima-Invest" bezieht sich laut Umweltministerium auf Vorhaben zum Hitzeschutz, Starkregen oder Niedrigwasser.

Vorreiter sind bisher vor allem Städte

Wenig überraschend ist, dass die kreisfreien Städte wie Jena oder Erfurt auch in der Umfrage gut abschneiden. In Jena gibt es nicht nur Thüringens bisher einzigen Klimaanpassungsmanager, sondern auch ein konkretes Konzept für weitere Aktionen. Jena gibt zudem an, alle geplanten Anpassungen zukünftig auch finanzieren zu können.

Aber auch kleinere Städte wie Sömmerda ziehen nach: Die Stadt hat beispielsweise im Winter einzelne Maßnahmen angekündigt und will in der Innenstadt mobile Pflanzcontainer, Wasserzerstäuber oder Sonnensegel installieren. Ermöglicht durch EU-Förderungen. Und gerade hat die Stadt Gera angekündigt, einen Hitzeaktionsplan zu aufzustellen: Sonnensegel, Brunnen und Wasserspeichermöglichkeiten sollen allesamt das Leben für die Menschen in Gera erträglicher machen - auch an Hitzetagen. Darüber hatte die Ostthüringer Zeitung (€) berichtet.

Druck könnte mit Bundesgesetz wachsen

In Zukunft könnte der Druck auf alle Kommunen aber wachsen. Am Donnerstag beschließt aller Voraussicht nach die Regierung in Berlin einen Entwurf für das Klimaanpassungsgesetz. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) will die Bürgermeister und Landräte dazu bewegen, ihre Bürger zu schützen: Nach jetzigem Stand würde es unter anderem dazu führen, dass alle Kommunen in Deutschland ein Anpassungskonzept vorweisen müssen. Ob das dann die Gemeinden oder die Kreise machen müssen, ist nicht ganz klar. Die Landkreise könnten aber kleinere Gemeinden von der Pflicht befreien, sofern sie selbst ein Konzept vorweisen können. Die Bundesländer müssten das Projekt kontrollieren und dürften auf den Mehraufwand nicht unbedingt erpicht sein.

Bund und Land sollten Maß halten, um eine Überforderung zu vermeiden.

Markus Steinmeier Stellvertretender Geschäftsführer des Thüringer Gemeindebunds

Der Thüringer Städte- und Gemeindebund kritisiert den aktuellen Stand des Gesetzesentwurf. "Bund und Land sollten Maß halten, um eine Überforderung zu vermeiden", sagt Geschäftsführer Steinmeier. "Es ist nicht ersichtlich, wie nun allein eine faktisch bundesgesetzliche Verpflichtung, Konzepte aufzustellen, die Klimaanpassung der Gemeinden und Städte in Thüringen weiter voranbringen soll", so Steinmeier. Zudem würden die Gemeinden und Städte zeitgleich vor der Herausforderung stehen, eine kommunale Wärmeplanung umsetzen und die Anforderungen des Gebäude-Energie-Gesetzes erfüllen zu müssen.

Das Thüringer Umweltministerium verweist mit Blick auf das neue Bundesgesetz lediglich auf das seit 2018 bestehende Thüringer Klimagesetz und die Klimaschutz- und Anpassungsstrategie. Inwieweit Thüringen seine Zustimmung zu dem finalen Gesetz ausdrücken will, konnte das Umweltministerium zum Veröffentlichungszeitpunkt noch nicht mitteilen.

Zur Recherche:

Die Umfrage, die der MDR auswerten konnte, wurde von Journalistinnen und Journalisten von NDR Data, WDR Quarks, BR Data und Correctiv erstellt, unter fachlicher Beratung der TU Dortmund. Angefragt wurden im Zeitraum von April bis Mai 2023 alle 400 Landkreise, kreisfreien Städte und Regionalverbände. Durch die Recherche ist der bislang umfangreichste öffentlich verfügbare Datensatz zur Klimafolgenanpassung der Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland entstanden. Der vollständige Datensatz steht hier zum Download bereit.

Die Ergebnisse der Befragung sind zwar keine repräsentative Studie. Einige Kreise oder kreisfreie Städte (drei in Thüringen) haben beispielsweise nicht teilgenommen. Zudem schneiden die kreisfreien Städte oft besser ab. Doch Tendenzen und einzelne Fallbeispiele lassen sich dennoch sehr gut aus den Antworten der Kommunen herauslesen.

Mehr zum Thema

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | THÜRINGEN JOURNAL | 13. Juli 2023 | 19:00 Uhr

404 Not Found

Not Found

The requested URL /api/v1/talk/includes/html/0d32c230-9fb8-4239-aca7-3e71d6b68a98 was not found on this server.

Mehr aus Thüringen