Debatte über Kosten für Hochrisikospiele Fan-Experte Gabler: "Sind denn diese Kosten tatsächlich notwendig?"
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19. Januar 2025, 05:00 Uhr
Wenn bei Fußballspielen verfeindete Fangruppen aufeinandertreffen, spricht die Polizei von Hochrisikospielen – und schickt mehr Einsatzkräfte als üblich. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Woche entschieden, dass die entstehenden Mehrkosten an die Veranstalter weitergegeben werden können. Über die Folgen für die Fußballkultur haben wir mit Jonas Gabler besprochen – dem Geschäftsführer von "Kofas", einer gemeinnützigen Organisation, die Vereine, Verbände und Fanclubs berät.
MDR AKTUELL: Herr Gabler, die Abkürzung Kofas steht für "Kompetenzgruppe Fankulturen und sportbezogene soziale Arbeit". Sehen Sie nach dem Urteil des Gerichtes schon erhöhten Beratungsbedarf bei den Vereinen?
Jonas Gabler: So schnell geht das nicht. Der Beratungsbedarf war vorher auch schon da. Es müssen auch nicht immer Konflikte und Probleme dahinter stecken. Es kann auch sein, dass ein Verein zum Beispiel die Dialogstrukturen mit den eigenen Fans neu aufstellen will. Und dann unterstützen wir, beraten und moderieren Formate, bei denen Fans und Vereinsvertreter zusammensitzen und sich gemeinsam Gedanken machen, wie sie das in Zukunft gestalten wollen.
Zur Person Jonas Gabler ist Politikwissenschaftler und arbeitet für die "Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit", kurz Kofas. Die gemeinnützige Organisation bietet Forschung, Beratung und Qualifizierungen zu Fußballfankultur an. Gablers Arbeitsschwerpunkt liegt bei den Themen Partizipation und Dialogförderung.
Versuchen Sie, alle an einen Tisch zu holen, oder versuchen Sie, mit jeder Gruppe, jedem Beteiligten erst einmal separat zu sprechen?
Das hängt ein bisschen vom Setting ab. Wenn es ein konfliktbehaftetes Setting ist, also wenn es zum Beispiel einen Dialogabbruch gab und bestimmte Fangruppen nicht mehr mit dem Verein in den Dialog treten wollen, dann kann es sinnvoll sein, vorbereitende Gespräche zu führen. Aber immer mit dem Ziel, dass am Ende alle an einem Tisch sind. Oft ist es so, dass von Anfang an alle dabei sind.
Wenn Sie über Hochrisikospiele reden, fragt man sich zunächst, wie diese Kategorie überhaupt entsteht. Wer legt fest, was ein Hochrisikospiel ist?
Das ist die lokale Polizeibehörde. Es gibt dort Beamte, die sich nur damit beschäftigen, die sogenannten szenekundigen Beamten, die Informationen sammeln. Es gibt auch die Landesinformationsstelle für Sporteinsätze und die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze, die dazu Informationen sammeln, auf deren Grundlage eine Entscheidung getroffen wird. Das ist aber kein offener Prozess, bei dem man viel Einfluss nehmen oder Einspruch erheben kann.
Warum aber nicht? Ich kann mir vorstellen, dass Fans und Vereine ganz andere Sichtweisen haben.
Das ist das bisherige Prozedere. Und die Polizei hat bisher auch gesagt: Das ist unser Job, das ist unsere Arbeit. Wir lassen uns da von niemandem reinreden. Es ist eine spannende Frage, inwiefern sich das in Zukunft aufrechterhalten lassen wird. Es ist so: Innerhalb der Stadion-Umfriedung, also sobald man durch die Tore durchgeht, ist es privater Raum. Und dort ist für die Sicherheit der Veranstalter zuständig, in der Regel der Fußballverein. Und alles, was außerhalb des Stadions passiert, fällt in den Zuständigkeitsbereich der Polizei.
Generell ist diese Trennung sinnvoll. Trotzdem: Wenn wir über das Thema Sicherheit beim Fußball sprechen, ist Zusammenarbeit von zentraler Bedeutung. Wenn es uns um das Thema Sicherheit geht, dann ist ja relativ egal, ob im Stadion oder um das Stadion.
In der Praxis sicherlich schwer zu trennen, richtig. Aber um die Kostenfrage zu klären, wäre das doch durchaus sinnvoll.
Bei der Kostenfrage, denke ich, wird es so sein, dass die Hauptkosten sowieso im Umfeld entstehen. Da geht es nicht darum, was im Stadion passiert, weil da der Arbeitsaufwand tatsächlich relativ überschaubar ist.
Wie richtig kann es dann aber sein, wenn die Allgemeinheit für die Sicherheit von privaten Sportveranstaltungen wie zum Beispiel Profifußball zahlt?
Eine wichtige Beobachtung ist: Der Fußball ist auch ein Steuerzahler. Einfach zu sagen, es sei der normale Bürger, der dafür bezahlt, dass der Fußball sicher ist, stimmt so einfach auch nicht. Der Fußball ist an diesen Kosten durchaus beteiligt.
Wobei im Profifußball im Hintergrund Milliarden bewegt werden.
Aber für diese Milliarden, die bewegt werden, werden natürlich Umsatzsteuern bezahlt. Wenn fünf Milliarden umgesetzt werden, dann werden in der Regel auch 19 Prozent Steuern abgeführt. Man kann diskutieren, ob das gerecht ist. Es erscheint natürlich ungerecht, wenn man sieht, wieviel Geld einzelne Personen verdienen, und auf der anderen Seite, wie klamm die Kassen der öffentlichen Hand sind.
Was mir ein bisschen in der Diskussion fehlt, ist eine kritische Betrachtung: Sind denn diese Kosten tatsächlich notwendig? Die Polizei-Einsatzzahlen sind in den letzten 25 Jahren deutlich gestiegen. Parallel sind auch die Zuschauerzahlen gestiegen, allerdings in einem prozentual geringeren Maße. Wir haben auch mehr Gewalttäter, aber auch diese Zahl steigt nicht in dem Maße wie die Polizei-Einsatzzahlen. Dann fragt man sich: Gäbe es nicht andere Möglichkeiten, diese Spiele sicher über die Bühne zu bringen, und gleichzeitig bei den Polizei-Einsatzzahlen ein bisschen einzusparen?
Ich beobachte auch im internationalen Vergleich, dass andere europäische Länder – nehmen wir zum Beispiel Großbritannien – sehr viel weiter sind. In Deutschland wird immer wie selbstverständlich davon ausgegangen, wenn gesagt wird, man brauche 1.500 Polizeikräfte, dass es dann wohl auch so sein wird.
Inwieweit sind andere Länder weiter? Ist da weniger Polizei unterwegs – und dadurch wird alles besser?
Es wird einfach evaluiert. Wir hatten die Diskussion letztes Jahr im Herbst rund um den Sicherheitsgipfel mit den Innenministern und dem Fußball. Da wurde gesagt: Die Fanprojektarbeit, also die soziale Arbeit mit Fußballfans, müsste evaluiert werden. Und dann frage ich mich: Warum muss die evaluiert werden und warum fragt niemand danach, die Polizeiarbeit zu evaluieren? Ist diese einfache Logik richtig: Mehr Kräfte bedeutet mehr Sicherheit? Oder geht es nicht um die Qualität: Wie setze ich die Kräfte ein? Welche Konzepte kommen zum Einsatz?
Manchmal hilft es, einen wirklich in Kommunikation geschulten Beamten loszuschicken anstatt zehn Beweis- und Festnahme-Beamte. Darüber könnte man sehr viel mehr diskutieren und das findet leider bis zum heutigen Zeitpunkt nicht flächendeckend in Deutschland statt.
Fehlt da ein Ansprechpartner für die Fans, bei dem sie wissen: Da kommt der Polizeiobermeister XY, das ist unser Vertrauensmann, der hat mehr Einfluss auf die Situation als eine Hundertschaft? Ist das so ein Punkt, der vernachlässigt worden ist?
Es gibt seit Jahrzehnten wirklich sehr erfolgreiche Ansätze mit sogenannten Konfliktmanagern, Teams von Leuten, die selbst eine Fanbiografie haben und zusammen mit Polizeibeamten ankommende Gästefans betreuen. Ich glaube, da gibt es viele Möglichkeiten, auch für Polizeibehörden, noch voneinander zu lernen. Meine Befürchtung ist, dass da ein Innovationsdruck verlorengeht, wenn man die Kosten einfach delegieren kann.
Was steckt denn dahinter, wenn Fans einen regelrechten Hass auf andere Fans entwickeln und dann schlicht Gewalt entsteht? Ob im oder außerhalb des Stadions?
Das ist eine Frage, die mir sehr häufig gestellt wird und die gar nicht so einfach zu beantworten ist. Ich tendiere oft dazu, einfach in die Geschichte zu schauen und zu sagen: Das hat eine lange Tradition. Das darf nicht als Rechtfertigung dienen, aber es kommt tatsächlich aus der Zeit lange vor dem Fußball. Also wenn wir über Rivalitäten zwischen Fanlagern von Köln und Düsseldorf oder Braunschweig und Hannover oder Nürnberg und Bayern München reden, dann stehen dahinter regionale Rivalitäten, die teilweise Jahrhunderte alte Tradition haben.
Kann man ja alles machen. Aber muss man sich prügeln?
Nein, und das machen auch nur die allerwenigsten. Fankultur besteht einerseits in der Unterstützung der eigenen Mannschaft und in der Abgrenzung von anderen Mannschaften, von Rivalen. Wir haben in der Zwischenkriegszeit in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebt, dass da Schusswaffen gebraucht wurden. Wir haben in den letzten 100 Jahren eine deutliche Zivilisierung der Gewalt erlebt. Wir haben auch erlebt, dass die Vereine, die in der Zwischenkriegszeit diese Rivalitäten noch angeheizt haben, heute dazu übergehen, ambivalent damit umzugehen.
Der Fußball vermarktet immer noch Rivalitäten, die Attraktivität des Fußballs besteht darin, und gleichzeitig distanziert man sich von solchen Exzessen. Und tatsächlich ist es so: Wenn 80.000 Menschen ins Stadion gehen, dann sind es einige wenige Dutzend, die tatsächlich bereit sind, Gewalt auszuüben.
Sind das dann immer die Hooligans oder mischt sich das möglicherweise auch mit den Ultras, von denen es heißt, dass sie im Stadion die Stimmung machen, als erste die Dauerkarten kaufen, die Choreografien auf die Beine stellen? Lässt sich das so klar trennen?
Es gibt natürlich auch Phänomene von Gewalt einfach zwischen einzelnen Personen. Das hat auch viel mit Alkohol zu tun und traditionellen Männlichkeitsvorstellungen und Leuten, die sich schräg angeguckt fühlen. Das haben wir aber auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen wie Volksfesten, Discos und so weiter. Im Fußball haben wir aber auch gewaltgeneigte Subkulturen. Und dazu gehören in allererster Linie die Hooligans, die es seit den 80er-Jahren gibt, die in den 90er-Jahren ihre Hochzeit hatten, sich in den 2000ern ein bisschen zurückgezogen haben, ihre Aktivitäten von den Stadien auf Felder, Wald, Wiesen verlegt haben – für vereinbarte "Drittauseinandersetzungen".
Die Ultras, die seit den 2000er-Jahren bestehen, haben diese Rivalitäten übernommen. Neben vielen anderen Sachen, die ihnen wichtig sind – Support, fanpolitisches Engagement, auch soziales Engagement – ist Gewalt auch eines ihrer Betätigungsfelder. Ich würde sagen, dass Ultras und Hooligans zu den subkulturellen Ausprägungen im Bereich der Fankultur gehören, die mal stärker, mal schwächer auch eine gewisse Gewaltneigung zeigen. Hooligans stärker – bei ihnen kann man nur dabei sein, wenn man auch zur Gewaltausübung bereit ist. Bei den Ultras kann man auch Teil sein und sagen: Ich habe eigentlich auf Gewalt keinen Bock, aber mir ist der Support wichtig.
Sie haben ein Buch geschrieben über die Szene, um ein Bild zu bekommen. Was für Fans sind Ihnen begegnet?
Erst einmal viele Männer. Die Fußball-Fankultur ist ein sehr stark männlich dominiertes Feld, und das ist auch einer der Gründe, weshalb Gewalt eine Rolle spielt. Männlichkeits-Inszenierungen, traditionelle Männlichkeitsvorstellungen. Vornehmlich junge Menschen ab dem Teenager-Alter, mit dem Schwerpunkt um die 20, Mitte 20. Was den soziokulturellen Hintergrund anbelangt: sehr unterschiedlich. Das Fußballfan-Klischee ist, dass es niedrigere formale Bildungsniveaus sind. Das trifft heute nicht mehr so zu, insbesondere für die Ultra-Kultur. Es ist sehr bunt gemischt. Es ist aber auch noch sehr weiß, und nach außen hin sehr heterosexuell. Es gibt sicherlich auch homosexuelle Ultras, in diesen sehr stark traditionellen Männlichkeitsbildern wird damit aber nicht sehr offen umgegangen.
Das Kosten-Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird nach Lage der Dinge aber viele treffen, vielleicht alle, die Fans, die Vereine, auch die Polizei wird damit umgehen müssen. Was wird eine konkrete Auswirkung sein, wird das Fußballticket jetzt teurer?
Viel hängt davon ab, wie viele andere Bundesländer jetzt nachziehen. Einige Länder haben gesagt, sie würden das prüfen. Andere Länder haben das für sich schon einmal ausgeschlossen. Im Moment ist es so, dass diese Gebührenbescheide an die DFL als veranstaltende Liga gehen, die wiederum angekündigt hat, diese Gebühren weiterzuleiten an den jeweils betroffenen Verein – also im bekannten Fall an Werder Bremen. Jetzt ist die Frage: Wie geht Werder Bremen damit um? Die müssen schon gucken, wie sie dieses Geld wieder reinholen. Da könnte tatsächlich eine Möglichkeit sein, die Ticketpreise zu erhöhen.
Es kann aber auch den Druck auslösen, sich noch mehr Gedanken dazu zu machen, wie wir vermeiden können, dass es überhaupt Hochrisikospiele sind, und zu versuchen, einen Aushandlungsprozess hinzukommen, dass Polizei einfach weniger Kosten hat. Das könnte unter Umständen auch ein positiver Effekt sein. Auf der anderen Seite, wenn andere Bundesländer nachziehen sollten, wird man sich wahrscheinlich auch mehr und mehr in der Bundesliga oder in der DFL und unter den Klubs Gedanken machen, ob man diese Kosten irgendwie versucht, solidarisch zu tragen. Aber da stehen wir wirklich noch am Anfang der Debatte und es ist auch für mich spannend, die weiteren Entwicklungen zu beobachten.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 19. Januar 2025 | 08:17 Uhr