Eine Bäckereifachverkäuferin greift nach einem Brot ins Regal
Bis Mitte November muss die Mindestlohn-Richtlinie der EU umgesetzt werden. Bildrechte: picture alliance / Sven Simon | FrankHoermann

Faktencheck Verpflichtet die EU Deutschland tatsächlich zu höherem Mindestlohn?

11. September 2024, 06:58 Uhr

12,41 Euro beträgt derzeit die Höhe des Mindestlohns in Deutschland. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) fordert nun für 2026 einen Mindestlohn von mehr als 14 Euro ein und beruft sich dabei auf eine EU-Richtlinie, die bindend sei. Darin ist für den Mindestlohn ein Referenzwert von 60 Prozent des mittleren Einkommens festgeschrieben. Arbeitgebervertreter und die FDP kritisierten Heils Vorstoß. Der Referenzwert sei schließlich nicht verpflichtend.

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Folgendes stimmt: Bis 15. November läuft die Frist für die Mitgliedsstaaten, die EU-Mindestlohn-Richtlinie umzusetzen. EU-Richtlinien sind verbindlich und Mitgliedsstaaten müssen sie im nationalen Recht verankern, erklärt Malte Lübker. Er ist Experte für Tarif- und Einkommensanalysen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Deutschland muss Referenzwert festlegen

Deutschland müsse demnach einen Referenzwert festlegen. Das kann laut Richtlinie ein üblicher Referenzwert wie 60 Prozent des Bruttomedianlohns sein, also 60 Prozent des mittleren Einkommens.

"Es gibt ein bisschen Spielraum bei der Höhe dieses Referenzwertes. Da sind die 60 Prozent Medianlohn verankert. Und das wird auch in anderen Ländern so umgesetzt, aber es ist eine Kann-Vorschrift. Wir könnten als rein theoretisch sagen, wir nehmen in Deutschland 58 Prozent des Medianlohns. Das wäre natürlich was, was den Sinn der Richtlinie untergräbt und es wäre auch eine beispiellose Blamage, wenn wir als einziges EU-Land sagen, wir schaffen das mit den 60 Prozent Medianlohn nicht."

Medianlohn statt Bruttolohn als Referenz

Im Gegensatz zum Durchschnittslohn werde der Medianlohn nicht von ganz hohen Löhnen verfälscht, weil die Hälfte der Beschäftigten mehr und die andere Hälfte weniger Geld bekommt. Dieser Wert würde Klarheit schaffen, sagt Lübker. Es gebe aber auch Analysen, aus denen hervorgeht, dass das deutsche Mindestlohngesetz die EU-Richtlinie bereits erfüllt.

"Es gibt tatsächlich ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das den ganzen Inhalt der europäischen Mindestlohnrichtlinie in dieses Wort Gesamtabwägung hineininterpretiert. Also, dass die Mindestlohnkommission im Rahmen der Gesamtabwägung auch die ganze Richtlinie mitberücksichtigt. Das ist so ein bisschen eine Hilfskonstruktion."

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Volkswirt sieht keinen Handlungsbedarf

Die Gutachten zeigen, es gebe keinen Handlungsbedarf, findet hingegen Cornelius Plaul, Volkswirt des arbeitgebernahen Instituts für Mittelstands- und Regionalentwicklung in Dresden. "Die Kennzahlen, die in der EU-Richtlinie vorgegeben sind, sind eben auch in dem deutschen Gesetz schon drin. Solche Aspekte, wie das Verfahren abläuft, dass es alle zwei Jahre aktualisiert werden muss, welche Partner in diesen Gremien sind – alles das ist schon erfüllt."

Plaul rechnet vor, die Steigerung des Mindestlohns sei seit dessen Einführung deutlich höher als die Steigerung von Wirtschaftsleistung, Produktivität und Inflation. Der Mindestlohn sei schon 2022 außerplanmäßig kräftig angepasst worden.

DGB: Letzte Erhöhung des Mindestlohns unterdurchschnittlich

Anders sieht es der Deutsche Gewerkschaftsbund. Der Vorsitzende in Sachsen, Markus Schlimbach, sieht Nachholbedarf. Die letzte Erhöhung 2024 sei unterdurchschnittlich gewesen. "Wir haben in Sachsen schon das Problem, dass immer noch über 200.000 Menschen nur Mindestlohn bekommen. Die Lohnentwicklung ist eines der großen Probleme, viele haben nicht genug zum Leben."

Würde der Referenzwert 60 Prozent des mittleren Einkommens umgesetzt, könnte der Mindestlohn in zwei Jahren auf etwa 15 Euro steigen. Aktuell sind es 12,41 Euro. 12,82 Euro ab nächstem Januar. Die Mindestlohnkommission muss dann in der ersten Hälfte des kommenden Jahres einen Vorschlag machen, wie es 2026 weitergeht.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 11. September 2024 | 06:48 Uhr

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