Lale Akgün, SPD-Politikerin und Autorin
Lale Akgün (SPD): "Viele Türken in Deutschland bewegen sich in einer Parallelwelt." Bildrechte: IMAGO / Sven Simon

SPD-Politikerin Akgün Warum viele Deutsch-Türken Erdogan gewählt haben

30. Mai 2023, 14:12 Uhr

Nach Ansicht der SPD-Politikerin Lale Akgün entstammen viele Erdogan-Wähler in Deutschland besonders konservativen Familien mit niedrigem Bildungsstand, die in einer Parallelwelt leben. Akgün hält es für möglich, dass nach Erdogans Wiederwahl enttäuschte und gut ausgebildete Türken nach Deutschland kommen, die man angesichts des Arbeitskräftemangels gut gebrauchen könne.

Die SPD-Politikerin und Autorin Lale Akgün sieht mehrere Gründe für den Wahlerfolg des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei Türken in Deutschland. Akgün sagte MDR AKTUELL, zum einen seien vor knapp 60 Jahren vor allem sozial benachteiligte Menschen aus Mittelanatolien eingewandert. Sie seien sehr konservativ gewesen und hätten diese konservative Haltung an ihre Kinder und Enkel weitergegeben. Zum anderen würden Moschee-Vereine wie Ditib oder Milli Görüs in Deutschland Propaganda für Erdogan machen.

Parallelwelt und patriarchalische Strukturen

Nach Ansicht von Akgün bewegen sich viele Türken in Deutschland zudem in einer Parallelwelt, weil sie nur türkischsprachige Medien nutzten und in sehr patriarchalischen Familienstrukturen lebten. Erdogan sei für diese Leute eine Art Vaterfigur. Was die 20- bis 30-Jährigen Erdogan-Wähler in Deutschland angeht, verwies die SPD-Politikerin darauf, dass bei vielen ihrer Familien der Bildungsstand nicht besonders hoch sei.

Zudem gab Akgün zu bedenken, dass nur türkische Staatsbürger und Doppelstaatler an türkischen Wahlen teilnehmen dürften. Von den drei Millionen Türken in Deutschland seien das 1,5 Millionen. Diejenigen, die "in Deutschland angekommen" seien, seien deutsche Staatsbürger.

Migration gut ausgebildeter Türken

Auf die Frage, ob sich Deutschland nach Erdogans Wiederwahl auf eine Migrationswelle enttäuschter Regierungskritiker aus der Türkei vorbereiten müsse, sagte Akgün, es werde dann "genau umgekehrt" sein. Dann würden die gut Ausgebildeten kommen. Es würden nicht Leute kommen, die Erdogan wählten, sondern Leute, die nicht Erdogan wählten. Man könne sich auf eine gut ausgebildete Gruppe einstellen, die man in Deutschland angesichts des Arbeitskräftemangels auch gut gebrauchen könne.

Man kann sich auf eine junge, gut ausgebildete Gruppe einstellen, die fließend Englisch spricht, die zum Teil auch Deutsch spricht. Also es werden Leute kommen, die man in Deutschland auch gut gebrauchen kann angesichts des Arbeitskräftemangels.

Lale Akgün (SPD) MDR AKTUELL - Das Nachrichtenradio

67 Prozent der Stimmen in Deutschland für Erdogan

Erdogan war bei der Präsidenten-Stichwahl in der Türkei am Sonntag mit 52,14 Prozent wiedergewählt worden. Bei den in Deutschland lebenden 1,5 Millionen wahlberechtigten Türken fiel die Zustimmung für Erdogan sogar noch klarer aus. Wie die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, haben 732.000 Wahlberechtigte ihre Stimme abgegeben. Davon hätten mehr als 67 Prozent der Deutsch-Türken für den Amtsinhaber gestimmt. In zahlreichen deutschen Städten gingen Anhänger Erdogans am Sonntagabend auf die Straße und feierten den Wahlsieg, darunter in Duisburg, Berlin und Hamburg.

Lale Akgün Lale Akgün wurde 1953 in Istanbul geboren, kam als Kind nach Deutschland, machte hier Abitur, studierte Medizin, Völkerkunde und Psychologie in Marburg. 1980 nahm sie die deutsche Staatsbürgerschaft an. 1982 trat sie in die SPD ein. 2002 und 2005 wurde Akgün jeweils als SPD-Direktkandidatin in den Bundestag gewählt. Migrationspolitik ist einer ihrer Schwerpunkte. Sie votierte für die Gründung eines Verbandes liberaler Muslime. 2018 erschien ihr Buch "Platz da! Hier kommen die aufgeklärten Muslime. Schluss mit der Vorherrschaft des konservativen Islams in Deutschland", in dem sie Fehlentwicklungen der deutschen Islampolitik kritisierte.

MDR (dni)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 30. Mai 2023 | 10:37 Uhr

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