Autobranche im Wandel Transformation setzt Zulieferer in der Region unter Druck
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18. November 2023, 05:00 Uhr
Die Probleme im E-Werk von VW in Zwickau haben zuletzt ein Schlaglicht auf die Branche geworfen. Die Transformation zur Elektromobilität läuft nicht so reibungslos wie erhofft. Eine Reihe von angekündigten Werksschließungen bei Zulieferern in der Region nähren die Sorge, dass sich besonders die Kleinen an den Herausforderungen des Wandels überheben könnten. Branchenkenner fürchten keine Pleitewelle, aber die Lage sei angespannt.
Ende des Jahres gehen bei Sumitomo im sächsischen Oberseifersdorf endgültig die Lichter aus. Plötzlich kommt das Ende nicht. Seit 2018 mit Ford ein Großkunde weggebrochen ist, kann das Unternehmen nicht mehr wirtschaftlich Getriebe- und Motorenteile aus Sintermetall produzieren. Ohne Aufträge und Zuschüsse der japanischen Muttergesellschaft wäre schon damals Schluss gewesen, sagt Controller Rolf Hinke.
Wenn Sie auf etwas hundertprozentig ausgerichtet sind und das bricht weg, dann ist das so. Da gibt es keine Alternative. Im Prinzip müsste man das komplette Produktionsprofil umstellen.
Auf andere Produkte umzuschwenken, sei nicht möglich gewesen, sagt Hinke. "Wenn Sie so auf etwas hundertprozentig ausgerichtet sind und das bricht weg, dann ist das eben so. Da gibt es keine Alternative. Im Prinzip müsste man das komplette Produktionsprofil umstellen." Dazu kommt der Umstand, dass durch das absehbare Verbrenner-Aus die Nachfrage nach entsprechenden Motoren- und Getriebeteilen weiter sinken wird. Aber der Wandel hin zur E-Mobilität ist nicht das einzige Problem. Und Sumitomo ist auch nicht der einzige Verlierer.
Einige Zulieferer in der Region haben Probleme, bereits dichtgemacht oder das in nächster Zeit vor. GKN in Mosel, Marelli in Brotterode, Lear in Eisenach oder Magna in Roitzsch - sie alle werden schließen. Und sie alle schließen aus unterschiedlichen Gründen. Mal wechselt die Produktion ins Ausland, mal produziert die Konkurrenz günstiger, mal fehlen die Anschlussaufträge.
Planungshorizont für Automobil-Zulieferer hat sich drastisch verkürzt
Es seien unsichere Zeiten für kleine und mittlere Zulieferer, sagt Rico Chmelik, Geschäftsführer des Branchennetzwerks Automotive Thüringen. Produktionsmaterial, Stückzahlen, Schichtplanung – das alles habe man noch vor wenigen Jahren bis zu sechs Monate im Voraus planen können. "Das hat sich bei einigen Zulieferbetrieben auf bis zu eine Woche verkürzt. Das heißt, wir haben die hohen Schwankungen, weil man nicht genau weiß, was in der nächsten Zeit zu erwarten ist."
Dazu komme die Unsicherheit bei den Energiepreisen, erklärt Chmelik. Ein Thema, das die gesamte Branche umtreibt. Wie entwickelt sich der Strompreis? Wie entwickelt sich die Versorgungslage beim Gas? Zusätzlich leide man unter dem Fachkräftemangel, so Chmelik. "Und dieser Mix aus Aspekten, die gleichzeitig auf die Zulieferindustrie einwirken, führt zu dieser volatilen Situation."
"Die Autobranche hat immer eine Zukunft"
Unbeständig, aber nicht existenzgefährdend. Die Autobranche habe immer eine Zukunft, ist sich Chmelik sicher. Das sehe man auch an den Investitionszahlen der Hersteller. Nach Angaben des Verbands der Automobilindustrie stecken Hersteller und Zulieferer bis 2027 über 250 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung.
Dabei handelt es sich aber um die Großen der Branche, also um Unternehmen und Konzerne, die über genug Kapital, Personal und Einfluss verfügen, um ihre Transformation in diesen schwierigen Zeiten zu gestalten. Eine Transformation, die sich nicht nur auf die Antriebstechnologie beschränkt. Denn auch viele Produktionsprozesse müssen mit Blick auf ihre Emissionen grundlegend umgestellt werden. Das stellt viele kleinere Firmen vor zusätzliche Probleme.
CO2-neutrale Produktion als zusätzliche Herausforderung
"Die klassischen Mittelständler brauchen Geld für die Transformation, für Investitionen in neue Produkte", sagt Dirk Vogel, Netzwerkmanager des Netzwerks der Automobilzulieferer Sachsen, AMZ.
Ich muss investieren, um irgendwann CO2-neutral zu produzieren, PV-Anlagen bauen, andere Anlagentechnik. Das sind Investitionen, ohne, dass ich neue Produkte bekomme.
Andere Investitionen, nämlich solche für CO2-Neutralität, bekämen die Unternehmen aufgedrückt, resümiert Vogel. "Das heißt, ich muss investieren, um irgendwann CO2-neutral zu produzieren, PV-Anlagen bauen, andere Anlagentechnik. Das sind Investitionen, ohne, dass ich neue Produkte bekomme. Und das heißt, die Wettbewerbsfähigkeit wird deswegen schlechter, weil dieses Investitionsmittel ja für neue Produkte und Prozesse fehlt".
Branchenverband befürchtet keine Pleitewelle
Eine Pleitewelle, wie es die jüngsten vollzogenen und angekündigten Werkschließungen vermuten lassen, sieht auch Vogel nicht auf die Branche zurollen. Wohl aber werde es einzelne Unternehmen treffen, deren Produkte nicht mehr gebraucht würden, die die vielfältigen Herausforderungen nicht schultern können. Das gilt besonders für Betriebe, die ausschließlich am sogenannten Powertrain arbeiten, also im Bereich Motor, Antriebsstrang oder Abgasreinigung. Das Center of Automotive Management, CAM, rechnet damit, dass in der Branche durch den Umstieg auf Elektromobilität rund 20 Prozent der Jobs nicht mehr benötigt werden.
Eines ist klar: Wer künftig auf diesem Markt bestehen will, wird sich verändern müssen. Aber wie soll das gehen, wenn die Mittel für Forschung und Entwicklung fehlen? Diese Frage wiegt im Osten ungleich schwerer als im Westen, weil es strukturell erhebliche Unterschiede gibt. Denn auch wenn Autobauer wie VW, BMW und Porsche große Werke in Mitteldeutschland betreiben, die Branche hier über 180.000 Menschen beschäftigt – die Entscheidungen werden woanders getroffen.
Kaum Forschung und Entwicklung in mitteldeutschen Betrieben
Der Osten gilt als "verlängerte Werkbank" westdeutscher Konzerne, heißt es etwa in einem Branchenausblick des Fraunhofer-Zentrums für internationales Management und Wissensökonomie. "Faktisch gibt es keine Konzernzentrale in Ostdeutschland“, sagt Fraunhofer-IMW-Institutsleiter Christian Growitsch. Meistens seien die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in den Konzernzentralen angesiedelt. "In der Konsequenz heißt das, dass in Ostdeutschland im Bereich der Automobilproduktion auf der großen Konzernebene wenig Forschung und Entwicklung stattfindet. Und das ist natürlich eine Herausforderung."
Eine enorme Herausforderung, die man aber meistern könne. Eine Möglichkeit für Betriebe kann dabei sein, Forschung und Entwicklung auszulagern, etwa an Universitäten oder andere öffentliche wie private Einrichtungen. In Sachsen gebe es dafür einige gute und erfolgreiche Beispiele aus den vergangenen 30 Jahren, so Growitsch. Darauf müsse man aufbauen.
Es braucht eine gemeinsame Kraftanstrengung von Wirtschaft und Politik. Was es wirklich braucht, ist ein Ziel. Die Unternehmen müssen wissen, in welche Richtung sie sich weiterentwickeln müssen.
Die zuständigen Landesministerien sehen diese Notwendigkeit auch und verweisen auf eine Reihe von Förderprogrammen. Aber offenbar reichen die bislang nicht aus. In vielen Betrieben herrsche große Unsicherheit, wie es weitergeht, sagt Growitsch. Das sei problematisch, denn die Kernaufgabe der Branche sei eine zielgerichtete Transformation. "Ich glaube, es braucht tatsächlich eine gemeinsame Kraftanstrengung von Wirtschaft und Politik. Was es aber wirklich braucht, ist ein Ziel. Die Unternehmen müssen wissen, in welche Richtung sie sich weiterentwickeln müssen. Ich glaube, das ist noch nicht bei allen völlig klar, aufgrund der Komplexität der Gemengelage."
Der Politik sei es bislang nicht gelungen, eine gemeinsame, eine klare Vision zu zeichnen, sagt Growitsch, der aber auch die Unternehmerseite in die Pflicht nimmt. Die Menschen im Osten hätten Erfahrung mit Transformationen, die man nutzen müsse. Einigen Unternehmen fehle es an Wagemut, glaubt der Forscher. In Krisenzeiten müsse man aber auch etwas wagen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 18. November 2023 | 06:00 Uhr