Digitalisierung Trotz Onlinezugangsgesetz: Verwaltung immer noch größtenteils analog

25. Januar 2023, 05:00 Uhr

Den Personalausweis beantragen oder das Auto anmelden – Spätestens seit Jahresbeginn müsste das eigentlich alles online gehen. Denn seit dem 1. Januar gilt das sogenannte Onlinezugangsgesetz. Es verpflichtet Bund, Länder und Kommunen dazu, ihre Verwaltungsleistungen auch digital anzubieten. Die Realität aber sieht anders aus.

Wer in Schönebeck illegale Müllentsorgung oder Straßenschäden melden will, kann das per Mausklick machen. Über ein Online-Formular auf der Homepage der Stadt. Viele andere Dienstleistungen dagegen sind noch nicht vollständig digital möglich.

Antragsformulare, etwa für Wohngeld, stehen zwar auf der Internetseite, müssen dann aber per E-Mail oder postalisch an die Verwaltung geschickt werden, sagt Sprecher Frank Nahrstedt. "Wir sind dabei, das weiter auszubauen. Wir haben jetzt auch gerade Gespräche, um unsere Online-Serviceangebote in naher Zukunft auch erweitern zu können und zum Beispiel auch Melderegister oder Beantragung von Personalausweisen und ähnlichem dann auch online anbieten zu können."

Expertin kritisiert Vorgehensweise vom Gesetzgeber

Nicht nur in Schönebeck ist der rein digitale Behördengang noch Zukunftsmusik. In ganz Deutschland sind die Ämter auf dem Weg zur digitalen Verwaltung noch längst nicht am Ziel. Sämtliche Anträge sollten nach dem Onlinezugangsgesetz bereits seit dem 1. Januar digital möglich sein. Laut Bundesinnenministerium sind von den insgesamt 575 Verwaltungsdienstleistungen aber nur 33 in ganz Deutschland flächendeckend online verfügbar.

Der Plan, dass alles digital sein muss, sei von Anfang an zu groß gewesen, sagt Moreen Heine. Sie ist Professorin für E-Government und Open Data Ecosystems an der Universität zu Lübeck. Statt allen Dienstleistungen hätten nur einzelne, stark nachgefragte digitalisiert werden müssen, so die Expertin.

Außerdem habe man sich zu stark auf die Anliegen der Bürger konzentriert und die Verwaltung selber außer Acht gelassen: "Ich habe nichts davon, wenn ich einen digital ausgefüllten Antrag bekomme und den als Sachbearbeiterin händisch in eine Fachanwendung übertragen muss. Dann kann man nicht nachvollziehen, wo die Vorteile der Digitalisierung liegen. Und man kann diese Vorteile nicht ausschöpfen."

Komplizierte Ämterstruktur hemmt schnelle Digitalisierung

Um die Digitalisierung voranzutreiben, brauche es nicht nur neue Hard- und Software, findet Thomas Meuche vom Kompetenzzentrum Digitale Verwaltung in Hof. Zusammen mit Kollegen hat er 360 Verwaltungen zum Stand ihrer Digitalisierung befragt.

Das Ergebnis: Oft steht die komplizierte Ämterstruktur dem Prozess im Weg. "Wenn ich Strukturen habe, wie ich sie in der öffentlichen Verwaltung habe, das heißt sehr stark hierarchisiert, ein sogenanntes Ein-Linien-System. Das heißt es gibt immer eine vorgesetzte Instanz und eine nachgeordnete und dann muss die Kommunikation immer nach oben gehen und von oben wieder nach unten und es gibt keine Querverbindungen zwischen Abteilungen, dann widerspricht das einem guten digitalisierten Prozess."

Grünenpolitikerin: Forderung nach bürgerfreundlicher Verwaltung

Das Onlinezugangsgesetz wird momentan noch einmal überarbeitet. In der neuen Fassung müsse auch eine bürgerfreundliche Verwaltung stärker in den Fokus genommen werden, fordert Grünenpolitikerin Misbah Khan. Die Bundestagsabgeordnete ist Mitglied im Digitalausschuss.

Sie sieht in einer digitalen Verwaltung auch Chancen für eine bessere Sozialpolitik: "Dann hätte ich über eine App, über eine Homepage den Hinweis: Übrigens du bist jetzt nicht mehr Bafög-berechtigt, aber es sieht ja ganz gut aus, du könntest Wohngeld beantragen. Das ist ein proaktives Handeln des Staates."

Die neue Fassung des Onlinezugangsgesetzes soll keine Frist zur Umsetzung enthalten. Nachdem bisher die Ziele verfehlt wurden, will sich die Bundesregierung beim Zeitraum offenbar lieber nicht noch einmal festlegen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 25. Januar 2023 | 06:00 Uhr

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