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Interview Lernen aus Digitalisierungsfehlern

02. Juli 2022, 18:39 Uhr

Bei der Digitalisierung in Unternehmen werden immer wieder die gleichen Fehler gemacht. Das meint IT-Fachmann Jörg Müller aus Magdeburg. Deshalb sammelt er sie jetzt für eine Internetseite. Daraus sollen alle lernen. Ein Interview.

Ein großer Mann mit Locken und Brille steht vor einer Betonwand.
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Jörg Müller ist seit mehr als 20 Jahren in der IT tätig. Er ist Mitorganisator des "SAP-Stammtischs Magdeburg". Dort reden IT-Interessierte unter anderem darüber, wie die Digitalisierung in Unternehmen vorankommt. Jetzt hat er eine Internetseite gestartet, auf der er gute und schlechte Beispiele für die Digitalisierung in Unternehmen zu sammelt.

MDR SACHSEN-ANHALT: Was hat Sie dazu bewogen, die Internetseite zu erstellen?

Jörg Müller: Wir haben Anekdoten aus 20 Jahren. Am schönsten sind natürlich die, die jemand anderem peinlich sind. Ich glaube, man braucht solche Beispiele, um selbst aus der eigenen Betriebsblindheit herauszukommen und selbst nicht dumm zu handeln. Und auf unseren Stammtischen, hinter verschlossenen Türen, diskutieren wir offen. Auf den vergangenen SAP-Stammtisch-Treffen hatten wir wieder einige schöne Zitate und Geschichten gehört. Und da ist die Idee geboren, dass man solche Sachen anonym aufschreiben und öffentlich machen sollte, damit die nicht alle denselben Fehler machen oder sich auf bestimmte Sachen auch vorbereiten können.

Jörg Müller, SAP-Stammtisch Magdeburg
Jörg Müller ist Mitorganisator des SAP-Stammtisches in Magdeburg. Er sammelt jetzt gute und schlechte Beispiele für Digitalisierung in Unternehmen. Bildrechte: MDR/privat

Geht es dabei um Fehler im Umgang mit der Technik oder um Fehler der Menschen, in der Kommunikation zum Beispiel?

Es geht um die Herausforderungen, um am Ende mit der Technik erfolgreich zu sein. Ich habe einmal den Spruch gehört: "Computer sind die Dampfmaschinen des 21. Jahrhunderts und wir sind nur zu dumm, sie zu nutzen."

Es beherrschen nicht alle den Computer. Und ich meine damit nicht, man muss programmieren können, sondern man muss die Technik dahinter verstehen.

So kann man einschätzen, ob einem die Maschine Arbeit abnehmen kann oder nicht.

Was ist denn ein typisches Beispiel dafür, wie ein Digitalisierungsvorhaben in einem Unternehmen scheitert?

Ein Unternehmen, das teure Produkte verkauft und sich für eine neue Software entschieden hat: Neue Kunden können dort bis zu 100.000 Euro bestellen, Bestandskunden bis zu zwei Millionen. Das ist üblich und es gibt Mechanismen, wenn zum Beispiel ein Bestandskunde fünf Aufträge parallel aufgibt und schnell bei über zwei Millionen ist. In mittelständischen Unternehmen und in Großunternehmen läuft dieser Mechanismus häufig noch händisch: Die Verkaufsabteilung gibt den Vorgang an eine andere Abteilung, die den Auftrag dann freigibt. Das dauert bis zu drei Tage.

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Mit der neuen Software lässt es sich quasi so regeln, dass der Kunde seinen Auftrag aufgibt und eigentlich danach die Produktion schon startet. Bei dieser Firma war es dann so, dass es eine Riesendiskussion gab und die Geschäftsführung am Ende entschieden hat, diesen Automatismus aus der Software wieder auszubauen. Es dauert für den Kunden jetzt also weiter drei Tage. Und wir machen Sachen, die nicht notwendig wären.

Vermutlich hatten die Menschen Angst um ihre Arbeitsplätze.

Es war immer klar, dass in dem Unternehmen niemand entlassen wird. Es ging um veränderte Arbeitsabläufe. Und 80, 90 Prozent der am Projekt beteiligten Mitarbeiter hatten genau das als Ziel gesetzt: dass die Kunden schneller ihre Aufträge bekommen.

Wie erklären Sie sich so etwas?

Es ist sicher eine Mischung aus vielem. Veränderungsunfähigkeit oder -unwilligkeit zum Beispiel. Die hat jeder von uns. Wenn wir uns an Sachen gewöhnt haben, die wir gut finden, dann fällt es schwerer, uns zu verändern.

Aber es geht auch um Machterhaltungstrieb und Egoismen, die man sich eigentlich im Unternehmen nicht leisten kann.

Eine Software macht vieles transparent und schafft bestimmte Kanäle ab. Eine Hand wäscht die andere, ist dann nicht mehr so einfach möglich. Bei Automatisierungsprojekten geht es um das Verständnis des Getriebes: Es läuft nur, wenn alle Räder mitmachen. Sobald sich ein Rad anders dreht, läuft es nicht. Und dieses Verständnis ist in Unternehmen leider oft nicht da, weil jedes Rädchen nicht mit den anderen in Konflikt kommen oder ein ruhiges Leben haben will.

Wie lässt sich so etwas ändern?

In guten Projekten arbeiten unterschiedliche Menschen zusammen und bauen so auch Vertrauen und Verständnis zu und füreinander auf. Denn der normale Mitarbeiter im Unternehmen weiß teilweise nicht, was das Unternehmen eigentlich macht. Er kennt nur seine Abteilung und arbeitet so, wie es ihm immer schon gezeigt wurde. Und es ist erschreckend, dass sich Leute in Großunternehmen, die Tür an Tür sitzen, teilweise nicht einmal kennen und auch nicht wissen, was sie tun.

Gehört auch dazu, dass man zugeben kann, bestimmte Dinge einfach nicht zu verstehen oder zu wissen?

Es ist eine Typfrage, ob man zugeben kann, dass man etwas nicht weiß. Dabei geht es um Stolz oder Egoismus. Vielleicht geht es bei Führungskräften auch um Überforderung, weil sie es nicht mehr verstehen und trotzdem entscheiden müssen. Im europäischen Raum gibt es ja nicht die Mentalität, mal offen über Fehler zu reden oder zu sagen, tut mir leid, ich brauche Hilfe.

Und gibt es auch positive Beispiele, wie Digitalisierung gut funktionieren kann?

Die ersten positiven und negativen Beispiele sind bereits auf unserer Projektseite online abrufbar. Da hoffe ich, dass noch andere mitmachen und weitere Beispiele hinzukommen. Also es gibt sie, aber auch die werden nicht offen genannt. In der IT ist es so, wenn es schlecht läuft, steht es in der Zeitung. Wenn es gut läuft, interessiert es keinen.

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Was wünschen Sie sich, was aus Ihrem Projekt wird?

Ich habe vor zwei, drei Jahren einen sehr ehrlichen Vortrag gehalten und Klartext geredet, was bei meinem – am Ende erfolgreichen – Projekt alles so schiefgelaufen ist. Wenn das betroffene Unternehmen so etwas veröffentlicht hätte, wäre etwas Weichgespültes herausgekommen. Aber ich habe gemerkt, dass so das Eis bricht. Und eine Person, die beim Vortrag dabei war, hat mir später gesagt, dass sie in derselben Situation dann vorbereitet war. Ein wenig so, als würden zwei Wanderer loslaufen, einer nur kurze Hosen dabei hat und dann die Mücken kommen. Wenn man vorher weiß, was man mitnehmen muss, ist es einfacher.

MDR (Marcel Roth)

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