Erfolgsmodell auf der Kippe Den Preis fürs Deutschland-Ticket senken – um Mehrkosten zu decken?

22. Oktober 2023, 16:10 Uhr

Fast zehn Millionen Deutschland-Tickets werden jeden Monat verkauft, auch in Mitteldeutschland gibt es jeden Monat mehr Nutzende. Aber die Erfolgsgeschichte ist in Gefahr, denn die Finanzierung wackelt. Ob es weitergeht, entscheidet sich Anfang November. Ein radikaler und paradox anmutender Lösungsvorschlag ist, den Ticketpreis zu senken.

Geht es nach den Verkehrsverbünden, ist das Deutschland-Ticket eine echte Erfolgsgeschichte. Seit der Einführung kauften sich deutschlandweit neun bis zehn Millionen Menschen pro Monat ein solches Abo, wie aus einer Umfrage des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hervorgeht.  

In Teilen von Mitteldeutschland stiegen die Verkaufszahlen seit der Einführung sogar kontinuierlich. Der Verkehrsbund Oberelbe (VVO) verkaufte im Mai noch rund 74.000 Deutschland-Tickets, im August waren es schon 128.000. Beim Verkehrsbund Mittelthüringen (VMT) gab es einen Anstieg von 60.000 auf rund 83.000 Deutschland-Tickets.  

"Die Nutzung geht in allen Bereichen nach oben, es gibt eine deutliche Nachfragesteigerung", sagt Christoph Heuing, Geschäftsführer des VMT. Auch insgesamt hatte das Deutschland-Ticket die Nutzungszahlen von Bus und Bahnen laut Statistischem Bundesamt nach oben getrieben. Aus einer Umfrage des Verkehrsdachverbands VDV geht hervor, dass 47 Prozent der Deutschland-Ticket-Nutzer schon vorher ein Abo hatten, 42 Prozent waren Gelegenheitsfahrer und acht Prozent hatten den ÖPNV vorher nicht genutzt.

Deutschland-Ticket: Problem Finanzierung 

Deshalb sind sich Bund, Länder und Verkehrsunternehmen eigentlich einig, dass das Ticket auch im kommenden Jahr angeboten wird – und das möglichst weiter zum Preis von 49 Euro. Doch derzeit ist unklar, ob es soweit kommt. Grund ist der seit Wochen tobende Streit zwischen Bund und Ländern um die weitere Finanzierung.  

Denn da viele Menschen von ihren bisherigen Abos auf das günstigere Deutschland-Ticket gewechselt sind, entstehen den Verkehrsunternehmen massive Einnahmeausfälle. Im laufenden Jahr wird damit gerechnet, dass der Staat rund drei Milliarden Euro zusteuern muss. Diesen Betrag teilen sich Bund und Länder. Doch im kommenden Jahr wird der Betrag wohl auf rund vier Milliarden Euro steigen.  

Die Länder haben schon zugesagt, dass sie die Hälfte der Zusatzkosten übernehmen. Bei einem Treffen Mitte Oktober demonstrierten die Regierungschefs der Länder Einigkeit. In einem Beschluss hieß es später: "Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder halten einen Mechanismus ab dem Jahr 2024 für erforderlich, wie eine auskömmliche Finanzierung des Deutschland-Tickets in gemeinsamer Verantwortung mit dem Bund zu gewährleisten ist. Sie fordern den Bund auf, einen solchen Mechanismus gemeinsam mit den Ländern im Hinblick auf die zeitliche Dringlichkeit unverzüglich zu entwickeln."

Allein der Mitteldeutsche Verkehrsbund (MDV) rechnet durch das günstige Deutschland-Ticket mit weniger Einnahmen von jährlich 15 bis 20 Millionen Euro. Der MDV fordert nun eine schnelle Entscheidung. 

 FDP-Ministerium will nicht mehr Geld geben 

Doch das FDP-geführte Bundesverkehrsministerium sperrt sich bisher, die Mittel ebenfalls freizugeben. Auf eine Anfrage des MDR verweist eine Ministeriumssprecherin lediglich auf die ursprüngliche Finanzierungszusage von 1,5 Milliarden Euro für die Jahre 2023 bis 2025. Zudem verweist die Sprecherin auf Regionalisierungsmittel, die für den ÖPNV zur Verfügung gestellt würden. 

Eine Einigung ist bisher also nicht in Sicht. Die könnte es am 6. November geben – dann treffen sich in Berlin die Ministerpräsidenten der Länder und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und werden wohl auch über das Deutschland-Ticket sprechen. Sollte es keine Verständigung über die Finanzierung zwischen Bund und Ländern geben, würde der Abopreis wohl steigen – oder das Ticket ganz abgeschafft werden.

Eine Entscheidung zum Ticket kommt für die Unternehmen ohnehin sehr spät, sagt Christoph Heuing vom VMT. "Normalerweise sind die Vorlaufsfristen im ÖPNV viel größer." Wichtig sei nun, dass man auf die hohe Nachfrage nach dem Ticket richtig reagiere, indem man die Finanzierung dafür sichere und den Ausbau des ÖPNV-Angebotes vorantreibe.

49-Euro-Ticket: Verkehrsforscher will Preissenkung 

Für einen radikalen Weg wirbt der Mobilitätsforscher Andreas Knie. Er forscht am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Knie plädiert dafür, das 49-Euro-Ticket auf 29 Euro abzusenken. Knie sagte dem MDR, dadurch ließe sich eine Flut an neuen Kunden gewinnen. Nach bisherigen Erkenntnissen rechne er damit, dass sich für ein 29-Euro-Ticket 20 bis 30 Millionen Menschen zusätzlich entscheiden würden. Das würde eine Menge Geld in die Kasse spülen. Dabei würden viele das Ticket nur als Reserve halten – oder gelegentlich fahren. So hätte man auch keine Finanzierungsprobleme mehr. Dagegen habe das 49-Euro-Ticket dem ÖPNV bisher nur mehrere Hunderttausend neue Kunden gebracht. 

Zudem sprach sich Knie dafür aus, statt vieler regionaler Verkehrsverbünde eine bundesweit gültige Struktur zu schaffen. Der bürokratische Aufbau der einzelnen Verkehrsverbünde mache etwa 50 Prozent der Kosten aus. Diese 50 Prozent ließen sich durch eine einheitliche "Konditionsstruktur" einsparen. 

Fünf Prozent weniger Autofahrten dank D-Ticket 

Laut dem Verkehrsverband wären fünf Prozent der Fahrten mit dem Deutschland-Ticket sonst mit dem Auto gemacht worden. Auf ähnliche Werte kam eine Umfrage der TU München. Doch richtig ist auch, dass das Ticket vor allem von Menschen in städtischen Regionen genutzt werden, wie die VDV-Befragung ergeben hat. Denn auf dem Land fehlen schlicht oft richtige ÖPNV-Angebote.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 21. Oktober 2023 | 06:00 Uhr

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