EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen während einer Rede. 11 min
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Fragwürdiger Corona-Impfstoff-Deal Warum ein belgischer Staatsbürger Ursula von der Leyen verklagt

29. Juli 2024, 10:38 Uhr

Ein Belgier verklagt Ursula von der Leyen wegen Korruption und Vernichtung öffentlicher Dokumente. Sein Vorwurf: Sie soll während der Pandemie mit SMS einen milliardenschweren Impfstoffdeal auf den Weg gebracht haben. Die Textnachrichten werden aber nicht offen gelegt.

Strafanzeige wegen Vernichtung öffentlicher Dokumente

Eigentlich hat jede Bürgerin und jeder Bürger der Europäischen Union das Recht auf Zugang zu Dokumenten der EU. Doch Versuche von Journalisten, Privatpersonen und EU-Mitgliedsstaaten, Zugang zu SMS-Nachrichten von der Leyens zu bekommen, wurden bisher konsequent abgeblockt. Dabei geht es um Textnachrichten, die von der Leyen mit einem CEO des US-Pharmaunternehmens Pfizer ausgetauscht haben soll und die womöglich den Weg für einen milliardenschwerenImpfstoffdeal geebnet haben. Ein belgischer Staatsbürger lässt nun nicht locker und hat die Kommissionspräsidentin vor einem belgischen Strafgericht verklagt.

Da das jahrelangen Bemühen verschiedener Instanzen nach Offenlegung der Textnachrichten bisher ohne Erfolg blieb, will der Belgier Frédéric Baldan nun endlich Bewegung in die Sache bringen.

Es handelt sich um öffentliche Dokumente und wir haben ein Recht darauf, diese einzusehen.

Frédéric Baldan, bei der EU akkreditierte Lobbyist für europäisch-chinesische Handelsbeziehungen

Öffentliches Interesse an Klage groß

Der bei der EU akkreditierte Lobbyist für europäisch-chinesische Handelsbeziehungen hatte im April 2023 als Privatmann eine Strafanzeige bei einem Richter in Lüttich eingereicht. Er beschuldigt die Kommissionspräsidentin der "Anmaßung von Ämtern und Titeln", der "Vernichtung öffentlicher Dokumente" und der "unrechtmäßigen Bereicherung und Korruption". Vor wenigen Wochen fand nun der erste Verhandlungstermin statt.

Das öffentliche Interesse an seiner Beschwerde ist groß: Etwa 500 Personen, aber auch Parteien und Organisationen verschiedener EU Länder sowie die Regierungen von Ungarn und Polen haben sich mittlerweile der Klage angeschlossen. "Es handelt sich um öffentliche Dokumente und wir haben ein Recht darauf, diese einzusehen", argumentiert der Belgier. "Doch alles, was wir versucht haben, um es transparent zu machen, ist bisher gescheitert. Letztlich blieb uns nur der Weg, eine Strafanzeige zu stellen und es einem Untersuchungsrichter vorzulegen."

New York Times berichtet 2021 über SMS-Austausch

Konkret geht es um einen Kaufvertrag zwischen der EU und dem Pharmaunternehmen Pfizer über die Lieferung von 1,8 Milliarden Impfstoffdosen, der mitten in der Covid-Krise im April 2021 abgeschlossen wurde. Ein Geschäft über geschätzte 35 Milliarden Euro, dessen Einzelheiten die EU Kommission allerdings nach wie vor weitgehend unter Verschluss hält.

Die New York Times behauptet, in einem Gespräch mit der Präsidentin erfahren zu haben, dass der Deal offenbar von ihr persönlich über SMS und Telefonate auf den Weg gebracht worden sei. Die Zeitung titelte im April 2021: "Wie Europa einen Pfizer-Impfstoff-Deal mit Chat-Nachrichten und Anrufen einfädelte". Danach soll sich von der Leyen mit Albert Bourla, dem CEO von Pfizer, über das Telefon und  über SMSen ausgetauscht haben. Auf Anfrage der US-Zeitung weigerte sich die EU-Kommission allerdings, die Textnachrichten herauszugeben.

Pfizer und EU-Kommission dementieren

Pfizer dementierte später im EU-Parlament, dass es Verhandlungen zwischen den beiden gegeben habe. Auf MDR Anfrage antwortete das Unternehmen, "dass die Vertragsverhandlungen von Pfizer und BioNTech direkt mit einem Team der Kommission geführt wurden."

Die EU Kommission antwortete auf MDR-Anfrage, dass man sich nicht zum laufenden Verfahren in Lüttich äußern wolle. Auf jeden Fall habe "die Präsidentin die Verträge mit den Pharmaunternehmen (…) nicht ausgehandelt". Und weiter: "Sie tauschte sich mit dem Vorstandsvorsitzenden von Pfizer aus, wie sie es generell mit den Vorstandsvorsitzenden anderer Unternehmen tat, um das Interesse der Unternehmen an einer Zusammenarbeit mit der EU bei der Lieferung von Impfstoffen (…) zu wecken." Bezüglich der SMS wurde kommentiert, "dass die durchgeführte Suche keine Textnachrichten ergab, die einem Dokument im Sinne der Verordnung (…) entsprechen."

Offenlegung der SMS bleibt jahrelang ohne Erfolg

Einer der ersten, der Licht ins Dunkel bringen wollte, war der Journalist Alexander Fanta aus Wien. Nachdem er die New York Times gelesen hatte, beantragte er schon im Mai 2021 die Offenlegung der SMS bei der Europäischen Kommission. Das ist sein Recht. So heißt es in der Grundrechte-Charta der EU, jeder Mensch habe "das Recht auf Zugang zu den Dokumenten des Parlamentes, des Rates und der Kommission".

Doch der Journalist hatte keinen Erfolg. "Sie sagen nicht: 'Wir geben ihnen die SMS nicht'. Sondern sie sagen: 'Wir können gar nicht mal sagen, ob es diese Dokumente überhaupt gibt'“, so der Journalist auf eine Anfrage des MDR. Die EU Kommission schrieb ihm, sie sei "nicht verpflichtet, jedes einzelne Dokument aufzubewahren." Eine SMS sei "von ihrer Natur aus ein kurzlebiges Dokument, dass grundsätzlich keine wichtigen Informationen über Politik, Tätigkeiten und Entscheidungen der Kommission enthält". Für den Journalisten stellte sich nun die Frage, ob die Nachrichten also einfach gelöscht wurden?

Sie sagen nicht: 'Wir geben ihnen die SMS nicht'. Sondern sie sagen: 'Wir können gar nicht mal sagen, ob es diese Dokumente überhaupt gibt.

Alexander Fanta, Journalist

Auf dem eigenen Handy Spuren zu verwischen, das wäre für Von der Leyen nichts Neues, so der Journalist, denn schon einmal soll sie Nachrichten auf ihrem Handy verschwinden lassen haben, z.B. 2019 als Ursula von der Leyen noch deutsche Verteidigungsministerin war. Der damalige Vorwurf: Sie habe millionenschwere Aufträge ohne Ausschreibung an Beratungsfirmen vergeben.

Ein Untersuchungsausschuss wurde eingerichtet. Der forderte das Diensthandy als Beweismittel. Auf Anweisung ihres Ministeriums seien damals aber alle Mobilfunkdaten gelöscht worden. Die Nachrichten von der Leyens seien damit für immer weg gewesen. Vor dem Ausschuss sagt von der Leyen, sie könne sich an das Handy "nicht mehr erinnern".

Bürgerbeauftragte sieht "Fehlverhalten" der Kommission

Bezüglich der Pfizer Chats legte der Journalist schließlich eine Beschwerde bei der Europäischen Bürgerbeauftragten Emily O’Reilly ein. Diese kann die Kommission zwar nicht zwingen, Dokumente vorzulegen, aber sie könne den Fall untersuchen und öffentliche Empfehlungen vorlegen, so der Journalist. 

Doch auch die Bürgerbeauftragte erfuhr nicht, ob die Nachrichten noch existieren oder nicht. Sie sieht ein "Fehlverhalten" der Kommission, denn die Behörde habe gar nicht erst versucht, die Nachrichten vom Handy der Kommissionspräsidentin zu holen, heißt es in einer abschließenden Stellungnahme vom Juli 2022. Von der Leyens Behörde hinterlasse "den bedauerlichen Eindruck, in Angelegenheiten von erheblichem öffentlichem Interesse nicht entgegenkommend" zu sein.

Shari Hinds von Transparency International wird gegenüber dem MDR noch deutlicher: "Wir sind ganz klar der Auffassung, dass die besagten Textnachrichten als Dokumente im Sinne der EU-Verordnung über die Informationsfreiheit behandelt werden müssen und damit auch umgehend freizugeben sind." Die anhaltende Verweigerungshaltung der Kommission, diese offenzulegen, sei zutiefst beunruhigend, so Hinds. Transparenz wäre von Anfang an das oberste Gebot gewesen.

Auch der Europäische Rechnungshof erhält keine Einsicht

Dass bei diesem Vertrag etwas anders lief, das bestätigt auch der Europäische Rechnungshof. So heißt es in einem Sonderbericht zu den Corona-Impfstoffen: "Dies war der einzige Vertrag, bei dem das gemeinsame Verhandlungsteam entgegen dem Beschluss der Kommission über die Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen nicht in diese Verhandlungsphase einbezogen wurde."

Doch selbst der Europäische Rechnungshof erhielt offenbar keine Auskunft. So heißt es in seinem Sonderbericht weiter: "Der Hof ersuchte die Kommission, ihm Informationen über die Vorverhandlungen zu diesem Vertrag (…) zur Verfügung zu stellen. Es wurden jedoch keine Informationen übermittelt".

Dies war der einzige Vertrag, bei dem das gemeinsame Verhandlungsteam entgegen dem Beschluss der Kommission über die Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen nicht in diese Verhandlungsphase einbezogen wurde.

Europäischer Rechnungshof, Sonderbericht zu Corona-Impfstoffen

Der deutsche Verfassungs- und Europarechtler Volker Boehme-Neßler kritisiert dieses Verhalten. "Dass der Europäische Rechnungshof in diese Akten keine Einsicht bekommt, ist rechtswidrig", so der Rechtswissenschaftler der Universität Oldenburg. Es sei die Aufgabe des Rechnungshofes, "zu kontrollieren, wie die europäischen Organe und somit auch die europäische Kommission die Steuergelder ausgeben". Und wenn die Kommission den Rechnungshof daran hindere, sei das "ein unglaublicher Skandal, der in der Öffentlichkeit viel zu wenig wahrgenommen wird".

EU-Gericht sieht Rechtsbruch bei Impf-Verträgen

Nicht einmal dem EU Parlament, als Kontrollorgan, wurden die Verträge vollständig offengelegt. Die Kommission hatte dem Parlament die Kaufverträge mit den Herstellern nur mit zahlreichen Schwärzungen vorgelegt. Alle wesentlichen Informationen zum Beispiel über den Preis aber auch die Haftungsregeln fehlten.

Vier EU-Abgeordnete, darunter die Grüne Abgeordnete Tilly Metz aus Luxemburg, reichten deshalb bereits am 22. Oktober 2021 Klage beim Europäischen Gerichtshof ein. Die Luxemburgerin, Mitglied der Grünen, hält die Verweigerungshaltung der Kommission für skandalös. "Ich denke, wenn man möchte, dass die Menschen, die Bürger und Bürgerinnen Vertrauen haben in Institutionen, aber auch in diesem Fall dann muss man transparent sein, dann muss man transparent funktionieren. Und da gehören sowohl die Verträge als auch der SMS-Austausch einer Kommissionspräsidentin mit dem CEO eines Pharmaunternehmens dazu."

Ich denke, wenn man möchte, dass die Menschen, die Bürger und Bürgerinnen Vertrauen haben in Institutionen, aber auch in diesem Fall dann muss man transparent sein.

Tilly Metz, EU-Abgeordnete der Grünen

Letzte Woche hat nun der Europäische Gerichtshof in Luxemburg nach fast drei Jahren entschieden und den Parlamentariern teilweise Recht gegeben. Der Beschluss kann noch angefochten werden. "Die Kommission hat der Öffentlichkeit keinen hinreichend umfassenden Zugang zu den Verträgen gewährt", heißt es in der Pressemitteilung. Und weiter: "Dieser Verstoß betrifft insbesondere die Entschädigungsbestimmungen und die Erklärungen über das Nichtvorliegen von Interessenkonflikten, die die Mitglieder des Verhandlungsteams für den Kauf der Impfstoffe abgegeben haben."

Kläger sieht Urteil im Fall der Verträge als ersten Erfolg

Für den Belgier Frédéric Baldan ist das Urteil des EuGH ein erster Erfolg auf dem Weg zu mehr Transparenz, auch wenn seine eigene Beschwerde bezüglich des SMS-Austausches nicht so schnell für Aufklärung sorgen wird. Der belgische Richter hat die Anhörung auf den 6. Dezember verschoben. Bis dahin soll geklärt werden, wer überhaupt für den Fall von der Leyen zuständig ist: entweder das belgische Gericht in Lüttich oder die Europäische Staatsanwaltschaft, als EU Behörde in Luxemburg. Denn auch die ermittelt seit 2022 in der Sache. Bisher allerdings ohne Ergebnis. Auf MDR-Anfrage heißt es nur: "Weitere Einzelheiten zu dieser laufenden Untersuchung können nicht veröffentlicht werden, um ihr Ergebnis nicht zu gefährden.“

Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft dauern an

Dass sich die Ermittlungen nun ohne konkrete Ergebnisse eineinhalb Jahre hinziehen, sei dem EU-Bürger nicht mehr vermittelbar, so der Europa-Abgeordnete Martin Sonneborn der Partei "Die Partei": "Die Europäische Staatsanwaltschaft weist in ihren Berichten Ermittlungen aus zu Korruptionsfällen, da geht es um vier- oder fünfstellige Summen. Hier geht es um 35 Milliarden Euro Steuergelder, die da hinter verschlossenen Türen verhandelt worden sind. Illegal. Und dass das nicht transparent gemacht wird, das kann man, glaube ich, niemandem mehr vermitteln.“

Satiriker Martin Sonneborn.
"Dass das nicht transparent gemacht wird, das kann man, glaube ich, niemandem mehr vermitteln", sagt Martin Sonneborn zu dem nicht öffentlich gemachten SMS-Austausch. Bildrechte: picture alliance/dpa | Soeren Stache

Wie das Handeln der Kommissionspräsidentin juristisch zu bewerten ist, werden schlussendlich die Gerichte entscheiden müssen. Der MDR hatte im Zuge seiner Recherchen auch EU-Abgeordnete anderer Parteien um ein Statement gebeten. Aus Zeitgründen wurden diese abgelehnt.

Das Büro des CDU-Abgeordneten Daniel Caspary schreibt: "Herr Caspary sieht (…) nach wie vor kein Fehlverhalten der Kommission und steht für ein Interview daher derzeit nicht zur Verfügung." Ursula von der Leyen wurde letzte Woche für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Frederic Baldan und die anderen Kläger hoffen nun, mit ihrer Strafanzeige für Aufklärung zu sorgen.

Hier geht es um 35 Milliarden Euro Steuergelder, die da hinter verschlossenen Türen verhandelt worden sind.

Martin Sonneborn, EU-Ageordneter, Die Partei

MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 23. Juli 2024 | 20:15 Uhr

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