Abgeordnetenhauswahl Berlin-Wahl: Offener Kampf um das Rote Rathaus

11. Februar 2023, 05:00 Uhr

Knapp anderthalb Jahre nach der letzten Abgeordnetenhauswahl wird in Berlin das Landesparlament erneut gewählt. Der Ausgang dieser Wahlwiederholung ist völlig offen. Obgleich viele in Berlin von einer Wechselstimmung sprechen, ist eine Fortführung der Koalition aus SPD, Grünen und Linken genauso denkbar wie ein Zweier- oder Dreierbündnis unter Führung der CDU. Der Wahlkampf war geprägt von den Themen Silvesterkrawalle, Verkehr und Wohnen.

Am Sonntag wird in Berlin das Abgeordnetenhaus neu gewählt. Zur Stimmabgabe sind rund 2,4 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen. Die Wahllokale öffnen um 8 Uhr und schließen um 18 Uhr.

Verfassungsgericht verfügte Wahlwiederholung

Die Wahlwiederholung war nötig geworden, weil der Berliner Verfassungsgerichtshof die vorausgegangene Wahl vom 26. September 2021 wegen zahlreicher Mängel für ungültig erklärt hatte.

Die Richter konstatierten, dass Tausende Wahlberechtigte ihre Stimme "nicht, nicht wirksam, nur unter unzumutbaren Bedingungen oder nicht unbeeinflusst abgeben konnten." Bemängelt wurden fehlende Stimmzettel, falsche Stimmzettel, stundenlange Wartezeiten und mancherorts eine Öffnung der Wahllokale über die offizielle Schließzeit von 18 Uhr hinaus. Neben dem Landesparlament werden auch die Bezirksversammlungen neu gewählt. Der Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnkonzerne bleibt hingegen gültig, da gegen ihn keine Verfassungsbeschwerde vorlag.

Wer tritt an zur Abgeordnetenhauswahl? Zur Wahl treten genau jene 34 Parteien und Vereinigungen an, die bereits im September 2021 auf den Wahlzetteln standen. Es wurden auch keine neuen Kandidaten aufgestellt. Kandidatinnen und Kandidaten, die inzwischen verstorben sind oder Berlin verlassen haben, sind von den Stimmzetteln gestrichen worden.

SPD, Grüne und Linke regieren seit 2016

Wahlwerbung am Willy-Brandt-Haus an der Wilhelmstraße
Wahlwerbung für Franziska Giffey am Willy-Brandt-Haus Bildrechte: IMAGO / GE-Foto

Bislang regiert in Berlin eine rot-grün-rote Koalition unter der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey. Die drei Parteien SPD, Grüne und Linke hatten im September ihre bisherige Mehrheit verteidigt und arbeiten in dieser Konstellation seit 2016 zusammen. Die SPD stellt in der Hauptstadt seit 2001 den Regierenden Bürgermeister. In Regierungsverantwortung sind die Sozialdemokraten im geeinten Berlin seit 1990 ununterbrochen.

Besonderheit Wahlwiederholung: Giffey bleibt vorerst im Amt Da trotz der Wahlwiederholung die Legislaturperiode des Abgeordnetenhaus nicht neu beginnt, sondern weiterläuft, bleibt die Regierende Bürgermeisterin Giffey weiter im Amt und mit ihr der gesamte Senat. Sollte eine neue Koalition zustande kommen, gibt es zwei Möglichkeiten, damit Berlin eine neue Regierung bekommt. Entweder Giffey macht durch Rücktritt freiwillig den Weg frei oder sie muss per Misstrauensvotum aus dem Amt gestimmt werden.

Alte Koalition mit neuer Chefin?

Auch wenn einer Infratest-Dimap-Umfrage zufolge 67 Prozent der Berliner mit der Arbeit des Senats weniger oder gar nicht zufrieden sind und viele von Wechselstimmung sprechen, könnte es Umfragen zufolge für Rot-Grün-Rot erneut für eine Regierungsmehrheit reichen.

Wahlplakat  von Buendnis90/ Die Grünen - Bettina Jarasch
Grünen-Spitzen-Kandidatin Bettina Jarasch Bildrechte: IMAGO / Political-Moments

Offen ist, ob unter der Führung der SPD oder der Grünen. Beide Parteien lagen zuletzt eng beieinander. Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch meldete in dieser Woche in einem "Welt"-Interview bereits ihren Führungsanspruch an: "Ich hoffe, dass sie (Giffey – d.Red.) bereit wäre, mit mir als Regierender Bürgermeisterin zusammenzuarbeiten." Giffey wiederum äußerte sich nicht zu konkreten Koalitionspräferenzen.

Union pocht auf Regierungsbeteiligung

Als stärkste Kraft sehen die Demoskopen übereinstimmend und erstmals seit 1999 wieder die CDU. Diese pocht deshalb auch auf eine Regierungsbeteiligung. "Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass sich Rot-Rot-Grün einfach mal so über demokratische Gepflogenheiten hinwegsetzen will", sagte der Generalsekretär der Bundes-CDU, Mario Czaja, am Donnerstag der "Bild"-Zeitung. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, ergänzte: "Der Regierungsauftrag liegt bei der stärksten Kraft – Punkt."

Jedoch hat die CDU wenig Möglichkeiten, eine Regierungsmehrheit zusammenzubekommen. Mit AfD und Linken schließt die CDU ein Bündnis ohnehin aus.

Und auch mit den Grünen scheint eine Zusammenarbeit unwahrscheinlich: "Ich kann mir eine Koalition mit den Grünen nach der Wahl nicht vorstellen", sagte CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner im RBB. Bleibt ein Zusammengehen mit SPD und FDP. Dazu muss aber die FDP den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen und die SPD bereit sein, als Juniorpartner in die Regierung einzutreten. Rein rechnerisch wäre auch ein Zweierbündnis aus CDU und SPD möglich, wenn die FDP den Einzug ins Abgeordnetenhaus nicht schafft. Die CDU hat eine solche Große Koalition bei einem Scheitern der FDP zum Wahlziel erklärt.

Wahlkampf mit Silvesternacht, Verkehr und Wohnen

Eines der bestimmenden Themen im Wahlkampf waren die Ereignisse in der Silvesternacht. Vor allem die CDU gab der rot-grün-roten Koalition eine Mitschuld an den zahlreichen Angriffen auf Polizei und Rettungskräfte. Giffey warf der CDU drei Tage vor der Wahl im Abgeordnetenhaus erneut Vorverurteilung und Schubladendenken vor. Die Methode "Sage mir deinen Vornamen und ich sage dir, wer du bist" könne nicht richtig sein.

Gestritten wurde im Wahlkampf auch über den Verkehr. Hier standen die Grünen u.a. mit ihrem Projekt einer teilweise autofreien Friedrichstraße in der Kritik. Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel warf der CDU vor, die von Rot-Grün-Rot eingeleitete Verkehrswende rückabwickeln zu wollen. Dies sei nicht nur klima-, sondern auch wirtschaftsfeindlich. Die Berliner AfD-Chefin Kristin Brinker nannte die vom Senat bis 2045 angestrebte Klimaneutralität "völlig weltfremd".

Beim Thema Wohnen warnten CDU und FDP vor einer Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids "Deutsche Wohnen & Co. enteignen". Wegner erklärte im Landesparlament, mit ihm werde es "Enteignungen in unserer Stadt nicht geben". FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja forderte Giffey ebenfalls auf, "Enteignungen eine Absage zu erteilen". Er verwies dabei auf ihren Amtseid, Schaden von der Stadt abzuwenden. Linkenfraktionschef Carsten Schatz warb hingegen für die Umsetzung. "Die Vergesellschaftung wird für sinkende Miete sorgen", argumentierte er. Auf den Markt dürfe nicht gehofft werden.

Letzte Entscheidung über Wahlwiederholung noch nicht gefallen

Ob die Wahl vom 12. Februar Bestand hat, ist noch nicht abschließend geklärt. Gegen die Neuwahl gibt es mehrere Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Erfolg haben, ist jedoch gering. Ein Eilantrag auf Aussetzung der Wahlwiederholung wurde bereits abgewiesen.

Noch kein Termin für die Bundestagswahl

Von den Wahlpannen in Berlin war auch die Bundestagswahl betroffen. Anders als beim Abgeordnetenhaus entschied auf Bundesebene das Parlament selbst über die Wahlwiederholung. Erneut abgestimmt werden soll demnach in 431 der rund 2.300 Wahlbezirke. Ein Termin steht jedoch noch nicht fest, da gegen die Entscheidung des Bundestages mehrere Beschwerden am Bundesverfassungsgericht vorliegen. So will die AfD eine berlinweite Wiederholung der Wahl erreichen, die Union laut früheren Mitteilungen eine Wiederholung in etwa der Hälfte der Wahlbezirke.

MDR/RBB/ARD/dpa/AFP/Reuters(dko)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 09. Februar 2023 | 19:30 Uhr

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