GDL-Streik Warum ein Arbeitskampfgesetz unwahrscheinlich ist
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27. Januar 2024, 05:00 Uhr
Lehrer, Erzieher, Apotheker: Immer wieder kämpfen Arbeitnehmer für bessere Arbeitsbedingungen. Derzeit bestreikt die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) die Deutsche Bahn für sechs Tage, um eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich durchzusetzen. Es ist der längste Arbeitskampf in der Geschichte der Bahn. Das Recht zu streiken ist im Grundgesetz fest verankert. Doch Arbeitgeber fordern immer häufiger ein regulierendes Gesetz. Wird es in der Zukunft ein Arbeitskampfgesetz geben?
Im Tarifstreit um bessere Arbeitsbedingungen hat der bislang längste Streik in der Geschichte zwischen der Deutschen Bahn und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) begonnen. Seit Mittwoch streiken die Lokführer sechs Tage lang, um ihre Forderungen einer 35-Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich durchzusetzen.
Zum Ärger der Bahn, die aufgrund des Personalausfalls mit massiven Einschränkungen im Bahnverkehr erneut mit entnervten Fahrgästen zu tun hat. Und dazu noch wirtschaftliche Verluste hinnehmen muss.
Aber auch die deutsche Wirtschaft klagt über den langen Arbeitskampf. Sie fürchtet große Schäden. Der Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Tanja Gönner, zufolge drohen harte Einschränkungen bis hin zu einzelnen Produktionsausfällen, Drosselungen und Stillständen in der Industrie. "Bei einem sechstägigen Streik ist eine Schadenshöhe von insgesamt bis zu einer Milliarde Euro nicht unrealistisch", sagte sie.
Forderungen nach regulierendem Arbeitskampfgesetz
Deshalb werden Forderungen nach einer gesetzlichen Regelung des Arbeitskampfrechts wieder reger diskutiert. Gitta Connemann, eine Bundestagsabgeordnete der oppositionellen CDU, sprach sich im Deutschlandfunk dafür aus. So sollen Arbeitskämpfe in der kritischen Infrastruktur stärker reguliert werden. Neben einer rechtzeitigen Streikankündigung und der Gewährleistung einer Grundversorgung solle zunächst ein Schlichtungsverfahren abgeschlossen werden, bevor Streikmaßnahmen ergriffen werden könnten.
Auf ein gesetzliches reguliertes Arbeitskampfgesetz drängt auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) seit einiger Zeit. Gewerkschaften wie Verdi sehen diese Diskussion mit Sorge.
Die Rechtswissenschaftlerin Claudia Schubert von der Universität Hamburg, erachtet die Einführung eines Arbeitskampfgesetzes für unwahrscheinlich. Schubert, deren Fachgebiet Arbeitsrecht und Gesellschaftsrecht ist, sagte MDR AKTUELL, dass der Streik als Arbeitskampfmaßnahme grundrechtlich garantiert ist. "Daher ist die Einschränkung dieses Rechts immer sehr genau auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen."
Streiken in Deutschland
Das Recht zu streiken ist in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes in Deutschland fest verankert. Streiken darf dabei jeder Arbeitnehmer, wenn eine Gewerkschaft ihn zu einem Streik aufruft.
Streik Ein Streik ist ein bewährtes Instrument für eine Konfliktlösung bei Tarifverhandlungen. Gewerkschaften wollen mit ihm ihre arbeitsrechtlichen Forderungen, wie Lohnerhöhungen oder geringer Arbeitszeiten, durchsetzen. Dabei wird nur der Streik anerkannt, der von der Gewerkschaft nach vergeblichen Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern organisiert und geleitet wird.
Es gibt aber kein Arbeitskampfgesetz, dass Regeln und Grenzen für den Streik vorgibt. Stattdessen gilt das Richterrecht. Rechtliche Vorgaben für Streiks wurden und werden also vor allem durch die Entscheidungen der Arbeitsgerichte bestimmt.
So gibt es gewisse Voraussetzung für einen Streik. Es darf nur um Ziele gehen, die auch tariflich geregelt werden können. Politische Streiks, wie sie aus Frankreich mit der Rentenreform bekannt sind, sind in Deutschland nicht erlaubt. Während der Friedenspflicht darf nicht gestreikt werden.
Friedenspflicht Bezeichnet den Zeitraum eines geltenden Tarifvertrages, bei welchem die Arbeitsbedingungen klar geregelt sind. Während dieser Zeit darf die Gewerkschaft nicht streiken. Erst nach Ablauf der Kündigungsfrist endet die Friedenspflicht und es darf zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen werden.
Streik muss verhältnismäßig sein
Außerdem muss die Durchführung des Arbeitskampfes im Hinblick auf sein Ziel verhältnismäßig sein. Konkrete Regelungen bestehen aber nur in sehr wenigen Bereichen zur Sicherung der kritischen Infrastruktur, beispielsweise der Wasserversorgung, nicht für den Schienenverkehr, erklärt Schubert.
In allen anderen Bereichen gelte nach der Rechtsprechung lediglich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. "Daraus wird beispielsweise abgeleitet, dass bei Streiks in Krankenhäusern Notdienste einzurichten sind, um Gefahren für Leib und Leben abzuwenden."
Bei dem sechstägigen Streik der GDL seien hingegen die Grundrechte Dritter nicht im gleichen Maße beeinträchtigt wie bei einem Krankenhausstreik, erklärt Schubert. "Pendler und sonstige Fahrgäste sind nur in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen. Durch die Ankündigung des Streiks können sich sowohl die Bahn als auch Fahrgäste vorbereiten. Zudem gibt es Alternativen, die auch genutzt werden: sei es das Auto oder die Arbeit im Homeoffice."
Außerdem habe die Bahn vereinzelt mit Notfallfahrplänen reagiert. Daher werde die Drittwirkung des Streiks der Lokführer den Arbeitskampf nicht ohne weiteres rechtswidrig machen, sagt Schubert. Die Folgen des Streiks seien zwar für den Einzelnen unangenehm, das allein erlaubt aber keine Einschränkung des Streikrechts.
Arbeitskampfgesetz unwahrscheinlich
Außerdem gerät die Bahn durch den Streik nicht in eine extreme wirtschaftliche Schieflage. "Solange der Streik für die Bahn als Unternehmen nicht ruinös ist, ist der Streik nicht unverhältnismäßig. Daneben können allenfalls gravierende wirtschaftliche Verwerfungen für die Volkswirtschaft Zweifel an der Verhältnismäßigkeit entstehen lassen."
So habe sich die Bahn noch zu Beginn des Jahres vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main gegen den Streik der GDL zur Wehr gesetzt, beantragte aber dieses Mal keinen vorläufigen Rechtsschutz.
Auch wenn es in der Vergangenheit eine Reihe von Vorschlägen für ein Arbeitskampfgesetz gab, rechnet Arbeitsrechtlerin Schubert nicht mit einer Regelung des Arbeitskampfrechts aufgrund des Bahnstreiks.
"Zuletzt wurde 2012 durch die Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Stiftung ein Professorenentwurf zur Regelung des Arbeitskampfs in der Daseinsvorsorge vorgestellt. Anlass war damals der Arbeitskampf der Fluglotsen am Frankfurter Flughafen. Dabei sollte vor allem Regeln für den Streik in der Daseinsvorsorge eingeführt werden." Letztlich wurde der Entwurf politisch nicht durchgesetzt.
So müsste ein neuer Versuch, den Arbeitskampf oder zumindest den Streik in der Daseinsvorsorge zu regeln, hohe rechtliche Hürden überwinden, betont Schubert. "Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Einführung neuer gesetzlicher Regelungen im Tarif- und Arbeitskampfrecht eine intensive juristische Auseinandersetzung nach sich ziehen."
Der grundrechtliche Schutz des Streikrechts als Arbeitskampfmittel macht es erforderlich, dass jede Einschränkung verfassungskonform sein muss. Laut Schubert wäre wohl mit einer Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht oder sogar vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu rechnen.
mit dpa-Material
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 29. Januar 2024 | 19:30 Uhr