Schädlingsbefall Stinkwanzen auf dem Vormarsch
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19. Mai 2023, 11:04 Uhr
Die Marmorierte Baumwanze, auch Stinkwanze genannt, ist keine zwei Zentimeter groß. Doch sie kann immensen Schaden an Obst und Gemüse anrichten. Die aus Ostasien stammenden Insekten breiten sich auch in Deutschland aus. Doch wie lässt sich diese invasive Art in den Griff bekommen?
Wie breitet sich das Insekt aus?
Wenn sich die Marmoroerte Baumwanze bedroht fühlt, versprüht sie ein unangenehm riechendes Sekret. Deswegen wird sie auch Stinkwanze oder Stinkkäfer im Volksmund genannt. Für den Menschen ist sie weder giftig noch gefährlich.
Aber drei Charakteristika machen sie zur Herausforderung für die Landwirtschaft: Sie ist nicht wählerisch - über 200 Wirtspflanzen stehen auf ihrem Speisezettel. Sie ist ausgesprochen mobil und sie vermehrt sich fleißig - bei günstigem Klima setzt sie pro Jahr zwei neue Generationen in die Welt.
Fast über den ganzen Globus ausgebreitet
Eigentlich stammt die marmorierte Baumwanze aus Ost-Asien. Doch inzwischen hat sie sich fast über den gesamten Globus ausgebreitet – auch in den USA, Kanada und Europa. Versteckt in Transportkisten für Dachziegel reiste sie Anfang der 2000er-Jahre aus China in die Schweiz. Dort gibt es inzwischen eine feste Population.
Auch in Deutschland werden immer mehr dieser Wanzen gefunden. Vor allem im warmen Südwesten und nördlich von Köln sowie in und um Berlin. "Die verkriechen sich, das fängt jetzt gerade an. Dann gehen diese Wanzen in Maschinen oder Kisten rein, um dort zu überwintern. Und die werden dann in großen Zahlen durch die ganze Welt verschickt, wenn man Pech hat", erklärt Insektenforscher Dr. Tim Haye.
Experten vermuten sogar feste Ansiedlung in Leipzig
Aber auch in Mitteldeutschland wurde die Marmorierte Baumwanze schon mehrfach entdeckt. Experten vermuten, dass sie sich im Raum Leipzig bereits fest angesiedelt hat. Das Problem: Bei uns gibt es keine natürlichen Fressfeinde, die die invasive Wanze aufhalten.
Als natürlicher Fressfeind gilt die auch aus Asien stammende Samuraiwespe. In Süd-Tirol läuft ein Projekt, in dem am "Zusammenspiel" der beiden Insektenarten geforscht wird. Darauf wird große Hoffnung gesetzt. "Wenn die natürlichen Feinde es schaffen, die Wanze so zu regulieren, dann werden sie auf ein relativ niedriges Niveau zurückgedrängt, was sich dann im Gleichgewicht befinden würde und das wird auch so bleiben, das ist der Idealzustand, den wir gerne hätten, dass diese Schäden nicht mehr auftreten. Aber dass sie komplett verschwinden, wird nicht der Fall sein", erklärt Dr. Tim Haye.
Gut zu wissen
Die marmorierte Baumwanze lebt in Gärten und Parks, aber auch auf landwirtschaftlichen Flächen. Dort macht sie sich an Obst zu schaffen, wie Apfel, Birne, Pfirsich, Kirsche, Zwetschge, Haselnuss, Wein und Kiwi. Aber auch Soja, Spargel oder Mais stehen auf ihrem Speiseplan und Gemüse, wie Bohnen, Paprika, Tomate sowie Gurken.
Wenn sie in eine Frucht einsticht und saugt, gelangt ein Enzym in das Pflanzengewebe, das für unansehnliche Flecken, harte Stellen und manchmal auch für deformierte Früchte sorgt. So entstellt, sind sie nicht mehr verkäuflich.
Achtung: Verwechslungsgefahr
Die eingewanderte Marmorierte Baumwanze und die heimische graue Feldwanze sehen sich zum Verwechseln ähnlich.
Interview mit Insektenforscher Dr. Tim Haye über Bekämpfungsmöglichkeiten
Der Biologe Dr. Tim Haye forscht seit Jahren zur Marmorierten Baumwanze. Im Interview erklärt er, woran genau man sie erkennt, wie weit sie verbreitet ist und wie man sie in Schach halten kann. Dabei setzen Dr. Tim Haye und sein Team am Forschungsinstitut CABI nicht auf Insektizide, sondern auf den natürlichen Gegenspieler - die Samuraiwespe.
Woran erkennt man die Marmorierte Baumwanze?
Dr. Tim Haye: Die Marmorierte Baumwanze lässt sich am einfachsten an den fünf hellen Punkten unterhalb des Halsschildes erkennen. Am häufigsten wird die Marmorierte Baumwanze jedoch mit der einheimischen Grauen Feldwanze, Rhaphigaster nebulosa, verwechselt, die ihr sehr ähnlich sieht. Diese Wanze hat auf dem klaren Teil der Flügel schwarze Punkte, während bei der Marmorierten Baumwanze Streifen zu erkennen sind. Die Musterung des Halsschildes ist zudem diffus und es sind keine deutlichen fünf Punkte zu erkennen.
Am einfachsten ist es jedoch, wenn man die Wanze in einem Glas von der Unterseite betrachtet. Die einheimische graue Feldwanze besitzt auf der Unterseite zwischen den Beinen einen deutlichen Dornenfortsatz, der bei der Marmorierten Baumwanze fehlt. Zudem ist die Unterseite der Grauen Feldwanze mit zahlreichen schwarzen Punkten übersät. Beide Arten kommen im Herbst häufig in die Wohnung, um dort zu überwintern.
Woran zeigt sich an Pflanzen der Befall durch den Schädling?
Dr. Tim Haye: Meistens sieht man große Mengen an Nymphen, die an den Früchten saugen. Der Schaden, den Wanzen verursachen, ist nicht immer eindeutig einer bestimmten Art zuzuweisen. Das Schadbild der Marmorierten Baumwanze und das von einheimischen Arten lässt sich nicht eindeutig trennen. Der Schaden an Früchten und Gemüse entsteht, wenn die Wanze ihre feinen, nadelartigen Mundwerkzeuge tief in das Gewebe der Pflanze, um dann den Pflanzensaft aufzusaugen.
Durch das Saugen gelangt mit dem Speichel der Wanze ein Verdauungsenzym in die Pflanze, das später zur Deformation oder Absterben der befallenen Pflanzenteile führt. Bei Früchten wir Apfel, Birne und Pfirsich entstehen tiefe Dellen auf der Fruchtoberfläche, wodurch die Früchte unansehnlich werden. Schneidet man die Früchte auf, sieht man häufig braune, verhärtete Stellen. Gurken wachsen von der Einstichstelle an krumm, bei Peperoni und Tomaten wird das Gewebe an der Oberfläche weißlich und schwammig.
Wo wurde die Wanze bislang gefunden? Wie wahrscheinlich ist es, dass sie sich weiter verbreitet oder schon weiter verbreitet hat?
Dr. Tim Haye: Es wurden bisher nur wenige Funde aus Ostdeutschland gemeldet. Die ersten Funde stammten aus Berlin. Ein einzelner Fund liegt aus Brandenburg vor - kurz außerhalb von Berlin. Mehrere Funde liegen auch aus Sachsen vor, besonders um Leipzig herum. Dort scheint die Wanze schon gut etabliert zu sein.
Die Populationen sind noch klein, aber so fing es an vielen anderen Orten auch an. Innerhalb weniger Jahre können die Populationen aber stark anwachsen. Nach unseren Klimakarten wären das nördliche Sachsen, Brandenburg, Berlin und Teile Sachsen-Anhalts gut geeignet für die Wanze. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Wanzen dort schon vorkommen ist groß, aber oft werden sie erst dann wahrgenommen, wenn die Dichten schon beträchtlich sind. Eine Ausbreitung in diese Gebiete ist sehr wahrscheinlich.“
Was kann man gegen die Marmorierte Baumwanze tun?
Dr. Tim Haye: Wer einen starken Befall durch die Marmorierte Baumwanze im eigenen Garten hat, sollte die Wanzen und deren Nymphen regelmäßig von Hand absammeln. Zudem sollte man die Blattunterseiten befallener Pflanzen kontrollieren, weil dort die Weibchen ihre hellgrünen Ei-Gelege ablegen. Ein Gelege besteht aus bis zu 28 Eiern. Auf chemische Mittel sollte man verzichten, da diese meist keine Wirkung gegen die Wanzen haben und nützliche Insekten abtöten. Bei frisch geschlüpften Nymphen kann man auch Seifenlauge auf die Pflanze sprühen, wie es auch gegen Blattläuse angewendet wird.
In der Landwirtschaft ist die Bekämpfung auf großen Flächen jedoch schwierig. Viele Insektizide zeigen keine Wirkung gegen die Marmorierte Baumwanze. Bei den wenigen wirksamen Mitteln handelt es sich in der Regel um Insektizide mit einer sehr breiten Wirkung, d.h. dass auch viele nützliche Insekten getötet werden. Dies kann zur Folge haben, dass Schadinsekten, die normalerweise durch ihre Feinde gut kontrolliert werden, sich wieder stark vermehren können. Zudem ist die Behandlung mit Insektiziden nur eine kurzfristige Lösung. Erschwert wird die Bekämpfung dadurch, dass sich die Wanze auf mehr als 200 Pflanzenarten entwickeln kann und das auch außerhalb der Obstanlagen, wie z.B. in Privatgärten und Parks. An solchen Orten kann sich die Wanze dann immer wieder ungestört vermehren und in die Obstanlagen einwandern.
Als mögliche biologische Alternative zur Bekämpfung der Wanzen gilt die aus Asien stammende Samuraiwespe, Trissolcus japonicus. Diese ist der natürliche Feind der Marmorierten Baumwanze in ihrem Ursprungsgebiet. Die nur zwei Milimeter großen, für den Menschen ungefährlichen Schlupfwepsen legen ihre eigenen Eier in die Eier der Baumwanzen. Ihre Larven fressen die Eier von innen auf und verhindern so, dass sich neue Wanzen entwickeln.
Wie auch die Marmorierte Baumwanze wurde dieser natürlich Feind vermutlich mit Waren aus Asien nach Europa eingeschleppt, wo er 2017 erstmals im Tessin nachgewiesen wurde. Mittlerweile breitet sich diese Wespe rasch von selbst aus und folgt dem Weg der eingeschleppten Wanzen. In Norditalien, wo die Wanze im 2019 300 Millionen Euro Ernteverluste verursachte, wurde sie dieses Jahr erstmals großflächig eingesetzt.
In Deutschland ist der Nützling die Samuraiwespe bisher nicht nachgewiesen worden, aber da er schon im grenznahen Basel in der Schweiz vorhanden ist, ist es nur eine Frage der Zeit, dass sie auch in Deutschland gesichtet wird.
Die Samuraiwespe
Der natürliche Feind der Marmorierten Baumwanze stammt auch aus Asien: Die Samuraiwespe ist kleiner als die Marmorierte Baumwanze, doch dank eines Tricks ist sie ihr überlegen - sie legt ihre eigenen Eier direkt in die Eier der Baumwanze. Damit vernichtet sie den Nachwuchs des Konkurrenten. Derzeit wird die Wirkung von Samuraiwespen in Südtirol untersucht.
MDR (cbr) | Erstmals erschienen am 12.09.2020.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 15. September 2020 | 20:15 Uhr