Reichspogromnacht 9. November 1938 Scholz: Das "Nie wieder" muss Deutschland jetzt einlösen
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09. November 2023, 20:47 Uhr
In Deutschland ist an die Reichspogromnacht vor 85 Jahren erinnert worden. Die zentrale Gedenkveranstaltung fand in Berlin auf Einladung des Zentralrats der Juden statt. Auch in vielen mitteldeutschen Städten wurde an die Angriffe auf jüdische Geschäfte und Synagogen am 9. November 1938 erinnert.
Mit einer zentralen Gedenkveranstaltung in Berlin hat der Zentralrat der Juden in Deutschland am Donnerstag an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 erinnert.
Zentrale Gedenkveranstaltung in Berlin
Zum Gedenken in der Synagoge in Berlin, die nach den Terrorangriffen der Hamas auf Israel zum Ziel eines Brandanschlags wurde, kamen unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz, zahlreiche weitere Mitglieder des Bundeskabinetts sowie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und weitere Mitglieder des Parlamentspräsidiums. Die Gedenkfeier in der Synagoge fand daher auch unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt.
"Ich könnte hier vom 9. November 1938 sprechen – auch der Reichspogromnacht", so beginnt der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, seine Rede bei der Gedenkveranstaltung. "Ich könnte aber auch vom Pogrom unserer Zeit sprechen, vom grausamen Terror der Hamas des 7. Oktober 2023. Die Beschreibungen sind gleich." Vor fünf Wochen hätte er sich nicht vorstellen könne, dass wieder eine Jagd auf Juden in Deutschland stattfinden könnte. Heute sei er sich nicht mehr sicher, so Schuster mit Blick auf judenfeindliche Ausschreitungen der vergangenen Wochen. Er habe dieses Land zuweilen nicht wieder erkannt.
Es sei eine "Schande", wenn "2023 wieder Türen und Wände mit Davidsternen beschmiert werden" und die radikalislamische Hamas für die Ermordung von Juden "auf unseren Straßen und Plätzen gefeiert" werde, sagte Olaf Scholz in der Synagoge Beth Zion. Scholz drohte zudem Migranten mit Ausweisung, wenn sie sich antisemitisch verhalten. "Antisemitismus, wer das macht", riskiere auch seinen aufenthaltsrechtlichen Status in Deutschland, sagte er.
Deutschland müsse sein Versprechen des "Nie wieder" nach dem Holocaust im Nationalsozialismus "gerade jetzt einlösen", betonte der Kanzler.
Wir dulden Antisemitismus nicht.
Bundestagsdebatte zum Schutz jüdischen Lebens
Auch der Bundestag debattierte zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht über den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Die Ereignisse von 1938 dürften sich niemals wiederholen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Donnerstag vor den Abgeordneten. Dass der brutale Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel im Oktober auf deutschen Straßen gefeiert worden sei und Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder in Angst lebten, sei beschämend. "Diese Demokratie duldet keinerlei Judenhass", sagte Faeser. Wer Menschen angreife, müsse "mit der ganzen Härte des Rechtsstaats rechnen". 2023 sei nicht 1938. Jeder Angriff auf Jüdinnen und Juden sei ein Angriff "auf unsere freie Gesellschaft".
Dass Jüdinnen und Juden heute auch in Deutschland offenen Antisemitismus und Hass erlebten, sei unerträglich, sagte die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. "Die historische Verantwortung Deutschlands für den Holocaust muss sich jetzt in konkretem Handeln zeigen." Bas wies auf die Lehre aus dem Holocaust hin, dass sich solche Mordtaten nie wiederholen dürften. "Nie wieder ist jetzt."
Beginn der systematischen Verfolgung von Jüdinnen und Juden
In der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 zerstörten von den Nationalsozialisten organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte, steckten Synagogen in Brand und misshandelten tausende Jüdinnen und Juden. Die damaligen Ereignisse gelten als Beginn der systematischen Verfolgung und Vernichtung des europäischen Judentums unter dem NS-Regime.
Sachsen-Anhalt: Regierungserklärung von Haseloff
In Sachsen-Anhalt wurde am Donnerstag in mehreren Städten der Opfer der Reichspogromnacht 1938 gedacht. In Magdeburg hatte der Evangelische Kirchenkreis in Kooperation mit der Stadt für den Abend zu einer Gedenkveranstaltung im Forum Gestaltung eingeladen. Auch die Liberale Jüdische Gemeinde zu Magdeburg war an der Veranstaltung beteiligt. Nach dem Gedenken im Forum Gestaltung war ein stiller Gedenkweg zum Mahnmal der zerstörten Synagoge in der Julius-Bremer-Straße mit anschließender Kranzniederlegung vorgesehen.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff gab am Donnerstag im Landtag eine Regierungserklärung zum Schutz und der Anerkennung von jüdischem Leben ab – aus Anlass des Kriegs im Nahen Osten und den Auswirkungen für Jüdinnen und Juden hierzulande. Judenhass in Deutschland sei zutiefst beschämend, sagte der CDU-Politiker. Der Schutz der jüdischen Gemeinschaft habe oberste Priorität. Antisemitismus gehe immer auch mit der Verneinung von Freiheit und Demokratie einher und bringe eine brandgefährliche Weltsicht mit sich. "Wir stehen unverbrüchlich an der Seite Israels und unsere Solidarität gehört den Jüdinnen und Juden weltweit", sagte Haseloff und forderte strafrechtliche Konsequenzen für antisemitische Straftaten.
Sachsen: Mahnwachen und Gottesdienste
Mit Mahnwachen, Gottesdiensten und Zusammenkünften wurde am Donnerstag auch in Sachsen an vielen Orten an die Zerstörung jüdischer Geschäfte und Gotteshäuser erinnert und der Opfer des Holocaust gedacht. Ministerpräsident Michael Kretschmer legte gemeinsam mit dem Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert am Alten Leipziger Bahnhof in Dresden einen Kranz nieder. Von diesem Bahnhof aus wurden in der NS-Zeit Juden in Vernichtungslager der Nationalsozialisten gebracht.
Kretschmer mahnte eine klare Haltung zur NS-GEschicht an. Er sagte, es bedeute vor allem auch, die eigene Schuld zu sehen und die daraus währende Verantwortung für uns Deutsche immer wieder sich auch neu klarzumachen. Der Kampf gegen Antisemitismus sei eine Bürgerpflicht in Deutschland.
Vielerorts in Sachsen, etwa in Dresden, Leipzig und Chemnitz, wurden bei Aktionen Stolpersteine geputzt. In Dresden organisierte die jüdische Gemeinde eine Gedenkveranstaltung auf dem neuen jüdischen Friedhof.
Vor dem Hintergrund des Angriffs der Hamas auf Israel hat Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig das Gedenken an die November-Pogrome von 1938 als wichtiger denn je bezeichnet. "Das Gedenken an den 9. November 1938 steht heute ganz im Zeichen der schrecklichen Ereignisse in Israel – aber auch der schwierigen Debatte über Antisemitismus bei uns in Deutschland", erklärte der Wirtschaftsminister bereits am Mittwoch in Dresden.
Thüringen: Konzert an Gedenkstätte Topf und Söhne
Auch in zahlreichen Gemeinden in Thüringen gab es Gedenkveranstaltungen. In Erfurt wurde an der Gedenkstätte Topf und Söhne ein Konzert gespielt, in Gotha gab es einen Lichterlauf von der Stadtbibliothek zum jüdischen Denkmal. In Suhl gab es im Congress-Center ein Klezmer-Konzert.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat nach dem Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel Ausschreitungen bei propalästinensischen Demonstrationen verurteilt. "Ich habe keinerlei Verständnis für Sympathie-Bekundungen in Deutschland für Hamas, Hisbollah, Taliban oder andere Formen von Islamismus beziehungsweise Dschihadismus", sagte Ramelow im Vorfeld des Gedenktags. Werbung oder Huldigung für Terrorismus, Hass und Hetze dürften in Deutschland keinen Platz haben. "Diese Taten sind verabscheuungswürdig."
dpa,epd (nvm)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 09. November 2023 | 13:30 Uhr
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