Airbus A330 lässt Kerosin ab.
Wenn große Mengen Kerosin zum Erleichtern der Maschine abgelassen werden, spricht man von Fuel Dumping. (Archivbild) Bildrechte: IMAGO / JOKER

Fuel Dumping Pannenflugzeuge lassen Kerosin ab – und keinen kümmert's?

26. August 2023, 05:00 Uhr

Immer wieder lassen Flugzeuge hierzulande große Mengen Kerosin ab. Das passiert, wenn vollgetankte Flieger ungeplant landen müssen. Folgen für die Cargo-Airlines und ihre Pannenflugzeuge hat das kaum. Zuständig sind andere.

Ein über Sachsen-Anhalt kreisendes Frachtflugzeug erzeugte im Juli besondere Aufmerksamkeit. Es war eine Boeing 747 der Kalitta Air, die in geringer Höhe über Braunschweig hinweg flog und bei Hannover auf Südost-Kurs zurückschwenkte.

Tausende verfolgten binnen kürzester Zeit auf Flugbeobachtungsportalen, wie die am Flughafen Leipzig/Halle gestartete Maschine mit dem Ziel Cincinnati in den USA begann, über Sachsen-Anhalt zu kreisen. Wie sich später herausstellte, um große Menge Kerosin los zu werden.

Druckprobleme zwingen Boeing 747 zum Umdrehen

Die Deutsche Flugsicherung teilte später mit, nach dem Start habe es auf dem Flug CKS698 Druckprobleme in der Kabine gegeben. Deswegen konnte das Frachtflugzeug auch nicht höher steigen als 10.000 Fuß (3.048 Meter). Das habe der Pilot mitgeteilt und zudem, dass er 94 Tonnen Kerosin vor der Landung in Leipzig/Halle abgelassen hat.

Boeing 747 der Kalitta Air Das Flugzeug mit der Registrierungsnummer N708CK gehört der Kalitta Air. Sitz der Firma ist Ypsilanti nahe Detroit im US-Bundesstaat Michigan. Das Flugzeug ist 32 Jahre alt und gehörte einst Korean Airlines Cargo. Der Flugzeugtyp trägt die genaue Bezeichnung Boeing 747-4B5(BCF) – ein reiner Frachtflieger.

Tower Leipzig meldet Luftnotlage

Gegen 22:30 Uhr am 18. Juli 2023 landet die Boeing 747 der Kalitta Air wieder am Flughafen Halle/Leipzig. Der Tower Leipzig hatte zuvor eine Luftnotlage gemeldet. Der Alarmzustand A2 wurde ausgerufen. Nichts Besonderes, man geht dabei von einer sicheren Landung aus, teilt die regionale Luftaufsicht, die Landesdirektion Sachsen, mit.

Danach wandern Meldungen über den Vorfall unter anderem an das sächsische Verkehrsministerium und das Luftfahrtbundesamt. Da kein Mensch zu Schaden gekommen ist, scheint es so, dass die Sache nicht weiter verfolgt wird. Störungen im Luftverkehr werden zum Beispiel im Flugunfall-Untersuchungsgesetz (FLUUG) behandelt. Das Gesetz listet Fälle auf, bei denen schwere Störungen untersucht werden müssen.

Flugunfalluntersuchungsstelle liegt keine Meldung vor

Untersucht wird aber bei Flug CKS698 hinterher gar nichts. Die Bundestelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in Braunschweig erklärt: "Der BFU wurde das beschriebene Ereignis nicht gemeldet, wobei hier anzumerken ist, dass es für diese Art von Ereignis keine Meldeverpflichtung an die BFU besteht. Die hier entsprechende Meldung bekommt das Luftfahrtbundesamt (LBA) als zuständige Behörde."

Die BFU untersuche nur, wenn ein Zwischenfall gemeldet wird. Gemeldet werden kann er von der Fluggesellschaft oder auch vom fliegenden Personal. Nur vom Luftfahrtbundesamt offensichtlich nicht.

"Fuel Dumping" und Notlandungen Das Luftfahrtbundesamt dokumentiert, wie viel Kerosin abgelassen worden ist, auf der eigenen Homepage, in welcher Flughöhe das geschah und wo dieses "Fuel Dumping" genannte Verfahren abgehalten wurde. Beim Start dürfen Jets mehr Gewicht tragen als bei der Landung. Bei Vertikalgeschwindigkeiten von 12 Metern pro Sekunde und 300 km/h –  würden die großen Flugzeuge mit hohem Gewicht auf die Landebahnen knallen, Fahrwerk und Landebahn beschädigen und im Zweifel wegen des langen Bremsweges über das Ende der Bahn hinausschlittern.

Will ein vollgetankter Flieger also landen, muss er oft vorher Kerosin ablassen. Es gibt eine Studie im Auftrag des Bundesumweltamtes, aus der hervorgeht, dass das Kerosin, das im Notfall versprüht wird, zu großen Teilen in der Atmosphäre verdunstet und von der UV-Strahlung der Sonne zersetzt wird. Ein Teil des Treibstoff-Nebels, würde aber auch zu Boden fallen, allerdings so fein verteilt, dass es keine schweren Auswirkungen auf die Umwelt habe. Je nach Temperatur zwischen vier und 59 Prozent des Treibstoffes erreichen den Boden. Die Erkenntnisse in einer Studie des Umweltbundesamtes beruhen auf Modellrechnungen.

Über Vorfälle informiert werden muss die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) mit Sitz in Köln. Auf Nachfrage bei der EASA, was bekannt sei zu Kalitta Air und häufiger auftretenden technischen Problemen, heißt es, Auskünfte zu einzelnen Fluggesellschaften seien nicht möglich. Die EASA halte sich an europäisches Recht, eine Informationsweitergabe verbietet eine europäische Direktive. Gleichzeitig versucht man zu vermitteln, dass Kalitta Air in der Vergangenheit gar nicht aufgefallen sei.

Weiterflug ohne Vorfeldkontrolle

Für die technische Sicherheit der Maschinen sind die Fluggesellschaften verantwortlich. Aber es gibt auch staatliche Kontrollen für die Flugzeuge, die sich am Boden befinden. Vorfeldkontrollen beziehungsweise "Ramp Checks" heißen sie und sind Stichprobenkontrollen. Dafür zuständig ist das Luftfahrtbundesamt zusammen mit den Landesbehörden. Am Flughafen Leipzig/Halle ist es die Landesdirektion Sachsen.

Doch eine Kontrolle durch Mitarbeiter der Landesdirektion vor dem Start des Fluges CKS698 nach Cincinnati von Kalitta Air mit der Boeing 747 mit dem Kennzeichen N708CK am 18. Juli 2023 hat es nicht gegeben. Und auch danach nicht, das teilt die Landesdirektion Sachsen auf Nachfrage mit. Das Flugzeug landet beschädigt, der Schaden am Drucksystem wird möglicherweise repariert, der Jet ist wieder flugfähig, aber die zuständige Behörde kontrolliert nicht noch einmal.

Welche Rolle Vorfeldkontrollen spielen

Für die Vorfeldkontrollen ist auch das Luftfahrtbundesamt (LBA) zuständig. Das LBA dokumentiert Ramp Checks an ausländischen Flugzeugen. 1.508 Kontrollen gab es im Jahre 2022 an allen deutschen Flughäfen, in Leipzig/Halle 55. Auf Nachfrage des MDR teilt das LBA mit, dass bei diesen 55 Kontrollen 31 Verstöße entdeckt worden sind. Die Flugzeuge konnten trotzdem starten. Ramp Checks können unter anderem Inspektionen der Flugzeuge oder der Piloten sein. Zum Beispiel sollen Alkoholkontrollen durchgeführt, aber auch die technische Intaktheit geprüft werden, beschreibt das Handbuch für die Vorfeldkontrolle.

Die Vorfeldkontrollen sind politisch heikel, da sich ausländische Airlines öfter mal diskriminiert fühlen und es Vorwürfe gibt, das Ramp Checks dazu genutzt werden, inländische Fluggesellschaften zu bevorzugen und ausländische zu vergraulen. Umgekehrt steigert sich die Attraktivität eines Flughafens aber auch, wenn unangenehme Kontrollen eher selten sind.

Transparenz steht nicht im Vordergrund der Vorfeldkontrollen. Selbst wenn den Prüfern etwas auffiele, erfährt es die Öffentlichkeit nicht. Das verbietet die entsprechende EU-Regelung. Die Informationen werden in einer Spezialdatenbank gespeichert, der SAFA-Datenbank der EASA. Die Europäische Agentur für Flugsicherheit mit Sitz in Köln ist stattdessen verpflichtet jedes Jahr einen Bericht in einfacher Sprache zu erstellen. Den bislang letzten Bericht hat die Agentur für das Jahr 2020 veröffentlicht. Andere Reports, zum Beispiel der Annual Safety Report erscheinen häufiger, eine Fortschreibung von schweren Flugunfällen mit dem Ergebnis: Die kommerzielle zivile Luftfahrt ist sicher.

Drei Luftnotlagen binnen eines Monats

Drei Luftnotlagen gab es zwischen dem 18. Juli und dem 14. August 2023, bei denen erhebliche Mengen Kerosin aus Tanks gesprüht wurden, bevor Flugzeuge am Airport Leipzig/Halle gelandet sind.

  • 18.7.2023 Kalitta Air von Leipzig/Halle auf dem Flug nach Cincinnati (USA)
  • 13.8.2023 Kalitta Air von Amsterdam nach Newark (USA)
  • 14.8.2023 Atlas Air von Leipzig/Halle nach Tokyo

Die Fracht-Boeing 747 der Atlas Air flog am 14.08.2023 schon über dem tschechischen Brno (Brünn) als der Riss in einer Scheibe die Besatzung zwang, den Flug abzubrechen. Der Pilot landete aber nicht in Prag oder in Wien, sondern steuerte zurück nach Leipzig. Unterwegs versprühte die Maschine 110 Tonnen Kerosin.

Am Tag zuvor, am 13.8.2023, war eine Kalitta Air Maschine von Amsterdam nach Newark (New York) über Großbritannien mit Druckproblemen in eine Notsituation geraten und auch hier landete der Pilot nicht im Vereinigten Königreich und auch nicht in Amsterdam, sondern flog weiter nach Leipzig. Warum der Flughafen Leipzig/Halle jeweils Ziel der Rückflüge wurde, ist nicht klar.

Der Flughafen verweist auf Anfrage auf die Entscheidung der Flugzeugführer, wohin sie fliegen wollen. Die Deutsche Flugsicherung bestätigt auf telefonische Nachfrage, dass der Pilot der Maschine aus Amsterdam darum gebeten habe, in Leipzig/Halle landen zu dürfen.

Kalitta Air und Atlas Air haben bisher nicht auf Anfragen geantwortet.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 20. August 2023 | 18:05 Uhr

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