Ein großes Frachtflugzeug Typ Boeing 747 mit Aufschrift Kalitta Air wird von Abendsonne angestrahlt und befindet sich kurz vor der Landung am Flughafen Leipzig-Halle. Im Hintergrund in der Ferne Teil der Skyline von Leipzig.
Kalitta Air, hier beim Landeanflug auf Leipzig-Halle, musste zuletzt gleich zweimal Kerosin über Mitteldeutschland ablassen. Bildrechte: imago/Alexander Ludger

Fuel Dumping Erst tanken, dann wegkippen: Warum müssen Flugzeuge vor der Landung manchmal Kerosin ablassen?

22. August 2023, 15:29 Uhr

Niemand möchte, dass der Jumbo ein paar tausend Meter überm Kopf damit beginnt, tonnenweise Kerosin zu entleeren. Auch für Airlines ist das nicht optimal – aber für die Umwelt auch nicht ungesund, heißt es offiziell, die Sicherheit der Fluggäste geht vor. Wird sich an dem Vorgehen "Treibstoffschnellablass" also in absehbarer Zeit nichts ändern? Und gibt es Alternativen?

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Also irgendwas klingt falsch daran – so, als würde man einfach ein, zwei Colaflaschen mehr in den Einkaufswagen legen. Und sie vor dem Austrinken ins Blumenbeet kippen, na die werden sich freuen. Gut: dass ein Flugzeug mehr Kerosin tanken muss als es für eine Strecke braucht, das gebietet der nicht ganz unerhebliche Reserve-Gedanke. Mitunter kommt es aber vor, dass der Flieger wieder tonnenweise Sprit ablässt und sich dabei nicht zwangsläufig über Ozean oder Wüste befindet. Treibstoffschnellablass sagt das Luftfahrt-Bundesamt dazu – auf Englisch gewohnt knapp Fuel Dumping.

Fuel Dumping: Altmark im Juli, Sachsen und Thüringen im August

Auch in Mitteldeutschland passiert das: Im Juli war es ein Jumbo, der über der Altmark neunzig Tonnen Kerosin vergoss. Im August erwischte es Sachsen und Thüringen: Erst ein Flugzeug der gleichen Airline – der amerikanischen Frachtfluggesellschaft Kalitta Air –, das dreißig Tonnen Kerosin über Niedersachsen und dem nördlichen Sachsen abgelassen hat. Und einen Tag später eine Maschine der Atlas Air, ebenfalls ein Frachtflug, der über Tschechien nach Leipzig-Halle umkehren und dabei 110 Tonnen Kerosin ablassen musste, Teile davon über Sachsen und Thüringen. Und auch beim Pannenflieger der Bundesregierung, mit dem Außenministerin Baerbock unterwegs war, musste viel Kerosin abgelassen werden.

Am Anfang steht ein Sicherheitsvorfall. In den genannten Beispielen über Mitteldeutschland waren das Druckprobleme oder eine kaputte Scheibe – auf jeden Fall genug Gründe zur Rückkehr oder Notlandung. So beladen, wie der Flieger abgehoben ist, darf er allerdings nicht landen. Nehmen wir eine Boeing 747-800, das Flugzeug mit dem Buckel. Die hat ein maximales Startgewicht von 447 Tonnen – darf aber nur mit 312 landen. "Das hat mit dem höchsten Diktum des zivilen Luftverkehrs zu tun: Sicherheit", erklärt Arne Schulke, Luftfahrtexperte an der IU Internationalen Hochschule mit Hauptsitz in Erfurt. Ihm zufolge gibt es zwei Möglichkeiten: In der Luft kreisen oder Kerosin ablassen. "Ersteres ist meist unsicher und für die Passagiere hoch nerven- und zeitraubend", so Schulke, weshalb Ablassen fast immer sinnvoller sei. Ein Prozess, der formlos bei der Flugaufsicht beantragt und von dieser auch beobachtet wird, die Daten sind öffentlich.

Für die Fluggastsicherheit steht alles zurück, auch die Umwelt

Prof. Dr. Arne Schulke IU Internationale Hochschule

Beim Ignorieren des Landesgewichts drohen Schäden am Fahrwerk oder bei härterer Landung weitere Schäden am Flugzeug – ein teurer Spaß. Im schlimmsten Fall aber: "Zerbrechen, Feuer, Menschenschaden", so Schulke. "Ein anders gelagertes Risiko ist das Überschießen der Landebahn durch das hohe Gewicht und ein zu langer Bremsweg." Mit ähnlichen Folgen.

Für die Airlines ist das Fuel Dumping an sich aber schon kein Fall von Heiterkeit und freilich auch kein Weg, den man gerne geht. Kerosin kostet schließlich Geld, noch dazu derzeit deutlich mehr als in den Vorjahren. Es ist in der Umwelt zu entsorgen, ist der letzte Schritt und nur bei schwerwiegenden technischen Problemen üblich. Aber kann es denn gesund sein, Tonnen Kerosin über Mensch und Natur auszukippen? Hier scheiden sich die Geister, angeblich komme keinerlei Kerosin am Boden an, sagt Schulke.

Auf jeden Fall werden Tonnen von Kerosin in die Umwelt freigesetzt – gut kann das nicht sein

Prof. Dr. Arne Schulke IU Internationale Hochschule

Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft – ein Interessenverband, dem direkt und indirekt zahlreiche deutsche Airlines und Flughäfen angehören – schreibt dazu auf seinem Klimaportal: "Durch die hohe Austrittsgeschwindigkeit, die Turbulenzen und Verwirbelungen hinter dem Flugzeug wird das Kerosin in einem feinen Nebel verteilt. Der weitaus größte Teil des Nebels sinkt jedoch nicht zu Boden, sondern verbleibt in der Atmosphäre, bis er durch die Strahlungsenergie der Sonne in Wasser und Kohlendioxid umgewandelt wird." Verunreinigungen konnten noch nicht festgestellt werden. Dem pflichtet auch das Umweltbundesamt in Dessau-Roßlau bei: "Treibstoff-Schnellablässe haben nach dem aktuellen Kenntnisstand keine kritischen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt", so dessen Einschätzung.

"Aber was heißt das schon?", fragt sich Arne Schulke. "Auf jeden Fall werden Tonnen von Kerosin in die Umwelt freigesetzt – gut kann das nicht sein. Aber nochmal: Für die Fluggastsicherheit steht alles zurück, auch die Umwelt – als Fluggast ist man für diese Philosophie maximal dankbar."

Welche Alternativen zum Fuel Dumping gibt es?

Zumindest gibt es für die Kerosin-Ablässe Richtlinien. Zum Beispiel, dass nur über dünn besiedeltem Gebiet abgelassen werden soll. "Allerdings auch nur, wenn die Flugsituation dies zulässt", räumt Schulke ein. "Hier ist letztlich die Einschätzung des Kapitäns ausschlaggebend, wird aber in der in Deutschland folgenden Untersuchung natürlich auch kritisch hinterfragt."

Und die Methodik, wird die auch hinterfragt? "Man kann immer streiten, ob die Sicherheitsspielräume beim maximalen Landegewicht nicht zu hoch angesetzt werden, die Piloten hier mehr Ermessensspielraum haben sollten oder nicht mehr Treibstoff verflogen werden kann", sagt Arne Schulke. "Aber würden Sie das als Pilot oder Fluggast wollen? Man kann sich den Shitstorm vorstellen, sobald die erste Maschine unter geänderten Regeln hart aufsetzt, Feuer fängt und Menschen zu Schaden kommen – dann würden alle Finger auf die Regulierer zeigen und sagen: Wie konntet ihr nur Menschen gefährden?"

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 20. August 2023 | 18:05 Uhr

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