Bundesverfassungsgericht Löhne für Arbeit im Strafvollzug müssen steigen

20. Juni 2023, 20:28 Uhr

Auch für Strafgefangene muss sich ihre Arbeit in der Haft finanziell lohnen. Eine zu niedrige Bezahlung laufe dem Ziel ihrer Resozialisierung entgegen, urteilte jetzt das Bundesverfassungsgericht. Die aktuellen Sätze sind demnach zu niedrig.

Zwei Strafgefangene aus Bayern und Nordrhein-Westfalen haben sich erfolgreich gegen die geringe Entlohnung ihrer Arbeit in Haft gewehrt. Die Regelungen der Länder dazu seien mit dem Ziel der Resozialisierung nicht vereinbar, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Bundesländer müssen reagieren

Die Bundesländer wurden beauftragt, bis spätestens Ende Juni 2025 ihre gesetzlichen Regelungen zur Arbeitspflicht und ihre Vergütungsverordnungen zu überarbeiten. Die Haft-Arbeitspflicht, die außer in Sachsen, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und im Saarland gilt, soll demnach allein der Resozialisierung dienen. Auch deshalb wird für Gefangene etwa kein Mindestlohn gezahlt. Ob dieser nun künftig angewendet wird, blieb bei der Entscheidung offen.

Die Linke-Vorsitzende Janine Wissler hatte sich vor dem Urteil bei MDR AKTUELL für den Mindestlohn ausgesprochen und die bisherige Praxis in den Haftanstalten als "Lohndumping" kritisiert. Ähnlich äußerte sich Manuel Matzke von der Gefangenen-Gewerkschaft GGBO, der als Auskunftsperson auch in dem Verfahren in Karlsruhe gehört worden war.

Matzke sagte MDR AKTUELL, dass "Gefangene, die arbeiten, einbezogen werden sollen in den gesetzlichen Mindestlohn", denn sie "arbeiten klar für externe Dienstleister." Werde vermittelt, "dass sich ehrliche Arbeit auszahlt", könne das "Resozialisierungscharakter" haben. So sei es nur "Ausbeutung".

Das Urteil dürfte Auswirkungen auf alle Bundesländer haben, auch auf die ohne Haft-Arbeitspflichten, denn auch die Bezahlung freiwilliger Arbeit etwa in Sachsen ist vom Land geregelt und hier kaum höher als anderswo.

Angemessenheit bleibt Sache der Länder

Das Verfassungsgericht gab allerdings keine Höhe für den Lohn vor. Laut Vizepräsidentin Doris König wurden lediglich die Resozialisierungskonzepte der beiden Länder für in sich nicht schlüssig befunden. Ausgestaltung und Höhe der Vergütung sind demnach nicht so gestaltet, dass damit das Ziel der Resozialisierung auch tatsächlich erreicht werden könne.

Demnach sollen Gefangenen auch den durch ihre Straftat verursachten Schaden ausgleichen, für Unterhaltsberechtigte sorgen und mit der Tilgung von Schulden beginnen. In Bayern und Nordrhein-Westfalen werden sie laut Gericht zudem an den Kosten der Haft und der medizinischen Versorgung beteiligt. Das sei zwar zulässig, so das Gericht. Auch dürfe eine womöglich geringere Produktivität in die Lohn-Kalkulation einbezogen werden.

Es müsse Gefangenen aber ein greifbarer Vorteil aus ihrer Arbeit bleiben, betonte das Gericht erneut. Haft-Arbeit wirke nur dann pro Resozialisierung, wenn sie angemessene Anerkennung finde – was mit Geld, aber auch durch eine Haftzeit-Verkürzung oder andere Erleichterungen möglich sei.

Bis zu Neuregelungen gelten die alten Vorschriften nach dem Beschluss aber vorerst weiter. Um Finanz- und Haushaltsplanungen zu schonen, müssen die Länder demnach keine rückwirkenden Änderungen vornehmen.

Sachsen will bisherige Vergütung überprüfen

Sachsens Justizministerin Katja Meier begrüßte das Urteil als "wegweisend". Man werde "die Entscheidung und ihre Auswirkungen auf den sächsischen Vollzug nun genau prüfen". Die Grünen-Politikerin verwies darauf, dass es in Sachsen keine Arbeitspflicht für Gefangene gebe. Ihr Arbeitsentgelt liegt nach Angaben des Ministeriums für einen kompletten Arbeitstag zwischen 8,80 Euro und 18,33 Euro. Zudem gebe es hier die Möglichkeit, die Teilnahme an Resozialisierungs- und Behandlungsmaßnahmen zu vergüten.

Die Linke-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel forderte, das System der Vergütung für Gefangene in Sachsen insgesamt zu überprüfen. Mit einem Stundenlohn von maximal 2,15 Euro gebe es keine Rentenansprüche für Gefangene, "obwohl manche jahrelang arbeiten". Diese "Ausbeutungspraxis" widerspreche dem verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot. Doch selbst zehn Prozent Inflationsausgleich, den die Linke in den Verhandlungen zum Haushalt beantragt habe, seien von der Koalition abgelehnt worden.

Auch Thüringen kündigt Prüfung an

Auch das Thüringer Justizministerium kündigte eine Prüfung und Bewertung des Urteils an. Es gebe voraussichtlich Umsetzungsbedarf auch im eigenen Justizvollzug, teilte eine Sprecherin mit. Die Linke-Abgeordnete Karola Stange sagte, die vom Gericht monierten Regelungen aus Nordrhein-Westfalen und Bayern hätten große Ähnlichkeit mit denen in Thüringen. Deshalb müsse die Entscheidung aus Karlsruhe "dringend" ausgewertet werden.

AFP, dpa, MDR (ksc)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 20. Juni 2023 | 10:30 Uhr

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