Kind spielt zur Sprachförderung in der Logopädie
Wird bei einem Kind eine Sprachentwicklungsstörung diagnostiziert, kommen Logopäden und Sprachtherapeutinnen ins Spiel, um Sprachdefizite auch spielerisch auszugleich. Bildrechte: IMAGO / Herrmann Agenturfotografie

Logopädie und Sprachtherapie Mehr Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen in Behandlung

27. Juli 2024, 14:06 Uhr

Sprachentwicklungsstörungen sind Störungen der Sprache, die während der Entwicklung des Kindes auftreten und bis ins Jugend- und Erwachsenenalter bestehen können. Immer mehr Kinder im Vorschulalter erhalten diese Diagnose. Derartige Sprachstörungen betreffen Wortschatz, Grammatik, Lauterwerb und auch nonverbale Kommunikation, können aber gut therapiert werden. Dabei gilt: Je früher, desto besser.

Nikta Vahid-Moghtada
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Kinder im Alter von zwei Jahren sollten rund 50 Wörter sprechen können, so zumindest lautet die allgemeine Richtlinie von Experten. Aber was, wenn ein Kind weniger spricht? Ist das Kind nur ein "late talker" und braucht schlichtweg etwas länger, bis es zu sprechen beginnt, oder liegt gar eine Sprachentwicklungsstörung vor? Eltern werden schnell hellhörig, jedoch bestehe nicht sofort Grund zur Sorge, sagt Sonja Utikal vom Deutschen Bundesverband für Logopädie e.V.. Viele Kinder holten den Rückstand bis zum dritten Lebensjahr auf.

Wenn nicht, liegt möglicherweise eine Sprachentwicklungsstörung vor – die häufigste Entwicklungsstörung im Kindesalter. Durchschnittlich sind nach Angaben des Deutschen Bundesverband für Logopädie sieben bis acht Prozent der Kinder eines Jahrgangs betroffen. Die Tendenz ist steigend, zeigen auch Daten verschiedener Krankenkassen. Wie die Barmer auf Anfragte mitteilte, sei im Jahr 2022 bei 13,6 Prozent aller Kinder bis 14 Jahren eine Sprachentwicklungsstörung diagnostiziert worden. Im Jahr 2012 seien es noch 10,6 Prozent gewesen. Die DAK teilte mit: "Seit 2018 ist eine Zunahme der Diagnosehäufigkeit von sogenannten Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache bei Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 17 Jahren zu verzeichnen."

Abweichung in der Sprachentwicklung

"Bei einer Sprachentwicklungsstörung handelt es sich um eine inhaltliche und zeitliche Abweichung vom normalen Spracherwerb, das heißt, betroffene Kinder erwerben die Meilensteine der Sprachentwicklung entweder später oder in einer anderen Qualität als altersgerecht entwickelte Kinder", sagt Sonja Utikal. Die Logopädin hat viele Jahre im Praxisbetrieb gearbeitet. Dass heute mehr Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung behandelt werden, bedeute nicht automatisch, dass mehr Kinder betroffen seien. Jedoch sei das Wissen und die Sensibilität für das Thema heute größer als noch vor zehn Jahren.

Beispiel Sachsen-Anhalt: 20 Prozent mehr Kinder betroffen als vor zehn Jahren

Steffi Suchant, Leiterin der Landesvertretung Sachsen-Anhalt der Techniker Krankenkasse (TK) erklärt am Beispiel von Sachsen-Anhalt: "Bei mehr als jedem fünften Kind in Sachsen-Anhalt wurde in den vergangenen Jahren im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung eine Sprachstörung festgestellt." Jungen seien demnach häufiger betroffen als Mädchen. "Damit fanden sich sprachliche Defizite noch vor Entwicklungsdefiziten der Feinmotorik oder mangelndem Sehvermögen mit deutlichem Abstand an der Spitze der Befunde von Vorschulkindern", sagt Suchant.

Wie die TK mitteilte, stieg die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit diagnostizierten Sprachstörungen seit 2014 in Sachsen-Anhalt um mehr als 21 Prozent. Als Ursache nennt die TK einen Mix aus verschiedenen Faktoren, etwa ein verändertes Freizeitverhalten. "In vielen Familien gehört das regelmäßige Vorlesen längst nicht mehr zur Abendroutine. Auch Familienmahlzeiten werden eher die Ausnahme und elektronische Medien wie Handy oder TV verdrängen zunehmend gemeinsame Aktivitäten. All das sind aber Gelegenheiten für einen kommunikativen Austausch als Grundlage des Sprechens bzw. Sprechen Lernens", sagt Suchant.

Auswirkungen auf Sozialleben und Bildungsverlauf

Bleiben Sprachentwicklungsstörungen unbehandelt, droht ein langer Rattenschwanz an Folgeerscheinungen.

Sonja Utikal vom Deutschen Bundesverband für Logopädie
Sonja Utikal, Deutschen Bundesverband für Logopädie e.V. Bildrechte: dbl/Jan Tepass

Möglich seien negative Auswirkungen auf das soziale Interagieren der Kinder, auf den Bildungsverlauf oder auf die gesellschaftliche Teilhabe, sagt Logopädin Sonja Utikal. Sprache sei essentiell für das soziale Miteinander einerseits, aber auch für das eigene emotionale Wohlbefinden. "Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung haben häufig auch Probleme beim Verstehen komplexerer Sätze. Im Kindergarten und der Schule können sie dadurch verhaltensauffällig erscheinen – zum Beispiel durch sozialen Rückzug oder störendes Verhalten in Gruppensituationen mit sprachlichen Anforderungen."

Eine gute Sprachentwicklung sei letztlich auch eine Voraussetzung für eine gute Bildungsbiografie, so die Logopädin. Und: "Eine diagnostizierte Sprachentwicklungsstörung wächst sich nicht einfach von alleine aus. Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung benötigen individuelle Unterstützung in einer Sprachtherapie, um bestimmte sprachliche Zielstrukturen zu erwerben."

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Je früher die Diagnose, desto größer der Behandlungserfolg

Umso wichtiger sei es, Kinder rechtzeitig zu untersuchen, um etwaige Defizite zu diagnostizieren – etwa im Rahmen der U-Untersuchungen beim Kinderarzt. Auch Eltern können auf gewisse Anzeichen achten. Darunter die bereits angesprochene Faustregel: Mit zwei Jahren sollte ein Kind etwa 50 Wörter verwenden.

Die Leipziger Sprachtherapeutin Isabella Richter
Isabella Richter Bildrechte: MDR/privat

Denn Sprachentwicklungsstörungen können therapeutisch gut behandelt werden. Je früher eine Therapie beginne, desto höher sei auch der Behandlungserfolg, weiß auch die Leipziger Sprachtherapeutin Isabella Richter. Bestenfalls sollte eine Therapie noch vor dem Schuleintritt angegangen werden, rät sie.

Indikator sei aber nicht nur die gesprochene Sprache, sagt die Leipziger Logopädin Isabella Richter. Auch die Fähigkeit zu nonverbaler Kommunikation deute darauf hin, wie weit ein Kind entwickelt sei. Je mehr Blickkontakt, Mimik oder Gestik stattfinde, umso besser: "Je mehr Gesten das Kind im frühen Alter zeigt, desto wahrscheinlicher ist auch, dass die Sprachentwicklung sehr gut vorangeht. Auch wenn das Kind auf Gegenstände zeigt und fragt und Interesse an der Welt zeigt, dann ist das ein gutes Zeichen", sagt Richter.

Symptome einer Sprachentwicklungsstörung:

Störungen des Lauterwerbs

  • Lautersetzungen (z.B. Gose statt Dose)
  • Lautauslassungen (z.B. Metterling statt Schmetterling)
  • Auslassung unbetonter Silben (z.B. Nane statt Banane)


Störungen des Wortschatzes

  • Geringer Wortschatz (Verwendung weniger Wörter)
  • Einsatz von Vielzweckwörtern (z.B. Dings) oder einfachen Verben (z.B. machen)
  • Suchverhalten und Wortfindungsprobleme


Störungen der Grammatik

  • Auslassung von Wörtern (z.B. "___Junge kauft Äpfel"
  • Ungewöhnliche Verbstellung im Hauptsatz (z.B. "Die Oma Kuchen backt")
  • Keine oder falsche Pluralmarkierungen (z.B. Hause statt Häuser)


Mit Informationen des Deutschen Bundesverbands für Logopädie e.V..

Smartphones und Tablet gezielt und nicht vor Kindern nutzen

Eltern können ihre Kinder unterstützen und fördern, sagt Richter. Durch mehr Vorlesezeit zum Beispiel, aber vor allem auch durch viel Kommunikation, egal ob verbal oder nonverbal, durch gezieltes Nachfragen und Wertschätzung. "Verbal lässt sich zum Beispiel die Aussprache korrigieren, wenn wir korrektives Feedback anwenden", etwa durch korrigierende Wortwiederholungen, ohne dass gezielt auf den Fehler hingewiesen wird, erklärt die Therapeutin.

Ein weiterer Faktor sei auch der Konsum digitaler Medien. Dabei sollte einerseits die Bildschirmzeit von Kindern begrenzt werden, doch auch jede Minute mehr, in der Eltern den Blick auf das Smartphone oder Tablet richten, bedeute weniger Interaktion mit dem Kind. Nicht nur die aktive Gesprächszeit gehe zurück, sondern auch die nonverbale Kommunikation nehme ab. Dennoch könnten mobile Geräte auch sinnvoll und gemeinsam mit dem Kind genutzt werden, etwa mit Bilderbuch-Apps, die sich Eltern und Kinder gemeinsam anschauen oder daraus vorlesen und darüber sprechen können. Das sei etwas ganz anderes, sagt Richter, "weil man nicht stocksteif mit einer Wand vor dem Gesicht dasitzt".

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 27. Juli 2024 | 08:00 Uhr

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