Ein Fotoreporter trägt auf einer Demonstration einen Aufnäher mit dem Text «PRESS» auf seiner Jacke, um sich gegenüber Polizei und Demonstranten als Journalist zu kennzeichnen.
Journalisten werden zu Gegnern – Angriffe 2024 mehr als verdoppelt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Markus Scholz

Reporter ohne Grenzen Angriffe auf Journalisten nehmen zu

08. April 2025, 12:39 Uhr

Die Zahl der gewaltsamen Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten hat sich in Deutschland im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" hat 89 Angriffe auf Medienschaffende dokumentiert und belegt – die meisten am Rande von Kundgebungen, vor allem zum Nahost-Konflikt, aber auch bei Veranstaltungen der rechten Szene und von Abtreibungsgegnern.

Im vergangenen Jahr hat die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen in Deutschland 89 Angriffe auf Medienschaffende und Redaktionen gezählt. Das geht aus dem Bericht "Nahaufnahme: RSF-Report zur Lage der Pressefreiheit in Deutschland" hervor. Damit hat sich die Zahl im Vergleich zu 2023 mehr als verdoppelt.

Getreten oder mit Pfefferspray attackiert

Insgesamt umfassten dem Bericht zufolge 75 der 89 Angriffe körperliche Gewalttaten. Es gab 40 verifizierbare Fälle, in denen Journalisten sowie Ausrüstung geschlagen, getreten oder brutal geschubst wurden. In vier Fällen wurden Personen mit einem Gegenstand geschlagen und elf Mal angespuckt. 14 Angriffe gab es auf Wohngebäude oder Redaktionsräume. Darüber hinaus wurden Journalisten in die Genitalien getreten, mit Eiern oder Kaffeebechern beworfen oder mit Pfefferspray attackiert. 66 der 89 Attacken fanden im Rahmen von politischen Demonstrationen statt.

Im Jahr 2023 lag die Zahl noch bei 41 Fällen. 2024 war damit nach dem Rekordjahr 2022 das Jahr mit den zweitmeisten Angriffen, seit die Zahlen 2015 erstmals veröffentlicht wurden. Die Organisation geht von einer hohen Dunkelziffer aus. In die Statistik fließen nur solche Vorfälle ein, die sich eindeutig belegen lassen. 123 weitere Hinweise auf Gewalt gegen Medienschaffende konnten nicht verifiziert werden.

49 Fälle in Berlin registriert

Gewalt gegenüber Journalistinnen und Journalisten war im Jahr 2024 vor allem im Berlin ein Thema, wo sich 49 der bundesweit dokumentierten Fälle ereigneten. Die meisten Übergriffe wurden am Rande von Nahost-Demonstrationen gezählt. 29 dieser Attacken richteten sich gegen zwei Reporter, die immer wieder angegriffen wurden. Beide wurden bedroht, beleidigt, bespuckt, mehrfach geschlagen, getreten und geschubst. Damit entfallen knapp 40 Prozent aller Attacken auf die beiden Journalisten, die häufig gemeinsam von pro-palästinensischen Demonstrationen in Berlin berichten.

In Bayern und Sachsen wurden jeweils acht Vorfälle registriert, gefolgt von Niedersachsen (5), Nordrhein-Westfalen (4), Brandenburg (3), Hessen (3) und Sachsen-Anhalt (3), Hamburg (2), Thüringen (1), Schleswig-Holstein (1), Bremen (1) und Baden-Württemberg (1). Aufmerksamkeit erregte ein Vorfall in Erfurt am 11. April, bei dem ein Passant einem Reporter während einer Liveschalte zum TV-Duell zwischen Björn Höcke und Mario Voigt auf den Kopf schlug.

Schwerer Angriff auf Journalisten in Leipzig

Einer der brutalsten Angriffe fand am 24. Januar in Leipzig statt. Der betroffene Journalist war für einen privaten Sender vor Ort und wurde von einem Freund begleitet, als beide erst verbal attackiert und anschließend zusammengeschlagen wurden. Auch als der Journalist bereits am Boden lag, wurde weiter auf ihn eingetreten. Beide Opfer kamen verletzt ins Krankenhaus. Im Dezember wurde gegen drei Tatverdächtige Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben.

Medienschaffende gerieten zudem bei der Berichterstattung von rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Versammlungen in Gefahr. Dort seien für das vergangene Jahr 21 Übergriffe gezählt worden, teilte "Reporter ohne Grenzen" mit. Auch hier wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Sechs Fälle von Polizeigewalt gegen Journalisten konnten zudem verifiziert werden, darunter ebenfalls vier im Nahost-Kontext.

Journalisten als Gegner gesehen

Auch abseits körperlicher Angriffe hat die Organisation in ihrem Bericht auf zahlreiche Risiken für die Pressefreiheit in Deutschland hingewiesen. Seit der Corona-Pandemie beobachte man eine gesellschaftliche Entwicklung, in der viele Bürger Journalisten, die nicht ihrem eigenen ideologischen Spektrum entstammten, als Gegner ansähen. Das betreffe wiederum vor allem das Thema Nahost.

Aber auch innerhalb der Redaktionen gab es 2024 Konflikte. Vor allem nach dem 7. Oktober 2023 wurde immer wieder von einem stark verengten Meinungskorridor bei der Arbeit zu Israel und Palästina berichtet.

Auch Auslandskorrespondenten berichteten von langwierigen Aushandlungsprozessen über die Glaubwürdigkeit palästinensischer und internationaler Quellen. Journalisten mehrerer Medienhäuser haben angegeben, dass die israelische Botschaft in Deutschland häufig mit Beschwerden auf Berichterstattung reagiere.

Medienvielfalt in Deutschland unter Druck

Grundsätzlich hält sich die Medienvielfalt in Deutschland weiterhin auf einem international hohen Niveau, doch der Trend zur Monopolisierung und wirtschaftlicher Druck gefährden sie zunehmend. Während öffentlich-rechtliche und private Sender weiterhin ein großes Angebot haben, nimmt die Zahl unabhängiger Lokalzeitungen ab.

Ein Mann steht vor einer Fabrik und spricht in ein Mikrofon. Er hat den Daumen der rechten Hand gehoben und lächelt. Daneben der Schriftzug: Wenn der Lokaljournalismus verschwindet. 1 min
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Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 10 von 180 Staaten. Sie spiegelt die Situation von Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Ländern und Territorien wider.

dpa, epd, KNA (das)

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 08. April 2025 | 09:00 Uhr

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