Interview "Kulturhauptstadt Europas": Was es Weimar brachte und Chemnitz bringen könnte

07. Juli 2023, 05:00 Uhr

Im Rahmen der Zukunftstour ist MDR AKTUELL-TV am Freitag in Chemnitz – der Kulturhauptstadt Europas 2025. Die Stadt Weimar trug diesen Titel im Jahr 1999. Ulrike Köppel, Geschäftsführerin der Weimar GmbH erzählt im Interview, welche Projekte es damals anlässlich der Kulturhauptstadt in der Klassikerstadt gab, welche nachhaltigen Entwicklungen der Titel mit sich brachte und wie sie auf Chemnitz blickt.

Wie war die Reaktion in Weimar auf die Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas?

Ganz Weimar hat sich riesig gefreut. Wir haben 1993 eine Bewerbungsschrift abgegeben und als dann tatsächlich der Zuschlag kam, gab es großen Jubel. Und es war auch vor allen Dingen Stolz, weil Weimar die bis dahin kleinste Kulturhauptstadt Europas war und die allererste ostdeutsche Stadt.

Wie hat sich Weimar auf 1999 vorbereitet?

Zunächst wurde eine eigene GmbH gegründet, die Kulturstadt Europas GmbH, die auch mit ihrem Kulturstadt-Generalbevollmächtigten Bernd Kauffmann insbesondere für das Programm verantwortlich war. Aber die ganze Stadt hat sich vor allem baulich vorbereitet. Ungefähr 1,2 Milliarden D-Mark wurden in die Hand genommen und investiert.

Was waren denn die großen und erfolgreichen Projekte?

In erster Linie waren das tatsächlich städtebauliche Projekte. Man hat immer gesagt, dass Weimar durch diese Investitionen einen Schub von ungefähr 20 Jahren bekommen hat. Es gab eine zum Teil marode Infrastruktur. Und es wurde wirklich grundsätzlich und an allen Ecken und Enden gebaut.

Die Bauprojekte betrafen zum Beispiel das Unesco-Welterbe, das Stadtschloss, das Goethe-Nationalmuseum, die Sternbrücke. Auch das Haus am Horn, das Römische Haus, das Museum "Neues Weimar" und die Weimarhalle wurden neu gebaut.

Und es gab natürlich ganz spektakuläre Kulturprojekte, also zum Beispiel einen "Faust"-Marathon, viele verschiedene Inszenierungen, aber auch eine große Ausstellung, die zwar umstritten war, aber gerade deshalb einen Diskurs über die Bedeutung ostdeutscher Kunst angestoßen hat.

Welche Veränderungen waren nachhaltig? Welche Projekte hatten keinen Erfolg?

Die Investitionen in die Infrastruktur – davon zehren wir auch heute noch. Gerade von der touristischen qualitativ hochwertigen Infrastruktur, die auch durch private Investitionen entstanden ist. Auch die Akzeptanz der Touristen in der Stadt und das Verorten von Weimar auf der touristischen Landkarte ist natürlich extrem nachhaltig gewesen.

Es sind tatsächlich Dinge gescheitert. Es gab ein Projekt, das den Widerstand der Bevölkerung herausgefordert hat. Geplant war die Umgestaltung des historischen Rollplatzes durch einen namhaften Künstler. Da gab es dann tatsächlich eine Bürgerinitiative gegen die Umgestaltung. Und heute ist das leider immer noch nur ein Parkplatz.

Im Rückblick: Wie schätzen Sie den Erfolg des Projekts "Kulturhauptstadt" ein?

Für Weimar war es sowohl nach innen als auch nach außen ein echter Erfolg. Die Stadt hat einen unglaublichen Entwicklungsschub bekommen. Wir sind auf eine weltweite Landkarte gekommen und nach innen hat es die Weimarer bestätigt. Sie sind sehr stolz auf ihre Stadt. Und sie wissen auch, warum.

Wenn Weimar noch einmal zur "Kulturhauptstadt" ernannt werden würde, was würden Sie anders machen?

Ich glaube, wir würden noch mehr lokale Partner intensiv einbeziehen. Das hat 1999 schon super geklappt. Es gibt Kooperationen, die bis heute tragen. Ich würde wahrscheinlich schauen, dass wir in diesem ganzen Feuerwerk an Großveranstaltungen noch ein paar besondere, nachhaltige touristische Themen setzen. Nicht, dass damals irgendetwas falsch gemacht geworden ist. Aber wir haben zum Beispiel inzwischen eben neue Kulturthemen, beispielsweise das Bauhaus. 20 Jahre später haben wir ein neues Bauhaus-Museum.

Was wir heute anders machen würden? So ein ambitioniertes Projekt wie das doppelte Goethehaus, das nur für dieses eine Jahr stand, hätte ich gern für Weimar gehalten.
Letzten Endes ist es aber so, dass wir diesen Titel immer noch tragen, er wird nicht aberkannt. Wir sind keine Kulturhauptstadt Europas mehr, aber eine Kulturstadt Europas.

Wie sehen Sie die Projekte in Chemnitz?

Ich habe mir ein paar Dinge angeschaut. Aufmerksam geworden bin ich auf das Apfelbaum-Projekt, weil es da eine Debatte darum gab. Es ist eine tolle Idee, aber es ist etwas, wo man tatsächlich sehr viel kommunizieren muss. Wie so oft, wenn es um partizipative Vorhaben geht. Es ist tatsächlich ausgezeichnet und gut, die ganze Stadtgesellschaft mit einzubeziehen, damit es eben ein Fest für die ganze Stadt wird und nicht nur für die Besucher. Dann wird es eben für Chemnitz, wie auch für Weimar, Effekte für die nächsten Jahre geben. Das wünsche ich mir für Chemnitz. Es ist eine riesige Chance.

Wir werden mit einem gemeinsamen Projekt dabei sein, wenn Chemnitz sich beim Germany Travel Mart, dem größten internationalen touristischen Workshop 2024 vorstellt, der im Vorfeld des Kulturstadtjahres 2024 bewusst in Chemnitz stattfindet. Wir werden unsere touristische Kooperation zu Henry van de Velde wieder neu beleben – der belgische Künstler, der in Weimar die Kunstschule als Vorläufer des Bauhauses leitete und in Chemnitz die Villa Esche entworfen hat.

Welche Langzeiteffekte können Sie sich denn für Chemnitz vorstellen?

Ich glaube, es kann gelingen, Themen miteinander zu spielen. Und für Chemnitz ist das natürlich die Ost-Transformation. Gleichzeitig ist Chemnitz eine reiche Industriestadt mit unfassbar toller Geschichte. Und es wird gelingen, allein durch die Aufmerksamkeit, die so ein Kulturhauptstadt-Jahr mit sich bringt, diese Themen nach draußen zu bringen. Das Kulturhauptstadt-Jahr ist also ein Verstärker und das bleibt auch langfristig. Und da gelingt es eben, stolz auf diese Stadtgeschichte zu sein. Ich glaube, es kann gelingen, viele Themen miteinander zu verbinden. Solche, die für Chemnitz stehen und solche, die uns alle gerade bewegen. Da ist da natürlich der Umbruch Ost und die ganze eigene Urbanität dieser Stadt.

Allein durch die Aufmerksamkeit, die so ein Kulturhauptstadt-Jahr mit sich bringt, wird es gelingen, diese Themen in die Welt zu transportieren. Das wird nicht ohne Wirkung auf die Stadtgesellschaft sein und sie im Miteinander stärken. Und ein Teil dieser partizipativen Projekte nimmt das auch ganz bewusst auf. Wie transformiert man so eine Stadt, die ja auch gerade aus der Geschichte noch Narben hat? Kurz: Es ist eine einmalige Chance, die man wirklich gut nutzen kann. Ich bin sehr gespannt.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 07. Juli 2023 | 21:45 Uhr

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