Unterirdische Bunkeranlage des Riese-Projekts im Eulengebirge
Längstunnel des Säuferhöhen-Komplexes des Projektes Riese im Eulengebirge. Bildrechte: IMAGO/Panthermedia

Führerhauptquartier Projekt Riese – Hitlers größtes Hauptquartier entstand bei Waldenburg

14. Juli 2024, 05:00 Uhr

Bei Waldenburg in Schlesien wird im Zweiten Weltkrieg am größten Führerhauptquartier für Adolf Hitler gebaut. Trotz gigantischem Material- und Menscheneinsatz wird das Projekt Riese nie vollendet. Mindestens 5.000 KZ-Zwangsarbeiter werden dabei ermordet. Geblieben sind gewaltige Bunker- und Tunnelanlagen und die Legende von einem Nazi-Gold-Zug, der nie gefunden wird.

Schloss Fürstenstein
Schloss Fürstenstein bei Waldenburg in Niederschlesien. Bildrechte: IMAGO/Zoonar

Es ist ein kalter, nasser und lebensgefährlicher Ort, an dem Robert Karl Stritzke um die Jahreswende 1944/45 schuften muss. Der Breslauer ist einer von etwa 3.000 Zwangsarbeitern, die in den Felssockel unterhalb von Schloss Fürstenstein (polnisch: Zamek Książ) bei Waldenburg (polnisch: Wałbrzych) in Niederschlesien ein riesiges Tunnelsystem treiben.

Verfolgung, KZ-Haft, Zwangsarbeit

Stritzke ist politischer Gefangener. Bis 1933 gehört der 1896 im Kreis Trebnitz nahe Breslau geborene Niederschlesier der SPD an. Bis dahin ist er auch Betriebsratsvorsitzender der Stadtverwaltung Breslau. Dann verbieten die an die Macht gelangten Nationalsozialisten die SPD sowie alle anderen Parteien außer der NSDAP.

Robert Karl Stritzke
Robert Karl Stritzke (1896-1945). Bildrechte: Frank Stritzke

Für Stritzke beginnt eine Zeit dauernder Verfolgung. Mehrfach wird er in den folgenden Jahren durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) in Schutzhaft genommen. Zuletzt holen ihn Gestapo-Beamte im Dezember 1944 ab. Wie sein Enkel Frank Stritzke aus Radeburg in Sachsen später in Erfahrung bringt, werden Robert Stritzke und seine Frau Martha in verschiedene Außenlager des KZ Groß-Rosen unweit Schloss Fürstenstein verbracht. Dort sollen sie als Zwangsarbeiter für das neuste Mega-Projekt der Nazis schuften.

Wolfsschanze und weitere Hauptquartiere

Am Schloss Fürstenstein und im gut 20 Kilometer südlich gelegenen Eulengebirge soll mit dem Projekt Riese das größte Führerhauptquartier (FHQ) des Dritten Reiches entstehen. 13 solcher festen Befehlsstellen für den deutschen "Führer" und Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Adolf Hitler, werden im Laufe des Zweiten Weltkrieges fertiggestellt, sieben davon in besetzten Gebieten in Polen, der Sowjetunion und in Frankreich.

Freiherr Gustaf Mannerheim und Adolf Hitler auf eienr Waldlichtung, 1942
Hitler empfängt in der Wolfsschanze den finnischen Oberbefehlshaber Mannerheim (links), Juni 1942. Bildrechte: IMAGO / TT

Bei fünf weiteren geplanten Führerhauptquartieren in Deutschland, Weißrussland (Belarus) und Frankreich wird mit dem Bau begonnen, vollendet werden sie aber nie. Das bekannteste und von Hitler am meisten genutzte Führerhauptquartier ist die Wolfsschanze nahe Rastenburg in Ostpreußen. Hier verbringt der deutsche Diktator seit dem Angriff auf die Sowjetunion (Unternehmen Barbarossa) im Juni 1941 mit mehr als 800 Aufenthaltstagen mehr Zeit als an irgendeinem anderen Ort während des Zweiten Weltkrieges.

Niederlagen an der Ostfront

Alte Bahnstrecke bei Walbrzych im Eulengebirge
Im schlesischen Eulengebirge soll ab 1943 ein neues großes Führerhauptquartier entstehen. Bildrechte: imago/newspix

Doch der Krieg an der Ostfront verläuft nicht nach Hitlers Plänen. Statt die Sowjetunion in einem schnellen Feldzug zu zerschlagen, neigt sich der Kriegsverlauf spätestens nach der Katastrophe von Stalingrad im Winter 1942/43 vollends zuungunsten des Deutschen Reiches. Nachdem im Sommer 1943 bei Kursk die letzte deutsche Großoffensive im Osten scheitert, geht es für die Wehrmacht nur noch zurück. Bis Ende 1943 überschreitet die Rote Armee den Dnjepr, befreit Kiew und steht an den Grenzen Weißrusslands (Belarus). Angesichts der zurückweichenden Ostfront erteilt Hitlers Wehrmachtadjutantur – nach Besprechungen mit Rüstungsminister Albert Speer – im September 1943 den Auftrag für das Projekt "Riese" als neues Führerhauptquartier in Schlesien.

Platz für 20.000 Personen

Der Name ist Programm. Mit einer geplanten Nutzfläche von 194.232 Quadratmetern (ohne umgebendes Gelände) soll Riese das gigantischste aller Führerhauptquartiere werden. 40.160 Quadratmeter sind für tief in das harte Gneis-Gestein des Eulengebirges getriebene bombensichere Stollenanlagen und über 10.240 Quadratmeter für Bunker und verbunkerte Stollengänge vorgesehen.

Überreste des Außenberich im Komplex Mölke des Projekts Riese
Überreste des Außenbereichs im Komplex Mölke. Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images

Insgesamt 20.000 Personen aus den Bereichen Führerhauptquartier (FHQ), Oberkommando des Heeres (OKH), Oberkommando der Luftwaffe (OKL), Reichsaußenminister und Reichführer SS sowie Unterstützungs- und Sicherungskräfte sollen in Riese Wohn- und Arbeitsräume finden. Die für das neue Mega-Führerhauptquartier angesetzten Baukosten betragen 130 Millionen Reichsmark (etwa 429 Millionen Euro). Sie übersteigen die Kosten für die Wolfsschanze damit um das Vierfache.

Gewaltige Betonmassen und Zwangsarbeit

Für die gigantischen Bunker- und Stollenanlagen von Riese sehen die Planer die Verarbeitung von 359.100 Kubikmetern Beton vor. Die für die Bauleitung zuständige Organisation Todt (OT) rechnet bis zur geplanten Fertigstellung des neuen Führerhauptquartiers im August 1945 mit einem Arbeitsbedarf von 6,3 Millionen Tagwerken – also mit 6,3 Millionen Arbeitstagen aller eingesetzten Arbeitskräfte zusammen.

Abgestützter Stollentunnel des Riese-Projekts im Eulengebirge
Abgestützter Tunnel des Riese-Projekts im Eulengebirge. Bildrechte: IMAGO/Panthermedia

Ein gigantisches Arbeitspensum, das mit den Ende 1943 zunächst eingesetzten 1.000 OT-Männern nicht zu stemmen ist. Im Juni 1944 werden die ersten Zwangsarbeiter aus dem KZ Groß-Rosen auf den Riese-Baustellen eingesetzt. Mehr als ein Dutzend Arbeitslager entstehen in der Nähe der Baustelle. Bis Anfang 1945 kommen insgesamt bis zu 12.000 KZ-Häftlinge zum Einsatz. Die Zahl aller zwischen Mitte 1944 und Anfang 1945 eingesetzten Zwangs- und Fremdarbeiter, darunter auch sowjetische Kriegsgefangene, wird auf gut 20.000 geschätzt. Auch die Zahl der zum selben Zeitpunkt auf den Riese-Baustellen beschäftigten Arbeiter steigt kontinuierlich an – von 19.000 im Oktober 1944 auf 23.000 zum Jahreswechsel 1944/45.

Riesige Bunker- und Tunnelkomplexe

Dieses riesige Heer von OT-Experten, Fremd- und Zwangsarbeitern legt im Eulengebirge in einem sich in Nord-Süd-Richtung über acht und in Ost-West-Richtung über vier Kilometer erstreckendenden Gebiet sechs riesige Bunker- und Tunnelkomplexe mit Stollenlängen von mindestens 3,4 Kilometern an. Auch an einer unterirdischen Fertigungsstätte, ähnlich dem Mittelbau "Dora" im Südharz, wird gebaut.

Kellergang, 2015
Betonierter Tunnel unterhalb Schloss Fürstenstein. Bildrechte: IMAGO / newspix

Unterhalb des 20 Kilometer nördlich gelegenen Schlosses Fürstenstein entsteht im selben Zeitraum ein bis zu zwei Kilometer langes Stollensystem (frühere Angaben: 950 Meter). In dem Schloss selbst, das die Nazis 1943 aus dem Besitz der Fürsten von Pleß enteignen, soll ein Gästehaus der Reichsregierung entstehen. Das angeschlossene Stollen-Labyrinth mit 3.200 Quadratmetern Nutzfläche soll bei Bombenangriffen ausreichend Schutz für Schlossbesatzung und Gäste bieten.

Zudem wird im 1,6 Kilometer langen Ochsenkopftunnel zwischen Waldenburg und Bad Charlottenbrunn an einer bombensicheren Unterstellmöglichkeit für den Führersonderzug gebaut. Wohl trägt dieses Teilprojekt das seinige dazu bei, dass 2015 die Geschichte des Nazi-Gold-Zugs von Wałbrzych Fahrt aufnimmt, der angeblich in 70 Meter Tiefe auf seine Entdeckung wartet.

Historschischer Eisenbahntunnel in einem Berg.
Der Ochsenkopftunnel soll einst bombensicher für Hitlers Führersonderzug ausgebaut worden sein. Bildrechte: IMAGO / Depositphotos

Alternativen Obersalzberg und Ohrdruf

Trotz des immer größeren Arbeitskräfteeinsatzes wird das neue Führerhauptquartier im niederschlesischen Eulengebirge nie fertiggestellt. Rohstoff- und Arbeitskräftemangel sowie dramatische Kriegsereignisse wie der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte im Sommer 1944 verhindern eine zumindest in abgespeckter Form denkbare vorzeitige Indienststellung von Riese.

Unterirdische Fabrikhalle des Projekts Riese im Eulengebirge
Unterirdische Fabrikhalle des Projekts Riese im Eulengebirge. Bildrechte: IMAGO / Depositphotos

Vor dem Hintergrund der Frontlageentwicklung und der Aufgabe der Wolfsschanze im November 1944 geraten zunehmend auch andere Varianten für ein neues Führerhauptquartier in den Blick der militärischen Führung. So wird zum Beispiel eine Verlegung von Hitlers Hauptquartier an dessen Residenz am Obersalzberg in Berchtesgaden in den bayerischen Alpen erwogen. Später wird auch der "Ausbau" eines unterirdischen Führerhauptquartiers im "Raume Ohrdruf" (Anlage S III) in Thüringen vorbereitet, ohne dass es hier jedoch konkrete Beweise oder Indizien für den Beginn etwaiger Bauarbeiten gibt. 

Arbeiten enden im Februar 1945

Am Projekt Riese in Niederschlesien laufen die Bauarbeiten – ungeachtet der Tatsache, dass die Rote Armee Mitte Januar 1945 kurz vor Oberschlesien steht – zunächst unbeeindruckt weiter. Erst als die Rote Armee im Februar nach Schlesien vordringt, werden die Riese-Baustellen aufgegeben.

Stollensystem in den Säuferhöhen, 2013
Stollensystem des Komplexes Säuferhöhen. Bildrechte: IMAGO / ZUMA Press

Ein Teil der Arbeitslager des KZ Groß-Rosen wird im Februar aufgelöst. Andere weiter südlich liegende Arbeitslager werden erst im Mai 1945 von der Roten Armee befreit. Robert Karl Stritzke erlebt das nicht mehr mit. Er wird mit 49 Jahren kurz vor seiner Befreiung ermordet. Wie sein Enkel Frank später erfährt, soll er gehängt worden sein. Möglicherweise ist Stritzke einer von 15 KZ-Häftlingen, die nach einem Fluchtversuch im Januar 1945 durch die SS hingerichtet werden. Endgültig geklärt ist das aber nicht. Fest steht, dass Robert Karl Stritzke einer von mindestens 5.000 KZ-Häftlingen ist, die während des Baus des Führerhauptquartiers Riese ermordet werden. Die Gesamtzahl der Opfer auf den Baustellen von Hitlers größtem Hauptquartier dürfte sogar noch viel höher gewesen sein.

Literaturhinweise

  • Seidler, Franz W. und Dieter Zeigert: Die Führerhauptquartiere. Anlagen und Planungen im Zweiten Weltkrieg, München 2001, bes. S. 299-312.
  • Kaule, Martin und Arno Specht: Geisterstätten der NS-Diktatur. Vergessene Orte im Osten, Berlin 2022, S. 7-12.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 12. August 2016 | 18:02 Uhr