
Der letzte Akt Seelower Höhen 1945 – Schlacht um Berlin
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16. April 2025, 03:00 Uhr
Vor 80 Jahren tritt die Rote Armee zum Angriff auf Berlin an. 2,5 Millionen Soldaten durchbrechen die Oder-Neiße-Linie. In der Schlacht um die Seelower Höhen wird ihre schlagkräftigste Kräftegruppierung unter hohen Verlusten aufgehalten. Doch am Gesamtausgang der größten und blutigsten Schlacht auf deutschem Boden ändert das nichts.
Es ist der Auftakt zur letzten großen Schlacht des Zweiten Weltkriegs. Mit einem gewaltigen Trommelfeuer aus 41.600 Geschützen beginnt am frühen Morgen des 16. April 1945 die "Berliner Operation" der Roten Armee. An der rund 300 Kilometer langen Front zwischen der Odermündung nördlich von Stettin und der Lausitzer Neiße bei Rothenburg treten drei sowjetische Fronten (Heeresgruppen) mit 2,5 Millionen Soldaten und 6.250 Panzern und Sturmgeschützen zum Angriff an. Der Schwerpunkt der Großoffensive liegt bei der 1. Weißrussischen Front von Marschall Georgi Schukow. Sie soll mit ihren elf Armeen, 910.000 Soldaten und 3.150 Panzern die Oder-Front zwischen Schwedt und dem Südraum von Frankfurt durchbrechen und anschließend Berlin erobern.
Vorstoß durch das Oderbruch
Schukows Hauptangriff erfolgt im Oderbruch zwischen den Dörfern Güstebiese (poln. Gozdowice) und Podelzig. Dort besitzen die Sowjets seit dem Fall von Küstrin Ende März am Westufer der Oder einen 300 Quadratkilometer großen Brückenkopf. Aus ihm heraus soll der Hauptschlag gegen Berlin erfolgen. Auf dem nur 44 Kilometer breiten Frontabschnitt treten in der ersten Staffel vier sowjetische Armeen an. Ihre Aufgabe ist es, die deutsche Verteidigung zu durchbrechen und den nachfolgenden zwei Garde-Panzerarmeen den Stoß in die Tiefe des Raumes auf Berlin zu ermöglichen. Drei Armeen sollen den Hauptangriff durch Vorstöße an den Flanken abdecken. Zwei weitere Armeen bilden die 2. Staffel von Schukows Heeresgruppe.
Deutsche hoffnungslos unterlegen
Zuständig für die Verteidigung der Oder-Front zwischen Ostsee und der Neißemündung ist die nur zwei Armeen starke Heeresgruppe Weichsel von Generaloberst Gotthard Heinrici. Der direkte Gegenspieler der 1. Weißrussischen Front im "Abschnitt Frankfurt-Schwedt" ist die gerade einmal 130.000 Mann starke 9. Armee unter General der Infanterie Theodor Busse. Der deutsche Großverband ist Schukows Front gegenüber hoffnungslos unterlegen – beim Personal im Verhältnis 1:7, bei Panzern 1:6, bei Artillerie und Flak 1:11 und bei Flugzeugen sogar im Verhältnis 1:14. Heinrici und Busse wissen, dass es unmöglich ist, einer derartigen Übermacht zu widerstehen. Die Frage ist für sie allenfalls, wie lange man den Gegner aufhalten kann und welche Verluste man ihm dabei bereitet.
Abwehrtaktik aus dem Ersten Weltkrieg
Heinrici und Busse setzen auf eine tief gestaffelte Verteidigung mit drei Verteidigungsstreifen und das sogenannte Großkampfverfahren. Die im Ersten Weltkrieg entwickelte Abwehrtaktik sieht vor, dass sich die Soldaten der vorderen Linie bei Schlachtbeginn auf eine weiter hinten liegende Großkampf-Hauptkampflinie zurückziehen. Dadurch sollen Artillerieschlag und Vorstoß des Gegners zunächst ins Leere laufen. Erreicht der Angreifer schließlich die Großkampf-Hauptkampflinie des Verteidigers, liegt seine Artillerie zu weit hinten, um in die Kämpfe einzugreifen, während er selbst ins Artilleriefeuer des Verteidigers gerät. Voraussetzung für das Gelingen des Großkampfverfahrens ist es jedoch, den genauen Angriffszeitpunkt des Gegners abzuschätzen, um die eigenen Truppen nicht zu früh, aber auch nicht zu spät auf die Großkampfstellung zurückzunehmen.
Trommelfeuer aus 9.000 Geschützen
Dies gelingt Heinrici und Busse trotz sowjetischer Vorausangriffe relativ gut. In der Nacht vom 15. auf den 16. April ziehen sich die deutschen Truppen aus den vorderen Stellungen im Oderbruch auf die gut 40 Meter höher gelegene Großkampfstellung am Ostrand der Seelower Höhen zurück. Damit entgehen sie dem Trommelfeuer, das am 16. April ab 3 Uhr die vorderen deutschen Stellungen umpflügt. 9.000 Geschütze hat Schukow im Hauptangriffsstreifen konzentriert, alle drei Meter eins. Der von dieser beispiellosen Artilleriekonzentration entfachte Feuerorkan ist so gewaltig, dass er noch in weiter Entfernung wie ein Erdbeben wahrgenommen wird. Der Luftdruck der gleichzeitigen Geschützabschüsse lässt die Trommelfelle der sowjetischen Artilleristen platzen. 1,2 Millionen Granaten verfeuern sie allein an diesem Tag.
Sperrfeuer auf sowjetische Stoß-Armeen
Doch das stärkste Trommelfeuer der Geschichte geht ins Leere. Als Schukows Stoßarmeen am 16. April durch das sumpfige Oderbruch vorrücken, geraten sie ins Sperrfeuer der auf den Seelower Höhen sitzenden Deutschen. Die feuern aus allen Rohren auf die vorrückenden Sowjettruppen. Mit verheerenden Folgen. "Die brauchten nicht mal groß zu zielen", erinnert sich später ein sowjetischer Major an das Gemetzel. Der Angriff bleibt vor der deutschen Hauptkampflinie liegen. Als Schukow die Verzögerung am Mittag seinem obersten Befehlshaber Josef Stalin meldet, erfährt er, dass die 1. Ukrainische Front von Marschall Iwan Konew die Neiße-Front weiter südlich durchbrochen hat und nun durch die Lausitz west-nordwestwärts zur Elbe und in den Südraum Berlins vorstößt.
Schukows Durchbruch mit der Brechstange
Schukow, der die Seelower Höhen am ersten Kampftag nehmen soll, fürchtet, dass sein Erzrivale Konew vor ihm in Berlin sein könnte. Er will den Erfolg mit der Brechstange erzwingen und befiehlt den vorzeitigen Einsatz der beiden Garde-Panzerarmeen. Die sind eigentlich erst nach einem Durchbruch für den Stoß in die Tiefe des Raums vorgesehen. Nun werden sie mit den vier Armeen der 1. Staffel in die Durchbruchsschlacht geworfen. Mit verheerenden Folgen. Dichtgedrängt stauen sich die sowjetischen Panzer vor den Entwässerungsgräben des Oderbruchs wie auf einem Präsentierteller. Von den Seelower Höhen aus werden sie von den deutschen Acht-Acht-Flakgeschützen abgeschossen. Am Ende des ersten Schlachttages liegen über 350 sowjetische Panzerwracks im Oderbruch. Nirgendwo gelingt ein Einbruch in die deutsche Hauptkampflinie.
Hohe Verluste auf beiden Seiten
Doch nicht nur Schukows Angriffstruppen erleiden schwere Verluste. Auch die deutschen Verteidiger haben hohe Ausfälle zu beklagen – durch massives Artilleriefeuer und zahlreiche Schlachtflieger-Angriffe. Bis zum Abend des 16. April muss Busses 9. Armee sämtliche Reserven in die Schlacht werfen. Dazu gehören auch die bislang für einen Gegenschlag im Rückraum der Front zurückgehaltenen schnellen Panzer- und Panzergrenadierverbände. Im Laufe des 17. April gelingt es der sowjetischen 5. Stoß-Armee nördlich der Kleinstadt Seelow, die deutschen Stellungen "in breiter Front zu durchbrechen". Um die Frontlücken zu stopfen, werden von Berlin aus Marschbataillone von zwei SS-Panzergrenadierdivisionen der Heeresgruppenreserve in Großstadtbussen eilig an die Front gekarrt.
Durchbruch durch die Seelower Höhen
Doch all das hilft nichts. Am 18. April bricht die deutsche Verteidigung auch an anderen Stellen zusammen. Überall fehlt es den deutschen Truppen an Munition und Treibstoff. Ein erheblicher Teil der ursprünglich 512 Panzer der 9. Armee ist mittlerweile ausgefallen. Bis zum Abend des 19. April durchbrechen die sowjetischen Truppen auch den dritten deutschen Verteidigungsstreifen in den Seelower Höhen. In der Front klafft eine immer breiter werdende Lücke. Durch sie stoßen Schukows Armeen nach Westen auf Berlin vor. Dabei spalten sie die deutsche 9. Armee in drei Teile. Das CI. Armeekorps weicht nach Norden zur benachbarten 3. Panzerarmee aus. Das in der Mitte kämpfende LVI. Panzerkorps des aus Halberstadt stammenden Generals der Artillerie Helmuth Weidling wird nach Westen auf den östlichen Stadtrand von Berlin gedrückt.
Die Kessel von Halbe und Berlin
Busses Armeestab wird mit dem V. SS-Gebirgskorps und dem XI. SS-Panzerkorps der 9. Armee nach Süden abgedrängt und am 24. April mit weiteren Verbänden im Kessel von Halbe eingeschlossen. 150.000 bis 200.000 Soldaten und Zivilisten sitzen in der Falle. Einen Tag später schließen die Panzerspitzen Schukows und Konews bei Ketzin nordwestlich von Potsdam auch den Ring um Berlin. Aus dem Berliner Führerbunker befiehlt Adolf Hitler dem Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte, Generalfeldmarschall Ferdinand Schörner, nach Norden vorzustoßen und in die Schlacht um Berlin einzugreifen. Doch Schörner hat genug damit zu tun, seine Positionen in Sachsen und Böhmen zu halten. Auch ein befohlener Entsatzangriff einer imaginären "Armeegruppe" unter SS-Obergruppenführer Felix Steiner von Norden erfolgt nicht.
Armee Wenck – Hitlers letzte Hoffnung
Hitlers letzte Hoffnung ist die an der Elbe stehende 12. Armee des aus Wittenberg stammenden Generals der Panzertruppe Walther Wenck. Der mit 44 Jahren jüngste Armeebefehlshaber der Wehrmacht soll mit seinem aus vielen unerfahrenen Jungsoldaten aufgestellten Großverband Berlin von Südwesten her entsetzen. Zeitgleich soll Busses 9. Armee aus dem Kessel von Halbe nach Nordwesten auf die Reichshauptstadt vorstoßen. Doch Wencks Offensive bleibt am Abend des 29. April südwestlich Potsdam liegen. Am Abend zuvor brechen die letzten Panzerverbände der 9. Armee aus dem Kessel von Halbe nach Westen aus. Etwa 25.000 Soldaten und 5.000 Zivilisten erreichen am 1. Mai die 12. Armee, mit der sie sich westwärts über die Elbe zu den US-Amerikanern absetzen. 60.000 deutsche Soldaten fallen in der Kesselschlacht von Halbe.
Adolf Hitler begeht Selbstmord
Unterdessen erobert die Rote Armee seit dem 21. April in brutalen und verlustreichen Stadtkämpfen in Berlin Straßenzug um Straßenzug. Am 27. April kontrollieren die Deutschen nur noch den von Spree und Landwehrkanal eingesäumten Innenstadtbereich mit dem Regierungsviertel und dem Tiergarten. Mit dem Scheitern von Wencks Entsatzoffensive am Abend des 29. April ist das Schicksal der Berliner Besatzung besiegelt. Am 30. April begeht Adolf Hitler im Führerbunker unter der Reichskanzlei Selbstmord. Am selben Tag hissen sowjetische Soldaten auf dem Reichstag die Rote Fahne. Nach erfolglosen Friedensangeboten an die sowjetischen Truppen richtet sich am 1. Mai auch Hitlers kurzzeitiger Nachfolger Josef Goebbels.
Kampfkommandant Weidling kapituliert
Der von Hitler am 23. April zum Kampfkommandanten von Berlin ernannte General Helmuth Weidling erklärt daraufhin am 2. Mai die Kapitulation. Rund 100.000 Angehörige von Wehrmacht, Volkssturm und Waffen-SS gehen in die sowjetische Kriegsgefangenschaft. Damit endet die Schlacht um Berlin und mit ihr die letzte große Schlacht des Zweiten Weltkriegs und die größte Schlacht, die jemals auf deutschem Boden stattgefunden hat. Knapp 100.000 sowjetische und über 100.000 deutsche Soldaten fallen in den Kämpfen. Allein die viertägige Auftaktschlacht um die Seelower Höhen kostet rund 33.000 sowjetischen und 12.000 deutschen Soldaten das Leben.
Literaturhinweise
- Lakowsky, Richard: Der Zusammenbruch der deutschen Verteidigung zwischen Ostsee und Karpaten. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 10/1, Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945. Im Auftrag des MGFA hrsg. von Rolf-Dieter Müller, München 2008, S. 491-679.
- Lieb, Peter: Die Schlacht um Berlin und das Ende des Dritten Reichs 1945, Stuttgart 2020.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 16. April 2025 | 18:10 Uhr