Erneuerbare Energien Kein neues Windrad 2023: Sachsen und Thüringen hinken beim Ausbau der Windenergie hinterher
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14. April 2023, 17:01 Uhr
In Mitteldeutschland sind in diesem Jahr vier neue Windkraftanlagen in Betrieb genommen worden, alle vier in Sachsen-Anhalt. Woran liegt es, dass sich Sachsen und Thüringen beim Ausbau so schwertun?
132 neue Windkraftanlagen sind im laufenden Jahr deutschlandweit in Betrieb genommen worden. Der mitteldeutsche Raum hatte damit aber wenig bis nichts zu tun. Vier neue Anlagen gibt es immerhin in Sachsen-Anhalt. In Sachsen und Thüringen jedoch herrscht Flaute, keine einzige neue Anlage nahm hier seit Jahresbeginn den Betrieb auf.
Vor allem liegt das an den Genehmigungsverfahren, sagt der Chef des Bundesverbandes WindEnergie Wolfram Axthelm: "In Sachsen ist die Herausforderung, dass es dort im Grunde keine vernünftige Regionalplanung gibt, dadurch keine Flächenausweisung, weil die dortige Politik sich zu sehr auf die Kohle konzentriert hat und dadurch vergessen hat, dass man mit dem Ausstieg aus der Kohle einsteigen muss in erneuerbare Energien."
Sachsen ist also gewissermaßen noch im gleichen alten Trott wie vor den ehrgeizigen Plänen der Bundesregierung. Wenn man auf den Zeitraum seit Jahresbeginn 2019 schaut und alle Windkraftanlagen zusammenzählt, die in diesen mehr als vier Jahren in Sachsen in Betrieb genommen wurden, kommt man auf die recht erschreckende Zahl von 19.
Auf Thüringen blickt der Chef des Bundesverbandes WindEnergie etwas optimistischer als auf Sachsen und denkt, dass die Null bei der Anzahl der neu installierten Anlagen im Jahr 2023 nicht mehr lange stehen wird. "Wir sehen in Thüringen, dass es nennenswert neue Genehmigungen gibt. Hier passiert ein bisschen was", so Axthelm.
60 Anlagen haben in Thüringen derzeit den Status "in Planung", sind also schon genehmigt. Damit liegt Thüringen zwar vor Sachsen, aber noch deutlich hinter Sachsen-Anhalt.
Dass man im deutschlandweiten Vergleich noch hinterherhinkt, weiß man in den beiden zuständigen Thüringer Ministerien. Das Infrastrukturministerium ist für die Genehmigungen zuständig und das Umweltministerien für den Bau. In unseren Gesprächen entstand jedoch der Eindruck, das eine Ministerium schiebt dem jeweils anderen den Schwarzen Peter für den immer noch schleppenden Ausbau zu. Während das Umweltministerium die Verantwortung beim Infrastrukturministerium sieht, erwidert dessen Sprecherin Konstanze Gerling-Zedler, man könne "gegenwärtig nicht sagen, dass der Flaschenhals beim Ausbau der Windenergie in Thüringen die Flächenbereitstellung ist. Denn die Entwicklung bei der Flächenbereitstellung verläuft im Augenblick sehr dynamisch."
In Zukunft viel schnellere Genehmigungen?
Wenn man ein Problem hat, dann muss man es erst einmal erkennen und benennen, bevor man an die Lösung geht. In Sachsen scheint das nun der Fall zu sein. Burkhard Beyer, Sprecher des Umweltministeriums, gesteht ein, dass in seinem Bundesland bislang keine sonderlich windkraftfreundliche Politik gemacht wurde. "In den letzten Jahren war das nicht unbedingt die politische Priorität", sagt er. "Allerdings muss man dazu sagen: Es sind in den letzten zwölf Monaten auch etliche wichtige Weichen gestellt worden. Es sind auch planungsrechtliche, gesetzliche Voraussetzungen geschaffen worden, damit es jetzt losgehen kann."
Kommunen sollen jetzt mehr Möglichkeiten haben, Flächen für Windenergie auszuweisen, die aus regionalplanerischer Sicht bisher nicht dafür vorgesehen waren. So werden jetzt auch Waldflächen unter bestimmten Bedingungen für den Bau von Windkraftanlagen geöffnet. Und die Kommunen werden bei allem auch stärker in die Pflicht genommen.
"Es gibt eine sogenannte Flexibilisierungsklausel im Landesplanungsgesetz", erläutert der Sprecher des Umweltministeriums. Gemeinden können dadurch in eigener Hoheit und mit einem Gemeinderatsbeschluss im Rücken selbst Flächen für Windkraftanlagen ausweisen.
Außerdem sollen die Planungsstellen in den Regionen mit mehr Personal und Geld ausgestattet werden. Damit will Sachsen jetzt kräftig aufs Gaspedal drücken und, um im Auto-Sprachbild zu bleiben, in kurzer Zeit von Null auf Hundert beschleunigen und so andere Bundesländer überholen. Denn das ehrgeizige Ziel lautet: Schon drei Jahre eher als vom Bund geplant, also 2027, sollen zwei Prozent der Flächen in Sachsen für Windkraftanlagen ausgewiesen sein.
Genehmigt ist noch nicht gebaut
Aber selbst wenn irgendwann auf dem Genehmigungs- und Planungssektor alles rund läuft (oder zumindest runder als bislang), ist das noch keine Garantie für einen schnellen Windkraftausbau, der die Ziele bis 2030 erfüllt. Denn zu Verzögerungen kommt es auch oft in der Bauphase.
Die Gründe für solche Verzögerungen sind vielfältig, wie uns Gespräche mit Herstellern und Betreibern von Anlagen gezeigt haben. Probleme in der Lieferkette kommen sehr häufig vor und sind ja auch in anderen Branchen bekannt. Und wenn bestimmte Teile nicht da sind, kann so lange nicht weitergebaut werden.
Dazu können logistische Schwierigkeiten kommen, bei denen der Teufel oft im Detail steckt und die deshalb nicht von vornherein umgangen werden können. Ein Beispiel aus der Praxis: Der Schwerlast-Transport eines langen Rotorblattes wurde langfristig genehmigt, aber am entsprechenden Tag gab es plötzlich eine neue Verengung wegen einer Baustelle auf der Autobahn, durch die das Gefährt nicht passte. Also muss der Transport nun neu beantragt und genehmigt werden, "und wer weiß, wo dann plötzlich die nächste Baustelle auftaucht", fragte uns ein Anlagenbetreiber rhetorisch.
Und so geht aus den Daten der Bundesnetzagentur hervor, dass derzeit in Deutschland 417 Anlagen noch immer nicht in Betrieb sind, obwohl das geplante Inbetriebnahme-Datum schon vorüber ist.
Die durch diesen "Ausbau-Stau" verlorene Gesamtleistung beträgt aktuell deutlich mehr als eineinhalb Gigawatt. Allein damit könnte man bereits mehr als eines der AKW ersetzen, die am 15.4. abgeschaltet werden.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 12. April 2023 | 08:10 Uhr