Luftaufnahme des Kernmoduls von Chinas Linglong One, dem weltweit ersten kommerziellen kleinen modularen Reaktor (SMR), 2023 5 min
Bildrechte: IMAGO/VCG

Small Modular Reactors "SMR" Sind Mini-Atomkraftwerke eine Lösung im Klimawandel?

03. März 2025, 13:36 Uhr

Der AP300 ist ein Mini-Atomkraftwerk von der Stange. Es produziert rund 300 Megawatt. Sind solche Small Modular Reactors eine Lösung in der Klimakrise? Der Weltklimarat IPCC hat Atomstrom als CO2-arme Energiequelle eingeplant, aber die Realität hinkt hinterher. Womöglich auch aus dem einfachen Grund, dass Atomstrom nicht wirtschaftlich ist.

Junge Frau schaut frontal in die Kamera.
Bildrechte: MDR

Zwei Handballfelder groß ist die Fläche, die das AP300 einnimmt. Es sieht auf den Modellzeichnungen des Herstellers aus wie ein normales, kleines Fabrikgebäude. Geschwungenes Dach, weiß und Silber gekachelt, moderne Optik. Wenn es nach der Herstellerfirma Westwing geht, soll das AP300 ab 2030 überall stehen, wo sich ein geeignetes Plätzchen findet. Bereits in fünf Jahren will das Unternehmen es in Serie produzieren. Und CO2-neutrale Energie liefern, denn das AP300 ist ein Mini-Atomkraftwerk. Es liefert 300 Megawatt – ungefähr ein Viertel von dem, was ein "großes" AKW leistet.

Das Mini-Atomkraftwerk von der Stange 

Damit gehört das AP300 zu den Small Modular Reactors (SMR): Kleinere Reaktoren, die Atomstrom produzieren und die Debatte um Kernenergie aktuell wieder befeuern. Die USA, Kanada und Großbritannien investieren derzeit in die Entwicklung solcher Anlagen, und auch in der Europäischen Union könnten SMR künftig eine Rolle spielen.

Das wäre eigentlich nur konsequent, denn viele Energie- und Klimaszenarien gehen aktuell von einem starken Ausbau der Atomenergie aus. Immerhin ist Atomstrom mit einem geringen CO2-Impact verbunden und liefert dauerhaft Energie, auch wenn es dunkel und windstill ist. Der Weltklimarat (IPCC) beispielsweise geht davon aus, dass die Stromerzeugung durch Atomenergie von derzeit 3.000 Terawattstunden auf über 7.000 Terawattstunden bis 2050 steigt. Bis 2100 sind sogar 12.000 TWh kalkuliert.

Szenarien und Realität: Atomenergie
Bildrechte: IEA, IAEA, WEC, IPCC, Hippel et al, MDR/Maik Schuntermann

Jim Skea, Co-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe III, sagt dazu, wenn man die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen wolle, sei es "jetzt oder nie". Die Nuclear Energy Agency (NEA) prophezeit: Fünf Gigatonnen Emissionen könnten bis 2050 durch einen Ausbau der Kernenergie eingespart werden. Das wäre mehr, als die gesamte US-Wirtschaft jährlich emittiert. Während in Deutschland der letzte Meiler vom Netz ging, haben andere Staaten das Thema weiterverfolgt. In Kanada bestellt man etwa Mikroreaktoren, die fünf Megawatt Strom produzieren. Die geplanten Atomkraftwerke sind fast alle Leichtwasserreaktoren, das heißt, sie funktionieren ungefähr so wie die großen AKWs. Weil sie aber deutlich kleiner sind, wirken sie vielleicht ein bisschen weniger bedrohlich.

Icon: Symbolische Erdkugel mit Afrika und Europa im Zentrum, daran oben links das Grad-Zeichen. Text:  MDR Klima-Update. Kostenfrei, wöchentlich. Foto: Weiß gekleidete Frau mit Rücken zur Kamera kippt aus Eimer grüne Farbe auf Leinwand in trockener Gegend.
Bildrechte: MDR, imago/Westend61

Dieser Text erschien zuerst in MDR Klima-Update #181 💌 Kostenlos: Abonnieren Sie das MDR Klima-Update und haben Sie bei Klimafragen immer die Nase vorn!

Und das sind sie womöglich auch. Thomas-Walter Tromm ist Experte für nukleare Sicherheit am Karlsruher Institut für Technologie und er schätzt, dass Kernkraftwerke unter 300 Megawatt tatsächlich sicherer sein können. "Selbst, wenn ein Kernschmelzunfall passieren könnte, glaube ich, dass bei Reaktoren in dieser Größe eine Evakuierung der Bevölkerung praktisch ausgeschlossen ist", betont er. Das liegt daran, dass kleinere Reaktoren sich im Notfall "passiv" abkühlen können. Passiert etwas, sind sie nicht auf Kühlung durch eine strombetriebene Pumpe angewiesen, sondern es reicht das vorhandene Kühlwasser. Ein Unfall mit dem gleichen Verlauf wie in Fukushima wäre nahezu ausgeschlossen. Tromm wirkt im Gespräch sehr sicher, dass das Risiko für einen Austritt radioaktiver Strahlung extrem gering ist, sagt aber auch "physikalisch ausgeschlossen ist nie etwas".

Definiere "Risiko" 

Das Risiko, dass kleinere AKWs beispielsweise im Zuge eines Angriffs zerstört werden, besteht natürlich weiterhin, aber Tromm betont, dass es Möglichkeiten gibt, die Kraftwerke zu schützen, beispielsweise indem man sie unterirdisch baut. Einige Klimaexperten am IPCC würden wohl an dieser Stelle argumentieren, dass man die potenziellen Folgen einer ungebremsten Klimaerwärmung gegen das Risiko eines Atomunglücks aufrechnen muss. Das Risiko Atom haben wir alle seit Tschernobyl und Fukushima gut vor Augen – das Risiko Klimawandel sehen wir jetzt noch nicht auf diese Weise. Doch Überschwemmungen, Dürre und Hitze bedrohen ebenfalls Menschenleben. Manche Experten argumentieren, dass vor diesem Hintergrund die drohenden Klimafolgen die Risiken der Atomenergie aufwiegen.

Ob man dieses düstere philosophische Argument nun so gelten lassen will, sei kurz dahingestellt. Denn womöglich entscheidet sich die Debatte um pro oder kontra Atomstrom ganz woanders. Vergleichen wir die Prognosen des IPCC und andere Modelle mit der Praxis, so fällt auf: Die kalkulierten Atomkraftwerke werden aktuell nicht gebaut. Modell und Realität gehen weit auseinander. Man nennt es das "Atomenergie-Szenarien-Paradox".

Szenarien und Realität: Atomenergie
Bildrechte: IEA, IAEA, WEC, IPCC, Hippel et al, MDR/Maik Schuntermann

35 Milliarden für ein AKW

Woran liegt es also, dass einige Experten Kernenergie als praktische Option für klimafreundlichen Strom anführen, aber die neuen Kraftwerke am Ende kaum jemand bauen will? Nun ja, so ein Atomkraftwerk, das kostet – insbesondere dann, wenn es komplett neu gebaut werden soll.

In Polen beispielsweise ist die Bevölkerung mehrheitlich für Atomstrom. Die Regierung plant aktuell sechs neue Reaktoren. Die neueste Anlage wird nach Schätzungen rund 35 Milliarden Euro kosten – nach aktuellem Stand, muss man hinzufügen. Denn der Bau eines Atomkraftwerks dauert lange und die Kosten sind häufig zwei bis drei Mal so hoch wie geplant. "Atomenergie ist mit Abstand die teuerste Art der Stromerzeugung", erklärt Klimaökonomin Claudia Kemfert.

Dass Mini-AKWs daran etwas ändern könnten, bezweifelt Kemfert: "SMRs sind nicht wirtschaftlicher als die großen Reaktoren. Ganz im Gegenteil." In den 1950er Jahren habe man begonnen, größere Atomreaktoren zu bauen, um die Kosten für Atomstrom zu senken. "Wenn wir jetzt wieder kleinere Reaktoren bauen, werden die Kosten nur noch höher sein. Man müsste über zehntausend neue Reaktoren bauen", schätzt die Ökonomin. Dass neue Reaktoren kleinerer Bauart aktuell tatsächlich irgendwo gebaut werden, nehme sie nicht wahr. "Es wird immer sehr viel angekündigt, aber aufgrund der hohen Kosten kaum umgesetzt."

Atomenergie löst das Zeitproblem nicht 

Aber was ist dann mit den Klimamodellen? Immerhin haben die Experten am IPCC den Atomstrom zur Rettung des Klimas fest eingeplant. Kemfert findet, die Modelle ignorieren sowohl die hohen Kosten, die damit einhergehen würden, als auch die geopolitischen Risiken – also was im Falle eines Krieges mit den Atomkraftwerken passieren könnte. Ein Knackpunkt in der Debatte ist außerdem die Zeit. (Wir erinnern uns an die oben erwähnten Worte des IPCC-Experten Jim Skea "jetzt oder nie".) Bis ein neues Mini-AKW aber tatsächlich gebaut werden könnte, wird es nach Claudia Kemferts Einschätzung noch mindestens zehn Jahre dauern, wenn nicht noch länger. Forschung, Lizenzierung, Bau – all das würde bis dahin noch einmal sehr viel Geld kosten. Auch das eingangs erwähnte AP300 ist – obwohl man es virtuell bereits von innen und außen besichtigen kann – aktuell nur ein digitales Modell. 

100% RE funktioniert laut Studien

Die gute Nachricht zum Schluss: Wir müssen uns womöglich nicht in bedrohlichen philosophischen Dilemmas à la Welches Risiko nehmen wir in Kauf? verlieren. Diverse Studien kommen zu dem Schluss, dass eine Energieversorgung mit Erneuerbaren auch ohne Atomstrom funktioniert. 100% RE nennen viele Studien dieses Modell. Die Einschätzung einer Metastudie von 2019: Teuer – aber machbar. Für die Versorgungssicherheit brauchen wir Atomkraftwerke auch nicht zwingend.

Studien-Empfehlungen

Noch zwei Studien-Empfehlungen für Neugierige: Das Fraunhofer-Institut für Solarenergie in Freiburg hat die Preise verschiedener Energiearten verglichen. Kernkraft ist hier deutlich teurer als Erneuerbare. Es gibt aber auch eine Studie der ETH Zürich, die Atomstrom durchaus wettbewerbsfähig mit Erneuerbaren sieht. Zumindest in der Schweiz. Allerdings ist auch die Lagerung der radioaktiven Abfälle ein Kostenfaktor, den wir konsequenterweise mitrechnen sollten.

404 Not Found

Not Found

The requested URL /api/v1/talk/includes/html/7fd48fda-322d-4c96-911a-6e249bef0970 was not found on this server.

Mehr zum Thema