Mögliches EU-Verbot Umweltschädliche Stoffe: Ist die Energiewende in Gefahr?
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24. September 2024, 17:19 Uhr
Sie sind wortwörtlich in aller Munde: PFAS sind extrem langlebige und widerstandsfähige Chemikalien, die sich im Körper, aber auch in der Umwelt anreichern und dort Schaden anrichten können. Die EU diskutiert deshalb gerade über ein Verbot. Das Problem dabei: PFAS kommen quasi überall vor, und zwar auch in Anwendungen, die eigentlich der Umwelt zugutekommen sollen – etwa in Windrädern und Solaranlagen. Ist die Energiewende also in Gefahr?
Wer PFAS googelt, der kommt am Thema Energiewende nicht vorbei: Auf zahlreichen Seiten argumentieren Industrieverbände mit dem Grünen Deal gegen ein PFAS-Verbot. In einer gemeinsamen Erklärung sprechen der Verband der Automobilindustrie, der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. und der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektroindustrie e.V. sogar von einer Vollbremsung für die Energie- und Mobilitätswende. Ohne PFAS gäbe es keine Windräder, keine Energiespeicher, keine E-Autos, keine Halbleiter. Ähnlich argumentiert die CDU/CSU-Fraktion in einem Antrag an den Deutschen Bundestag. Dort heißt es:
Ohne PFAS wäre das ehrgeizige Ziel der EU, bis 2050 klimaneutral zu sein, nicht zu erreichen.
Was also ist dran? Wo sind die PFAS in Technologien der Energiewende zu finden, welchen Schaden richten sie dort an und geht es auch ohne?
Die Alleskönner: Wo kommen Sie vor?
Zunächst einmal ist folgendes wichtig zu wissen: PFAS-Chemikalien bestehen aus Kohlenstoffketten, die eine chemische Verbindung mit Fluoratomen eingehen. Genau diese Kombination aus Fluoratomen und Kohlenstoff ist extrem stabil – sowohl thermisch als auch chemisch. Daneben sind die Stoffe wasser-, fett- und schmutzabweisend. Insofern gelten sie für eine Reihe von Konsumprodukten und Industrieanwendungen als unverzichtbar, und zwar auch in den Details – etwa in Schmierstoffen oder Kabelummantelungen.
Genau das und die schiere Anzahl der Stoffe von mehr als 10.000 macht es aber schwierig nachzuverfolgen, wo und in welchen Mengen die Stoffe vorkommen. Entsprechend vage sind die Angaben hinsichtlich der Technologien für die Energiewende. Im Beschränkungsdossier der Europäischen Chemikalienagentur ECHA heißt es, PFAS würden möglicherweise in Beschichtungen für Rotorblätter eingesetzt, aber auch in Kabelisolierungen, Schmierstoffen und Fetten, die sich in Windturbinenteilen wiederfinden. Daneben seien PFAS Isoliermaterialien und Dichtungen von Schaltanlagen sowie in den Düsen von Leistungsschaltern verwendet, die für ein funktionierendes Stromnetz relevant sind. Auch die meisten Elektrolyseur-Technologien zur Herstellung von erneuerbarem Wasserstoff basieren dem Dossier zufolge auf Fluorpolymeren, einer Untergruppe der PFAS. Hinsichtlich der Photovoltaik sind sie laut Bundesverband Photovoltaik Austria außerdem in Beschichtungen auf der Ober- und Unterseite der Solarmodule sowie in Isolierungen von elektronischen Bauelementen zu finden. Auch im Herstellungsprozess von Halbleitern, etwa bei der chemischen Reinigung, werden die Stoffe verwendet.
Die Stoffe sind also überall zu finden, eine Nachweispflicht gibt es bisher nicht. "Es gibt mit Sicherheit auch noch viele Anwendungen, wo wir heute noch nicht wissen, dass PFAS eingesetzt werden, wo sie erst fehlen werden, wenn sie weg sind", sagt etwa Sarah Brückner, Leiterin der Abteilung Umwelt & Nachhaltigkeit beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Dabei sind nicht nur Technologien für die Energiewende, speziell die Erneuerbaren Energien, betroffen: Allein im Energiesektor nennt der EU-Bericht sieben Hauptanwendungsbereiche der PFAS, neben Windenergie, Elektrolysetechnologien und Photovoltaik zählen dazu PEM-Brennstoffzellen, (Lithium-Ionen-) Batterien sowie Kohle- und Kernkraftwerke.
Trotzdem liegt der gesamte Sektor nur im Mittelfeld der PFAS-Anwendungen. Ganz vorne dabei sind andere, etwa fluorierte Treibhausgase, die laut Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz "heute überwiegend als Kältemittel in Kälte- und Klimaanlagen, als Treibgas in Sprays, als Treibmittel in Schäumen und Dämmstoffen und als Feuerlöschmittel" eingesetzt werden. Oder aber der PFAS-Einsatz in Textilien, Polstern, Leder, Bekleidung und Teppichen. Mit dem Grünen Deal und dem damit einhergehenden Ausbau Erneuerbarer Energien könnte die PFAS-Nutzung im Energiesektor allerdings um 10 Prozent jährlich steigen, so die Schätzung der EU und damit auch die Gefahr für Mensch und Umwelt. Nur wie groß ist die eigentlich?
Die Jahrhundertgifte: Welchen Schaden richten sie an?
Auch hier ist die Antwort kompliziert. Zunächst einmal unterscheiden sich die mehr als 10.000 Stoffe chemisch und damit auch in ihrer Wirkung auf die Umwelt. Es gibt kurzkettige und langkettige, solche mit mehr oder weniger Fluoratomen. Als Faustregel gilt, dass mehr Fluoratome auch mehr Stabilität bedeuten, während kurz- und langkettige zwar gleichermaßen stabil sind, sich aber anders verhalten. Vereinfacht gesagt finden sich kurzkettige PFAS eher im Wasser, langkettige reichern sich dagegen in der Nahrungskette an, so Thorsten Reemtsma vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Das Grundproblem sei aber bei beiden die Langlebigkeit. Denn nicht alle Stoffe sind für sich genommen auch toxisch, sie lassen sich aber durch natürliche Abbaumechanismen wie etwa die Sonneneinstrahlung oder Mikroorganismen praktisch kaum spalten. Dadurch reichern sie sich immer weiter an und entfalten in der Masse toxische Wirkungen, wie Studien mittlerweile für einzelne Stoffe nachgewiesen haben. Darunter zählen Leberschäden, Übergewicht, hormonelle Störungen, eine schlechtere Immunantwort sowie Risiken für das Gehirn.
Ein Großteil der in der Industrie angewandten Stoffe – und damit auch bei Technologien für die Energiewende – entfällt auf die PFAS-Untergruppe der Fluorpolymere, so Sarah Brückner. Ihr zufolge seien diese weniger problematisch als andere PFAS. Auch Thorsten Reemtsma bestätigt, dass diese aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften im Körper eher wieder ausgeschieden werden, ob völlig sei aber nicht abschließend geklärt. "Es ist ein anderes Produkt gewissermaßen. Das führt zu anderen Belastungen."
Mutmaßlich ist das kurzfristig deswegen auch ein geringeres Problem.
Nur sei auch hier die Langlebigkeit das Problem: "Das, was davon in die Umwelt gelangt, wird sich über sehr lange Zeiträume mutmaßlich auch in irgendeiner Form zersetzen. Zu welchen Produkten, das ist wohl noch ziemlich unklar." Soll heißen: Wenn die Stoffe dann in entsprechender Menge in die Umwelt gelangen und dann doch Schaden anrichten, lässt sich das Problem nur sehr schwer wieder lösen. Doch was davon gerät tatsächlich in die Umwelt?
Emissionen an vielen Stellen: Was gelangt in die Umwelt?
Auch hierzu gibt es Schätzungen der EU, allerdings abermals nur für den Energiesektor, der auch Kohle- und Kernkraftwerke einschließt. Demnach liegen auch hier die Emissionen im Mittelfeld. Weit vorne sind erneut die fluorierten Treibhausgase sowie der PFAS-Einsatz in Textilien, Polstern, Leder, Bekleidung und Teppichen.
Im Bericht identifiziert die ECHA außerdem vier Phasen, in denen PFAS-Emissionen auftreten: in der Produktions- und Verarbeitungsphase, in der Produktfertigung, während der Nutzung und bei der Entsorgung. Dabei würden bei langlebigen Anwendungen, wie etwa beschichtete Artikel, Solarpaneele oder Elektronik, die PFAS in der Nutzungsphase nur sehr langsam bis kaum freigesetzt, wären dafür aber in der Abfallphase noch stärker vorhanden. Welche Schäden für Menschen und Umwelt durch PFAS in Technologien der Energiewende entstehen, hängt also maßgeblich von der Art der Entsorgung oder Verwertung ab.
Eine pauschale Antwort gibt es also auch hier nicht. Prinzipiell hätten die Industrieanwendungen aber den Konsumgütern gegenüber einen Vorteil. Das sind sich Sarah Brückner und Thorsten Reemtsma einig. Denn die Industrie hat nicht nur die Möglich- und Fähigkeiten, die Anwendungen sicher abzubauen und beispielsweise in Hochleistungsöfen zu packen – eine der wenigen Optionen, die PFAS zu zerstören –, sondern bekommt auch Vorgaben von der Politik, wie einzelne Stoffe zu handhaben sind. Die seien auch wichtig, so Sarah Brückner. Ein Komplettverbot ginge ihr aber zu weit. Denn auch wenn die Stoffe nur in einzelnen Anwendungen verbaut sind, also mengenmäßig oft kaum ins Gewicht fallen, sind sie doch unersetzbar. Oder?
Die Unersetzbaren: Ist ein PFAS-Verbot das Ende vom Green Deal?
Die gute Nachricht ist, die PFAS lassen sich ersetzen. Die schlechte: Nicht überall! Die Breite der Anwendung, die schiere Anzahl der Stoffe und die Kombination der Eigenschaften führt dazu, dass ein pauschaler Ersatz nur schwer zu finden ist. Sarah Brückner sieht deshalb auch die Energiewende durch ein Verbot gefährdet.
Diese Energiewende-Ziele wird man so nicht erreichen können.
Für Thorsten Reemtsma ist der Green Deal hingegen oft eher ein strategisches Mittel: "Einzelne Anwendungen mögen tatsächlich unverzichtbar sein, aber es taugt nicht als Argument grundsätzlich gegen das Bestreben, weniger PFAS einzusetzen, in welchen Anwendungen auch immer." Ein Bestreben, das übrigens auch Sarah Brückner unterstützt – nur eben nicht mit einem Pauschalverbot. Wo sie die PFAS für schwer ersetzbar hält, ist Thorsten Reemtsma optimistischer: In vielen Bereichen – speziell dort, wo die Langlebigkeit nicht die ausschlaggebende Eigenschaft ist – sieht er große Chancen, Ersatzstoffe zu finden.
Eine Meinung, mit der er nicht allein ist. Auch Martin Scheringer, Professor für Umweltchemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, argumentiert vor dem Umweltausschuss des Bundestages in einer öffentlichen Anhörung, dass es "für viele Anwendungen von PFAS […] längst fluorfreie Alternativen [gebe]. Bei wichtigen Komponenten elektrischer Geräte für die Energiewende wie Brennstoffzellen und Batterien seien Alternativen zu PFAS in der Entwicklung und teilweise auch bereits verfügbar." In Sachen Wärmepumpen arbeitet beispielsweise das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg bereits seit Jahren an möglichen PFAS-Alternativen, während das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung (Potsdam) erste Erfolge in Bezug auf Schmierstoffe vermelden kann.
Auf Anfrage von MDR Wissen gibt auch der Solarhersteller Oxford PV (Brandenburg) an, keine Module mit PFAS zu produzieren. Und auch der europäische Dachverband der Windenergieindustrie meldet in seiner Stellungnahme, die Windindustrie verwende "bereits PFAS-freie Beschichtungen für die Rotorblätter" und bewerte "kontinuierlich, ob andere Komponenten und Materialien PFAS enthalten und ob PFAS-freie Alternativen verfügbar sind". Gleichzeitig gibt der Verband zu Bedenken, dass es für die Elektrolyseur-Technologien zur Herstellung von erneuerbarem Wasserstoff "keine alternativen Materialien" gebe. Auch Alternativen für die Verwendung in Schaltanlagen sei in der "Verfügbarkeit […] begrenzt."
Wie andere, plädieren deshalb auch einige Hersteller von Technologien der Energiewende für eine differenzierte Betrachtung der Stoffe oder zumindest der Stoffgruppen statt eines pauschalen Verbots. Bereits jetzt enthalte der EU-Vorschlag unverzichtbare Anwendungen, so Thorsten Reemtsma, für die es derzeit keine Ersatzstoffe gibt und auch kurzfristig keine gefunden werden können und die deshalb für eine bestimmte Zeit und unter bestimmten Bedingungen zugelassen bleiben sollen:
Das halte ich auch für ein sinnvolles Vorgehen.
Den Grünen Deal sieht er aber auch mit einem pauschalen Verbot nicht in Gefahr. Im Gegenteil: "Der Green Deal hat mehr Komponenten als nur die Frage der nicht-fossilen Erzeugung von Energie. Dazu gehört auch […] das Gebot, Produkte zurückzunehmen, wieder aufzuarbeiten, neu zu verwenden. Und das gilt für Güter, das gilt für Chemikalien und das gilt auch fürs Wasser. Und wenn wir in diesen Produkten überall Stoffe haben, die extrem langlebig sind, die wir nicht gut wieder entfernen können, dann ist das auch ein großes Hindernis für die Kreislaufwirtschaft und damit auch eine Erschwernis für die Zukunft." Und so ist letztendlich die Frage nach der Gefahr für den Grünen Deal und die Energiewende auch eine Frage der Sichtweise: Für die einen ist sie größer, wenn die Stoffe verboten werden, für die anderen, wenn sie bleiben.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 14. August 2024 | 18:08 Uhr