Mögliches EU-Verbot Jahrhundertgifte PFAS? Das Problem mit den "Ewigkeitschemikalien"
Hauptinhalt
19. September 2024, 16:05 Uhr
Studien weisen immer wieder auf ihre Gefahren hin: Die schwer abzubauenden per- und polyfluorierten Chemikalien (PFAS) sollen für Leberschäden, Übergewicht, hormonelle Störungen und Krebs verantwortlich sein. Zuletzt haben Leipziger Forschende auch Risiken für das menschliche Gehirn ausgemacht. Die EU diskutiert derzeit deshalb ein Verbot. Das Problem dabei: Die Studien gibt es nur zu einem Bruchteil der mehr als 10.000 Stoffe, die zudem überall in unserem Alltag vorkommen. Ein Überblick.
Sie sind eigentlich überall: In Kosmetika, Ski-Wachsen, Outdoorklamotten, antihaftbeschichteten Pfannen, Fastfood-Verpackungen, Teppichen, Backpapier, Pflanzenschutzmitteln, Medizinprodukten, Schmiermitteln … die Liste könnte ewig so weitergehen. Ihre breite Anwendung verdanken die Stoffe ihren Eigenschaften als wasser-, fett- und schmutzabweisend sowie der chemischen und thermischen Stabilität. Genau das ist aber auch ein Problem für die Umwelt und die menschliche Gesundheit. Denn weil sie so langlebig sind, reichern sich die PFAS-Chemikalien immer weiter an. Eine Tatsache, die mit Blick auf eine vermehrte Anzahl an Studien, die den Stoffen schädliche Einflüsse auf Mensch und Umwelt attestieren, bedenklich ist.
Nun steckt die EU mitten in Beratungen darüber, ob die PFAS nicht sogar ganz verboten werden sollten. Für die Befürworter eines Verbots ein längst überfälliger Schritt, für die anderen aber zu pauschal gedacht. Denn die PFAS sind eine Gruppe aus mehr als 10.000 Stoffen, die sich in ihrer Funktion und Anwendung durchaus unterscheiden. Zeit für einen Überblick.
Hier, um zu bleiben: Warum die PFAS auch Ewigkeitschemikalien heißen
PFAS steht für per- und polyfluorierte Chemikalien. Natürlich kommen diese Stoffe nicht vor. Sie werden laut Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz erst seit den 1940er-Jahren hergestellt und eingesetzt. Chemisch gesehen bestehen sie aus Kohlenstoffketten verschiedener Längen, bei denen Wasserstoffatome vollständig (perfluoriert) oder teilweise (polyfluoriert) durch Fluoratome ersetzt sind. Die chemische Verbindung zwischen Kohlenstoff und Fluoratomen ist extrem stabil. Während die polyfluorierten Stoffe zumindest noch durch natürliche Abbaumechanismen wie etwa die Sonneneinstrahlung oder Mikroorganismen zu perfluorierten Carbon- und Sulfonsäuren abgebaut werden können und deshalb als Vorläuferverbindung bezeichnet werden, sind perfluorierte Vertretern von Vorneherein praktisch nicht abbaubar. Beide können nur durch kosten- und zeitintensive Verfahren entfernt werden. Sie verschwinden nicht von selbst und genau das macht sie zur Gefahr für Mensch und Umwelt.
Mobil, stabil und immer mehr: Warum PFAS eine Gefahr sind
Über verschiedenste Wege gelangen die PFAS in die Umwelt. Ab hier zeigen sich Unterschiede in kurz- und langkettigen PFAS. Kurzkettige Stoffe binden sich kaum an organisches Material oder Sedimente und sind dadurch sehr mobil. Das führt dazu, dass sie sehr schnell ins Grundwasser geraten und von Pflanzen aufgenommen werden. Langkettige PFAS werden dagegen erst langsam aus Böden ausgewaschen und treten entsprechend spät als Grundwasserbelastung zutage. Daneben reichern sie sich insbesondere in Organismen und entlang der Nahrungskette an. Der europäischen Lebensmittelbehörde EFAS zufolge gelten vor allem tierische Lebensmittel als mit PFAS belastet.
Beide gelangen schließlich irgendwann in unsere Nahrung und damit ins Blut, wo kurzkettige PFAS aufgrund ihrer kurzen Halbwertszeit schnell nicht mehr nachweisbar sind, langkettige aber über Jahre im menschlichen Körper verbleiben können, sich dort immer weiter anreichern und entsprechende toxische Wirkungen entfalten, indem sie Proteine im Blut, in der Leber und der Niere binden.
Einzelne PFAS im Visier: Vor allem langkettige Stoffe werden reguliert
Deshalb stehen besonders langkettige PFAS in der Kritik, etwa Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) und Perfluoroktansäure (PFOA). Sie sollen laut Umweltbundesamt nicht nur für eine verringerte Antikörperantwort bei Impfungen verantwortlich sein, sondern auch Infektionen begünstigen. PFOA ist laut Bundesamt für Risikobewertung außerdem giftig für die Leber und steht im Verdacht, hormonähnliche Eigenschaften zu haben. In Tierversuchen hätten sie laut dem aktuellen Beschränkungsdossier der EU Tumore verursacht. Beide Stoffe gehören zu der Gruppe der PTE, Industriechemikalien, die Zwischenprodukte oder Hilfsstoffe bei der Herstellung sowie Abbauprodukte von bestimmten Fluorverbindungen sind und sich beispielsweise in wasser-, schmutz- und fettabweisenden Ausrüstungen von Teppichen, Kleidung oder Kochgeschirr mit Antihaftbeschichtung befinden oder eigentlich befanden.
Denn, wie andere Stoffe, deren schädliche Wirkung durch Studien belegt ist, sind beide Stoffe bereits weltweit verboten: Für PFOS etwa gilt das Verbot bis auf wenige Ausnahmen – etwa bei Medizinprodukten – bereits seit 2010, für PFOA seit 2020. Des Weiteren sind sehr lange Perfluorcarbonsäuren (mit 9-21 Kohlenstoffatomen) seit Februar 2023 in der EU verboten, ein weltweites Verbot steht im Raum.
Auch einzelne kurzkettige PFAS, wie zum Beispiel PFHxA (Perfluorhexansäure), rücken mittlerweile ins Licht der Behörden. Denn sie sind durch ihre Mobilität und die ebenso starke Langlebigkeit nicht nur möglicherweise auch eine Gefahr, sondern werden gerne als Alternative für bereits regulierte PFAS eingesetzt. Eine Tatsache, die das eigentliche Dilemma der PFAS zeigt.
Verbots-Dilemma: Die schwer ersetzbaren Alleskönner
Ihre zahlreichen praktischen Eigenschaften machen die PFAS zum Alleskönner und entsprechend breit werden sie eingesetzt. Hinzu kommt, dass nicht jeder Stoff auch die gleichen Gefahren aufweist: Je nach Branche, Herstellungsprozess, Menge und Einsatz der PFAS ergeben sich unterschiedliche Gefährdungspotentiale.
In der Halbleiterindustrie, der Fotoindustrie und bei Hydraulikflüssigkeiten in der Luftfahrindustrie schließt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz in einem Leitfaden zur PFAS-Bewertung eine nennenswerte Umweltgefährdung durch langkettige PFAS beispielsweise aus. Anders ist das bei der Papier-, Karton- und Pappeherstellung sowie dem Einsatz von Imprägnier- und Fleckenschutz in der Textilindustrie. In der Lack- und Farbenherstellung sowie der chemischen Industrie sei die Bewertung hingegen schwierig. Denn vor allem Letztere könnte laut Bundesministerium die gesamte PFAS-Produktpalette umfassen, ohne, dass es Informationen zu den Einsatzmengen, -bereichen und -zeiträumen gäbe.
Ein Problem, das viele Hersteller betrifft: "Wenn ein Hersteller eine komplexe Anlage baut, dann haben sie ganz, ganz viele Zukaufteile, von denen der Hersteller im ersten Moment nicht weiß, wo da PFAS drin sind“, so Sarah Brückner, Leiterin der Abteilung Umwelt & Nachhaltigkeit beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Von Dichtungen, über Kabelummantelungen bis hin zu Schmierstoffen würden viele Unternehmen nun alles überprüfen. Die Gefahr, dass es trotzdem PFAS-Anwendungen gebe, über die die Hersteller erst Bescheid wüssten, sobald die Stoffe fehlen, sei da.
Einer für alles: Ein Ersatzstoff ist schwer zu finden
Die Kombination ihrer Eigenschaften, die Breite ihrer Anwendung und die schiere Anzahl der Stoffe macht es laut Sarah Brückner schwer, die PFAS zu ersetzen: "Unsere Daumenregel ist: Wenn sie einen Teil der Stoffeigenschaften eines PFAS nutzen, haben sie eine Chance, ein Substitut zu finden. Weil wir dann vielleicht einen Stoff einsetzen können, der diese eine Eigenschaft, die ich nutze, erfüllt in allen Anwendungen. Wo sie die komplette Bandbreite der Eigenschaften der PFAS nutzen, also mehr als eine oder zwei der stofflichen Eigenschaften, werden sie nahezu keine Chance haben, ein Substitut zu finden.“ Sarah Brückner plädiert deshalb für eine Einzelbewertung, nicht unbedingt aller Stoffe, aber zumindest von Stoffgruppen – auch, weil nicht alle als toxisch gelten. Und sie spricht sich für eine Differenzierung von Konsumprodukten und Industrieanwendungen aus. Denn die Industrie träfe ihr zufolge stärkere Vorsichtsmaßnahmen und hätte andere Möglichkeiten der Entsorgung.
Die EU hingegen argumentiert in ihrem Dossier mit der Sorge, dass einzeln beschränkte PFAS lediglich durch leicht abgewandelte, nicht beschränkte PFAS ersetzt würden, diese aber dann mit der Zeit und ausreichender Anreicherung in der Umwelt zu einem ebenso großen Problem werden. So sieht es auch Christian Neumann vom Fraunhofer-Institut für Polymerforschung IAP in Potsdam. Er entwickelt Ersatzmöglichkeiten für PFAS-haltige Schmierstoffe und Dichtungen. "Eine Anhäufung PFAS-haltiger Substanzen kann potenziell zu Problemen führen, deren Ausmaß man momentan noch nicht vollständig abschätzen kann – insbesondere in Bezug auf die Toxizität. Daher bevorzugt man heute Systeme, die in der Umwelt nicht extrem langlebig sind."
Dass die PFAS schwer zu ersetzen sind, erklärt auch er. Der studierte Chemiker hält deshalb die Argumentation beider Seiten für richtig und wichtig: Zum einen brauche es Verordnungen, um Investitionen und Anreize zu schaffen, nach Alternativen zu suchen und Umweltschäden zu verhindern. Zum anderen bestehe auch die Gefahr eines Innovationsrückschritts an den Stellen, wo es noch keine Alternativen gibt.
Erste Teilerfolge: Bald Schmierstoffe ohne PFAS
Er selbst macht zumindest im Bereich der Schmierung gute Fortschritte: Zusammen mit einem Team aus Forschenden hat er Mikrokapseln entwickelt, die mit PFAS-freien Schmierölen gefüllt sind, durch Reibung aufbrechen und so zur Selbstschmierung, etwa von Kunststoffbauteilen, beitragen. Der Vorteil: Die Mikrokapseln halten Temperaturen bis zu 260 - 300 Grad stand und haben wie die sonst verwendeten PFAS einen geringen Reibungskoeffizienten. Sie können so gleichermaßen die Reibung und den Verschleiß von Kunststoffen reduzieren. Und noch einen Vorteil gibt es: Durch die schützenden Mikrokapseln könnten unterschiedlichste marktverfügbare Öle, also auch PFAS-freie Öle, eingesetzt werden. Die Kapseln sind damit also auch unabhängig davon einsetzbar, welche Stoffe in Zukunft als schädigend eingestuft werden.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 14. August 2024 | 18:08 Uhr