Verunreinigung in dem Kühnhaider Bach auf der Dreirosengasse
Bildrechte: IMAGO / Andre März

ARD-Mitmachaktion #unsereFlüsse Drei von vier Bächen sind in schlechtem Zustand

21. Oktober 2024, 06:26 Uhr

Viele Bäche sind in einem ökologisch schlechten Zustand. Das zeigen tausende Fotos und Beobachtungen, die Bürgerinnen und Bürger für die ARD-Mitmachaktion #unsereFlüsse gemacht haben.

Die Aktion startete im Mai, seither sind 2.900 Bachbegutachtungen eingegangen. Das Resultat zeigt nun: Drei Viertel der untersuchten Bäche sind in einem mäßigen, unbefriedigenden oder schlechten Zustand.

Problematisch ist dieses Ergebnis auch hinsichtlich der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Diese sieht vor, dass bis zum Jahr 2027 alle Flüsse, Seen, Grundwasser und Küstengewässer in einem guten und lebendigen Zustand sein sollen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig werteten die eingesendeten Formulare aus. Dabei wurde beispielsweise abgefragt, wie der Bach riecht, ob er begradigt ist oder Pflanzen am Ufer wachsen. Anhand der eingesendeten Bilder und Beschreibungen verteilten die Forschenden eine Note auf einer Skala von 1 bis 5.

Eine Erkenntnis des Projekts: Naturnahe Bäche sind in einem deutlich besseren Zustand als naturferne. Naturfern bedeutet, dass Bäche vom Menschen umgestaltet worden und durch ein vom Menschen geprägtes Gebiet fließen. Dazu gehören dann etwa Siedlungen oder Äcker.

Projekt von Leipziger Biologin als Vorbild

Grundlage der Aktion war das Citizen-Science-Projekt "FLOW" des UFZ. Bei diesem Projekt federführend war die Leipziger Biologin Julia von Gönner, die erst vor Kurzem für ihre Arbeit mit dem ersten Preis für Citizen-Science-Forschung ausgezeichnet wurde. Auf der Basis dieses Projekts wurde ein vereinfachter Fragebogen erstellt, der für die ARD-Mitmachaktion auch von Zuschauerinnen und Zuschauern ausgefüllt werden konnte.

"Der große Vorteil dieser Mitmachaktion ist, dass wir eben viele Menschen ohne Training oder ohne Vorkenntnisse auch motivieren und mobilisieren konnten", so Julia von Gönner. Dabei hat die Aktion einen wissenschaftlichen Wert, denn besonders gut und häufig untersucht werden in Deutschland die großen Flüsse – nicht aber die kleinen Bäche, die sie speisen.

Julia von Gönner
Das FLOW-Projekt von Biologin Julia von Gönner war Vorbild für die ARD-Mitmachaktion. Bildrechte: IDIV/Stefan Bernhardt

Durch die große Stichprobengröße haben wir jetzt eben für viele Bäche, die vorher noch nie untersucht wurden, einen ersten Hinweis.

Julia von Gönner Biologin am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig

Fünf mitteldeutsche Bäche unter der Lupe

Von den gut 2.900 Einreichungen wurden 31 Bäche noch einmal genauer untersucht. Mithilfe von DNA-Analysen schaute sich ein Forschungsteam der Universität Duisburg-Essen an, welche DNA-Spuren Tiere hinterlassen haben. Anhand dieser DNA kann die Artenvielfalt bestimmt werden. Ergebnis: Nur zwei der 31 Bäche haben das Prädikat "gut" erhalten. Lisa Walony ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Duisburg-Essen und ist zwei Wochen durch Deutschland gefahren, um Proben an den Bächen zu sammeln. Sie fasst das Ergebnis als "ein recht erschreckendes Signal" zusammen. "Vielleicht leider nicht besonders überraschend, aber durchaus besorgniserregend."

Fünf der genauer untersuchten Bäche liegen dabei in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Am schlechtesten schnitt dabei ein Abschnitt der Ziethe im Osternienburger Land in Sachsen-Anhalt ab. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler attestierten dem Bach einen schlechten Zustand. Es konnten nur wenige Arten nachgewiesen werden, die zudem mit schwierigen ökologischen Bedingungen zurechtkommen müssen. Hinzu kamen invasive Arten wie die Nutria oder die Neuseeländische Zwergdeckelschnecke.

Schafbrücke am Kemnitzbach Burgstein
Der Kemnitzbach im Vogtlandkreis ist eine der wenigen Bäche, denen ein guter Zustand bescheinigt wurde. Bildrechte: IMAGO/imageBROKER/Erich Geduldig

Mitteldeutsches Positivbeispiel in Sachen Artenvielfalt ist der Kemnitzbach. Er ist an der untersuchten Stelle in Ruderitz im Vogtlandkreis in einem guten Zustand. Damit ist er lediglich einer von zwei Bächen, die dieses Prädikat erhalten haben.

Großer Fuchs trinkt Nektar
Der Große Fuchs ist eine gefährdete Schmetterlingsart, die am Kemnitzbach gefunden wurde. Bildrechte: IMAGO / blickwinkel

Beim Kemnitzbach kommt auch Walony kurz ins Schwärmen: "Der war toll. Das Bachufer war natürlich, es gab keine Verbauungen an der Probestelle." Das seien gute Voraussetzungen, damit sich dort verschiedene Organismen ansiedeln können, die unterschiedliche Mikrohabitate brauchen. Das hilft insbesondere Arten, die sehr sensibel gegenüber Umweltbedingungen reagieren. So wurden dort sechs solcher Arten gefunden, unter anderem die bedrohte Schmetterlingsart Großer Fuchs.

Neue eDNA-Analyse im Einsatz

Die bei der detaillierten Auswertung verwendete Umwelt-DNA-Analyse (eDNA) ist ein neues und noch relativ unerprobtes Instrument. Um eine Stichprobe gemäß der EU-Wasserrahmenrichtlinie durchzuführen, müssen bisher die Tierarten aus dem Gewässer entnommen werden. Die eDNA-Analyse ist hingegen ein kaum invasives Verfahren und befindet sich noch in der Entwicklung. Bereits die Entnahme eines Liters Flusswasser reiche aus, um ein gutes Bild der dort lebenden Tierwelt zu erhalten.

Wir haben den großen Vorteil, dass wir am Bach nur einen Liter Wasser filtern und dass wir die Tiere an sich nicht stören müssen. Es ist relativ schnell in der Auswertung und es ist auch minimal invasiv.

Lisa Wolany Biologin an der Universität Duisburg-Essen

Trotzdem hat diese Methode auch Nachteile. So kann zwar die DNA von Tieren nachgewiesen werden, nicht aber ihre Menge, ihr Zustand oder ihre Größe. "Das heißt: Auch wenn wir das in Zukunft verwenden, dann wird es keine Methode sein, die für sich alleine steht", erklärt Lisa Wolany. "Sondern wir brauchen wissenschaftliche Untersuchungsmethoden schon immer in Kombination miteinander, damit man eben von jeder Methode die großen Vorteile abgreifen kann."

Wie können unsere Flüsse gerettet werden?

Einig sind sich aber sowohl Lisa Wolany als auch Julia von Gönner: Es gibt ein Umsetzungsproblem. Denn die Grundlage für gesunde Bäche und Flüsse ist sowohl mit der EU-Wasserrahmenrichtlinie als auch mit der nationalen Umsetzung im Wasserhaushaltsgesetz gegeben. Von Gönner erkennt "dringenden Handlungsbedarf, um die Wasserrahmenrichtlinie und auch die nationale Wasserstrategie jetzt endlich umzusetzen". Außerdem könne man in Absprache mit Kommunen und Wasserbehörden auch selbst niedrigschwellige Maßnahmen umsetzen.

Zum Beispiel Uferbepflanzungen, um Uferschutzstreifen zu entwickeln, die den Bach dann schützen. Man kann aber zum Beispiel auch Störelemente einbringen wie Totholz oder Kies, um den Gewässergrund zu verbessern.

Julia von Gönner Biologin am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig

#UnsereFlüsse lauft noch bis zum 31.Oktober

Die Ergebnisse liegen zwar schon vor, trotzdem kann man weiterhin an der Aktion #unsereFlüsse teilnehmen. Noch bis zum 31. Oktober können Bürgerinnen und Bürger ihre Bäche begutachten und mithilfe des Formulars einsenden. Alle Einsendungen werden wissenschaftlich ausgewertet. Den Link zum Formular finden Sie hier.

sh

Dieses Thema im Programm: Das Erste | #UnsereFlüsse - Wie geht es Deutschlands Lebensadern? | 21. Oktober 2024 | 22:50 Uhr

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