Künstliche Intelligenz Mit einem einzigen Röntgenbild zukünftige Herzerkrankungen erkennen

29. November 2022, 15:09 Uhr

Forscher haben ein Deep-Learning-Modell entwickelt, das anhand einer einzigen Röntgenaufnahme des Brustkorbs das 10-Jahres-Risiko für den Tod durch einen Herzinfarkt oder Schlaganfall aufgrund einer atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankung vorhersagen kann.

Deep Learning bedeutet in diesem Fall eine fortgeschrittene Form der künstlichen Intelligenz (KI), die darauf trainiert wurde, Röntgenbilder zu durchsuchen, um mit Krankheiten verbundene Muster zu finden. Und das hat funktioniert.
"Unser Deep-Learning-Modell bietet eine potenzielle Lösung für ein bevölkerungsbasiertes Screening des Risikos von Herz-Kreislauf-Erkrankungen unter Verwendung vorhandener Röntgenbilder der Brust", sagt Dr. Jakob Weiss, Radiologe aus Boston und Hauptautor einer neuen Studie. "Diese Art von Screening könnte eingesetzt werden, um Personen zu identifizieren, die von einer Statinmedikation profitieren würden, aber derzeit nicht behandelt werden." Statine sind Arzneistoffe, die als Cholesterinsenker bzw. Lipidsenker eingesetzt werden. Forscher aus Jena haben den Wirkstoff so weiterentwickelt, dass er nur noch zwei Mal jährlich gespritzt werden muss.

In den aktuellen US-amerikanischen Leitlinien wird empfohlen, das 10-Jahres-Risiko für schwerwiegende Herz-Kreislauf-Erkrankungen abzuschätzen, um festzustellen, wer ein Statin zur Primärprävention erhalten sollte. Dieses Risiko wird anhand eines statistischen Modells berechnet, das eine Vielzahl von Variablen berücksichtigt, darunter Alter, Geschlecht, Blutdruck, Rauchen, Typ-2-Diabetes und Bluttests. Für Patienten mit einem 10-Jahres-Risiko von 7,5 Prozent oder mehr wird dann die Einnahme von Statinen empfohlen.

Statt vieler Variablen nur ein Bild

Röntgenbild Brustkorb
Röntgenbild eines Brustkorbes. So ein Bild genügte der Künstlichen Intelligenz in der Studie, mögliche spätere Herzerkrankungen aufzuspüren. Bildrechte: Radiological Society of North America

Die erforderlichen Variablen stehen aber nicht immer zur Verfügung. Umso schöner wäre es da, aus einer leicht verfügbaren Quelle das Risiko genauso exakt berechnen zu können.
"Da Röntgenaufnahmen des Brustkorbs allgemein verfügbar sind, kann unser Ansatz helfen, Personen mit hohem Risiko zu identifizieren", sagt Dr. Weiss.

Mit einem Team von Forschern trainierte er ein Deep-Learning-Modell anhand von 147.497 Röntgenaufnahmen der Brust von 40.643 Probanden. "Wir haben schon lange erkannt, dass Röntgenbilder Informationen erfassen, die über die traditionellen diagnostischen Befunde hinausgehen, aber wir haben diese Daten nicht genutzt, weil wir nicht über robuste, zuverlässige Methoden verfügten", sagt Dr. Weiss. "Die Fortschritte in der KI machen es jetzt möglich."

Test mit Kontrollgruppe

Die Forschungsgruppe testete das Modell anhand einer zweiten unabhängigen Kohorte von 11.430 ambulanten Patienten, die routinemäßig geröntgt worden waren und für eine Statintherapie in Frage kamen. Von dieser Kontrollgruppe erlitten 1.096 (9,6 %) eine schwerwiegende Herzerkrankung während der durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 10,3 Jahren. Dabei bestand ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem durch das Röntgenbild-Modell vorhergesagten Risiko und den beobachteten Erkrankungen.

Die Forscher verglichen auch den prognostischen Wert des Modells mit dem etablierten klinischen Standard für die Entscheidung, ob ein Statin in Frage kommt. Dieser wurde bei 2.401 Patienten (21 %) berechnet, bei denen es fehlende Daten (z. B. Blutdruck, Cholesterin) in den elektronischen Aufzeichnungen gab. Bei dieser Untergruppe von Patienten schnitt das Risikomodell ähnlich gut ab wie der etablierte klinische Standard und lieferte sogar einen zusätzlichen Wert.

Validierung der Ergebnisse

"Das Schöne an diesem Ansatz ist, dass man nur ein Röntgenbild benötigt, das täglich millionenfach auf der ganzen Welt aufgenommen wird", so Dr. Weiss. "Auf der Grundlage eines einzigen vorhandenen Röntgenbildes der Brust sagt unser Deep-Learning-Modell künftige schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse mit ähnlicher Leistung und ähnlichem Mehrwert wie der etablierte klinische Standard voraus."

Allerdings ist laut Dr. Weiss noch weitere Forschung nötig, einschließlich einer kontrollierten, randomisierten Studie, um das Deep-Learning-Modell zu validieren, das letztendlich als Entscheidungshilfe für behandelnde Ärzte dienen könnte. "Wir haben gezeigt, dass eine Röntgenaufnahme der Brust mehr ist als eine Röntgenaufnahme der Brust", so Dr. Weiss. "Mit einem Ansatz wie diesem erhalten wir ein quantitatives Maß, das es uns ermöglicht, sowohl diagnostische als auch prognostische Informationen zu liefern, die dem Arzt und dem Patienten helfen."

(rr)

Links/Studien

Die Ergebnisse der Studie (hier die Zusammenfassung als PDF-Datei) wurden am 29. November 2022 auf der Jahrestagung der "Radiological Society of North America" (RSNA) vorgestellt.