Persönlichkeitsveränderung Macht Bluthochdruck neurotisch?
Hauptinhalt
05. Dezember 2022, 13:05 Uhr
Dauerhafter Bluthochdruck ist nicht nur eine Risiko fürs Herz. Er kann offenbar auch unsere Persönlichkeit beeinflussen. Wissenschaftler der Shanghai Jiao Tong University konnten in ihrer aktuellen Studie nachweisen, wie genau.
Unser Blutdruck verbindet Herz und Gehirn. Er wird von vielen Faktoren beeinflusst, unter anderem von unseren Ess- und Ernährungsgewohnheiten, von unserem Tabak- und Alkoholkonsum. Es gibt jedoch auch Gene, die für Bluthochdruck verantwortlich sind. Diese haben sich Studienleiter Lei Cai und seine Kollegen zunutze gemacht, um zu sehen, ob und wie ein dauerhaft zu hoher Blutdruck unsere Persönlichkeit verändern kann.
Um den Zusammenhang von Kreislauf und Psyche ohne den Einfluss von verzerrenden Faktoren untersuchen zu können, nutzten die Forschenden die Mendelsche Randomisierung (eine besondere Methode der Epidemiologie und Biostatistik). Sie betrachteten zum einen bestimmte genetischen Varianten, von denen bekannt ist, dass sie für die vier Merkmale des Blutdrucks verantwortlich sind: für systolischen Blutdruck (Druck beim Zusammenziehen des Herzmuskels), für diastolischen Blutdruck (Druck beim Erschlaffen des Herzmuskels), für Pulsdruck (Differenz aus systolischem und diastolischem Blutdruck) und für Bluthochdruck (über 140/90 mmHg). Dazu standen ihnen bereits vorhandene vollständige DNA-Genomdaten von 736.650 Menschen überwiegend europäischer Abstammung zur Verfügung. Diese analysierten sie auch im Hinblick auf genetische Anzeichen für psychologische Phänomene wie Angst, depressive Symptome, subjektives Wohlbefinden und das Persönlichkeitsmerkmal Neurotizismus.
Hier setzt der Blutdruck am stärksten an
Der deutlichste Zusammenhang mit 90 Prozent Übereinstimmung zeigte sich zwischen zu hohem diastolischen Blutdruck und dem Neurotizismus. Er ist neben Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion und Verträglichkeit einer der fundamentalen Persönlichkeitsfaktoren.
"Personen mit Neurotizismus können empfindlich auf die Kritik anderer reagieren, sind oft selbstkritisch und entwickeln leicht Angst, Wut, Sorge, Feindseligkeit, Selbstbewusstsein und Depressionen. Daraus können langfristig Angststörungen entstehen" erklärt Studienleiter Lei Cai. Außerdem könne der so erlebte psychische Stress wiederum zu erhöhtem Blutdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, empfehlen die Forschenden eine angemessene Überwachung und Beeinflussung des Blutdrucks.
Psyche und Wohlbefinden – der Magen weiß das auch
Wie unser Wohlbefinden unsere Psyche beeinflusst, kennen wir ja bereits aus unserem Bauch, auf den wir deshalb auch hören sollen, meint zumindest das Sprichwort. "Über die Darm- Hirnachse kommunizieren unsere beiden 'Gehirne' über das unbewusste vegetative Nervensystem miteinander", so Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer im MDR-Interview bei Hauptsache Gesund. "Das ist der Grund dafür, dass wir bei Stress bzw. Aufregung mit einer gestörten Verdauung reagieren." Eine zentrale Rolle spielt hier der Vagusnerv, der im gesamten Oberkörper und Bauchraum verzweigt ist. Und der reagiert, wenn etwas schief läuft, beziehungsweise andersherum: Funktioniert alles im Magen, dann herrscht Ruhe im Kopf.
Ein Parasit, der uns mutig und egoistisch macht?
Ein mögliches Beispiel für das Wechselspiel einer Erkrankung mit unserem Verhalten ist die Toxoplasmose. Ausgelöst wird sie durch Toxoplasma gondii, einen Parasiten, den wir von unseren Katzen bekommen können. Ein Urtierchen, "so klein wie eine einzige Körperzelle von uns – also extrem klein", sagt Prof. Uwe Groß von der Universität Göttingen. Der Mediziner und Mikrobiologe hat sich mit dem Tierchen und der Forschung dazu beschäftigt und sagt: bei allen möglichen methodischen Schwächen bisheriger Studien, sehen wir, dass der Katzen-Parasit, der bei Mäusen nachgewiesenermaßen zu mehr Risikofreudigkeit führt, auch mit dem menschlichen Gehirn interagiert. Und vielleicht macht er die Betroffenen dann wirklich mutig und furchtlos, aber auch etwas langsamer und egoistischer.
Prof. Jaroslav Flegr, der das an der Karls-Universität Prag untersucht hat, ist davon überzeugt: "Infizierte Männer zum Beispiel befolgen Vorschriften und Regeln nicht so gerne. Außerdem sind sie misstrauischer, eifersüchtiger und introvertierter."
Links/Studien
Die Studie "Untersuchung genetischer Kausalzusammenhänge zwischen Blutdruck und Angst, depressiven Symptomen, Neurotizismus und subjektivem Wohlbefinden" ist im Fachmagazin General Psychatry erschienen.
krm
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 14. April 2021 | 21:00 Uhr