Trauerkultur Wie KI uns nach dem Tod lebendig hält
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17. Dezember 2024, 12:38 Uhr
Wir Menschen können nur schwer akzeptieren, dass mit unserem Tod einfach alles vorbei sein soll. Deshalb – so sagt es die Sozialpsychologie – tun wir alles, um etwas in der Welt zu hinterlassen: zeugen Kinder, bauen Häuser, schreiben Bücher. Doch immer mehr Menschen reicht das nicht: Sie nutzen KI-basierte Anwendungen, um sich und ihre Persönlichkeit über den Tod hinaus lebendig zu halten. Doch wie verändern diese Technologien unser Verhältnis zum Sterben, zur Trauer und zur eigenen Endlichkeit?
"Man will aus der Reihe tanzen"
Unsere Bestattungs- und Trauerkultur hat sich stark gewandelt: Jahrzehntelange Traditionen werden brüchig, bestehende Konventionen kritisch hinterfragt. Der Wunsch nach Autonomie, Selbstbestimmung und Individualität wird auch im Bestattungswesen immer deutlicher sichtbar: Urnen und Särge werden bunt und kompostierbar und Beerdigungen zur lebensfrohen Party; Gräber finden sich auf naturnahen Wiesen und in Wäldern und Grabsteine samt ihren Inschriften zeigen sich persönlicher, selbstdarstellerischer und teilweise sogar humoristisch.
'Guck nicht so blöd, ich würde auch lieber am Strand liegen' kann man da schon mal auf dem Grabstein lesen. "Das sind ja Haltungen, die man auf dem Friedhof nicht erwartet", sagt Soziologe Thorsten Benkel von der Universität Passau. "Man möchte demonstrieren: Hier liegt jemand, der war anders. Der war outside the box sozusagen."
KI wird unsere Trauerkultur rasant verändern
Gemeinsam mit seinem Kollegen Matthias Meitzler erforscht Benkel seit Jahren den Wandel der Bestattungs- und Trauerkultur. Mehr als 1.200 Friedhöfe haben sie dafür schon besucht. Das Ergebnis: Der Friedhof als klassischer Ort der Trauer hat zusehends ausgedient. "Dass Menschen einen Ort der Trauer brauchen, bedeutet nicht, dass dieser Ort der Friedhof sein muss." Delokalisierung nennt das die Forschung dann, wenn die Trauer eben nicht mit einem bestimmten Ort wie zum Beispiel dem klassischen Grab oder eben dem Friedhof verbunden ist. "Und wiederum andere sagen: Ich brauche diesen Ort gar nicht."
Gar keinen Ort also. "Die Digitalisierung greift da ganz stark um sich. Der Ort der Trauer ist in Zukunft das Internet und nicht mehr der Friedhof", sagt Thorsten Benkel. Die Möglichkeiten der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz werden die Trauerkultur in Zukunft weiter rasant verändern. Und dabei stehen wir erst am Anfang.
Unsere eigene Stimme aus dem Jenseits
Diese Branche namens Digital Afterlife Industry boomt, ständig gibt es neue technologische Fortschritte und Weiterentwicklungen. "Es ist abzusehen, dass wir bald mehr Daten von Verstorbenen als von Lebenden in der Cloud liegen haben", prognostiziert Jessica Heesen, Leiterin des Forschungsschwerpunkts Medienethik, Technikphilosophie und KI am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen.
Inzwischen gibt es bereits einige KI-gestützte Angebote privater Unternehmen, mit denen wir und unser Wesen, unsere Persönlichkeit nicht ganz aus der Welt verschwinden, sondern auf gewisse Weise digital konserviert werden.
Zum einen Chatbots, die wie eine Art individualisiertes Alexa funktionieren und mit Mails und Chatnachrichten, Videoaufnahmen und Erzählungen eines Menschen gefüttert werden können. Nach dem Tod können die Chatbots dann als Stimmen aus dem Jenseits mit den Hinterbliebenen in Kontakt treten und beispielsweise Fragen beantworten und Ratschläge geben, Geburtstagsgrüße verkünden oder eine kleine Geschichte aus dem Leben erzählen.
Zum anderen ermöglicht die Künstliche Intelligenz es sogar, dass Verstorbene als dreidimensionale Avatare auftreten, mit denen man – mithilfe einer VR-Brille – in Kontakt treten kann.
Selbsttest: Mein digitales Ich nach dem Tod
"Wenn Sie das sozusagen schon für ihr Leben nach dem Tod vorbereiten wollen, dann können Sie diese ganzen Daten einfach sammeln – aus ihren E-Mails, aus ihren Chats, aus ihren sozialen Medien. Und dann wird daraus eine schöne neue Daniela gemacht", erklärt Jessica Heesen der MDR Wissen-Reporterin Daniela Schmidt die Anwendung eines Chatbots.
Für den Podcast "Meine Challenge: Besser sterben" wird sie die kommenden Wochen einen solchen Chatbot testen und über ihre Erfahrungen und Eindrücke berichten.
Doch können wir uns selbst und unsere Persönlichkeit durch digitale Avatare und Chatbots tatsächlich "unsterblich" machen? Ist es für die Hinterbliebenen ratsam und hilfreich, mit Verstorbenen auf solch eine Weise in Kontakt zu bleiben? Und ist das eine gesunde Form der Trauerbewältigung?
Kann KI beim Trauern helfen?
Innerhalb des Trauerprozesses durchlaufen wir verschiedene Phasen. Am Ende steht dabei bestenfalls auch irgendwann die Akzeptanz, dass eine geliebte Person verstorben und eben nicht mehr Teil unseres Lebensalltags ist.
"Wenn ich die verstorbene Person aber quasi immer wieder aus der Hosentasche ziehen kann und mich mit diesen Avataren oder den Chatbots unterhalten kann, dann kann es sein, dass es diesen Trauerprozess erschwert und man einfach nicht loslassen kann und es vielleicht auch nicht als real anerkennt, dass die Person verstorben ist."
Jessica Heesen verweist aber auch auf Stimmen, die eben gerade diese technologischen Entwicklungen als eine Möglichkeit sehen, den Prozess des Anerkennens zu erleichtern. Denn nicht immer haben wir einen guten Abschied zu verstorbenen Personen. Vielleicht konnte man sich gar nicht verabschieden, vielleicht ist man im Streit auseinander gegangen.
Auch hier könnte die KI einen symbolischen Abschied ermöglichen, erklärt Heesen: "Dass man das symbolisch nochmal abschließt, dass man dann mit dem Avatar spricht und nochmal sagt, was man sagen wollte – und auch eine Antwort bekommt! Und obwohl man weiß, dass das nicht echt ist, kann das psychisch eine positive Wirkung haben."
Ob solche KI-Anwendungen tatsächlich einen gesunden Trauerprozess fördern und welche psychischen Auswirkungen sie auf die Hinterbliebenen haben – ob sie bestärkend oder schädigend wirken – ist bislang nicht hinreichend untersucht. Auch, weil die technischen Fortschritte und Weiterentwicklungen einfach viel zu rasant verlaufen.
Wir sehen die Chance, aber sehen wir auch die Risiken?
Diese rasante Entwicklung stellt wiederum auch die Forschung vor Herausforderungen: Wir stürzen uns in neuartige Technologien und Anwendungen, ohne deren Chancen, aber eben auch Probleme und Gefahren genau einschätzen zu können.
Nur eine von vielen offenen Fragen ist dabei die des Datenschutzes. Bereits zu Lebzeiten stellen viele von uns eher unbekümmert ihre persönlichen Daten privatwirtschaftlichen Konzernen zur Verfügung: die Fotos vom letzten Urlaub auf Instagram, unsere persönlichen Nachrichten auf WhatsApp, unser halbes Leben in Tagebuchform auf Facebook. Und nach unserem Tod? Wie steht es um all diese Daten, wenn wir tot sind? Wer darf sie wie nutzen – und gegebenenfalls auch kommerziell weiter verwerten?
Es ist also durchaus vorstellbar, dass Hinterbliebene dann plötzlich Werbung vorgespielt bekommen – gesprochen im Stil und mit der Stimme der verstorbenen Person. "Und das ist etwas, was in Bezug auf Pietät in unserer Kultur wirklich gar nicht gut angesehen ist", so die Einschätzung von Medienethikerin und Technikphilosophin Jessica Hessen. "Wir haben die Vorstellung, dass man – zumindest als Privatperson – im Tod frei sein sollte."
Links/Studien
Ammicht Quinn, Regina / Geissler, Ines / Heesen, Jessica / Hennig, Martin / Kunz, Thomas / Meitzler, Matthias / Waldmann, Ulrich: Ethik, Recht und Sicherheit des digitalen Weiterlebens - Forschungsergebnisse und Gestaltungsvorschläge zum Umgang mit Avataren und Chatbots von Verstorbenen (Universität Tübingen & Fraunhofer-Institut, 2024)
Benkel, Thorsten / Meitzler, Matthias: Trauerkultur in der Moderne - Zum gesellschaftlichen Wandel des Friedhofs (Universität Passau, 2016-2018)
Meitzler, Matthias / Heesen, Jessica / Hennig, Martin / Ammicht Quinn, Regina: Digital Afterlife and the Future of Collective Memory (Memory Studies Review, 2024)
Dieses Thema im Programm: MDR+ | Meine Challenge | 13. Dezember 2024 | 12:00 Uhr
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