Finger sind mit traurigen Gesichtern bemalt. 6 min
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Trauerbewältigung Wenn Trauer nicht das Problem ist, sondern Teil der Lösung

27. November 2024, 09:25 Uhr

Wenn ein Mensch stirbt, steht für seine Angehörigen die Welt Kopf. Wie soll das eigene Leben weitergehen? Ein Rezept gegen Trauer gibt es nicht, aber viele Wege, mit ihr zu leben. Neue Modelle zeigen sogar: Sie ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung und damit eine Chance, die Zeit nach dem Abschied bewusst zu gestalten. Worauf es dabei ankommt, darüber haben wir mit Hedwig Portner gesprochen. Sie ist integrative Trauertherapeutin in Leipzig.

Porträtfoto einer Frau mit einer rosa Bluse.
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Wenn Menschen bei Hedwig Portner Hilfe suchen, haben sie gerade einen nahestehenden Angehörigen verloren, manchmal sogar unter extremen Umständen: ganz plötzlich, gewaltvoll oder wenn ein Kind stirbt. Sie befinden sich deshalb psychisch und auch körperlich in einer Ausnahmesituation und stehen vor der Frage, wie für sie das Leben mit diesem Verlust weitergehen soll. Dann mit aller Offenheit und Unvoreingenommenheit da zu sein, sei wichtig sagt Portner. "Wenn die Angehörigen hier durch die Tür kommen, zeigen sie mir, was sie brauchen." Diese Bedürfnisse zu erkennen, dafür brauche es Empathie, Zeit und auch die richtigen Fragetechniken. Sie sei in erster Linie als Mensch da. Doch das allein reicht nicht aus. Integrative Trauertherapie bedeutet, dass es einer ganzen Palette an Möglichkeiten bedarf, um Angehörige zu begleiten. Dazu gehören verschieden Formen der Psychotherapie wie Gestalttherapie, Verhaltenstherapie oder systematische Therapie, in der es um Beziehungen innerhalb der Familie und des Freundeskreises geht. Mit all dem hat sich Hedwig Portner in ihrer zweieinhalbjährigen Ausbildung beschäftigt.

Hedwig Portner
Hedwig Portner, integrative Trauertherapeutin Bildrechte: Verena Timtschenko

Viel hat sich in dieser Hinsicht in den letzten zehn, zwanzig Jahren verändert. Der Trauerprozess wurde erforscht und Modelle entwickelt, an denen sich Trauerarbeit orientieren kann. So beschreiben die Trauerphasen der Schweizer Psychologin Verena Kast, dass wir nach einem Verlust vier Abschnitte durchleben: Den des Nicht-Wahrhaben-Wollens, der aufbrechenden Emotionen, des Suchens und sich Trennens und schließlich die des neuen Bezugs zur Welt und zu sich selbst. Andere Modelle beschreiben fünf oder sieben Phasen. Aber funktionieren solche Schablonen überhaupt? Und lässt sich Trauer überhaupt erforschen?

Trauer ist ein natürlicher Prozess

Es sei ein natürlicher Prozess, zu trauern, so Hedwig Partner. Deshalb sollten wir uns dem in erster Linie auch ganz natürlich widmen. "Das ist uns aus meiner Sicht ein Stück weit verlorengegangen, dadurch dass wir so viel aus der Hand geben. Wir haben vermeintlich die Kontrolle und das Wissen, weil wir über das Internet, über Bücher und vielleicht auch durch die Forschung viel erfahren können. All das funktioniert im Kopf. Aber Trauer ist ja etwas, das mit dem Herzen funktioniert. Mit Gefühlen. Insofern: Seien die Forschungen Forschungen, seien die Trauerphasen Trauerphasen. Am Ende des Tages wünsche ich mir auch von jedem Trauernden, dass er sich auf sich verlässt."

zwei Frauen bemalen einen Sarg
Selbst die Trauerfeier mitgestalten, gibt Kraft. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

So geben die Angehörigen, die Hedwig Portner begleitet, selbst wichtige Impulse für die gemeinsame Arbeit. Sie kennen das Leben des Verstorbenen und hätten oft erstaunliche Ideen, so Hedwig Portner. Sich einzubringen, gibt Sicherheit in Form von Halt, sagt sie, zu wissen, ich hab' da noch etwas, das ich tun kann, das mich aus meiner Ohnmacht wieder ins Leben bringt. In die Kraft kommen, so nennt sie es, und trotzdem auch immer wieder in die Traurigkeit zurückkehren dürfen. All das werde vor allem in der ersten Zeit geprägt, in der sogenannten Schleusenphase, wie sie Ruthmarijke Smeding beschreibt. In ihrem Buch "Gezeiten der Trauer" illustriert sie das mit vielen Menschen links und rechts einer Schleuse, die die Hinterbliebenen auf ihren Händen in die nächste Zeit tragen.

Auch Hedwig Portner steht nicht allein an der Seite der Angehörigen, die sie begleitet, vor allem in der ersten Zeit. Denn da reiche sie allein gar nicht aus, sondern brauche ein großes Netzwerk aus Ärzten und Pflegern, die den Verstorbenen zuletzt versorgt haben, Bestattern, Friedhofsmitarbeitern, Trauerrednern. Natürlich spielen auch Freunde und Familie eine Rolle.

Dennoch bleibt die Trauer, bis zum eigenen Tod. Auch wenn sie sich im Laufe der Zeit verändert, in Wellen verläuft, man Höhen und Tiefen erlebt, vor allem an besonderen Tagen, wie dem Geburtstag, dem Hochzeitstag, zu Weihnachten oder einfach in der trüben Jahreszeit. "Das sollte für alle normal sein. Ich denke, dass es vollkommen in Ordnung ist, dass man ein Leben lang um einen Menschen trauert. Er fehlt ja", sagt sie.

Ein Leben lang trauern, das mag entmutigend erscheinen, weil wir so geprägt sind, dass Traurigkeit ein negatives Gefühl ist. In erster Linie sehen wir darin, dass es uns am Funktionieren hindert. Die Psychotherapeutin und Trauerexpertin Chris Paul zeigt in ihrem Modell vom Trauerkaleidoskop, dass der Prozess jedoch viele Facetten hat, sechs verschiedene Teilchen, die wie bei einem Kaleidoskop mal im Vordergrund, mal im Hintergrund erscheinen: Das Überlegen, die Konfrontation mit der Wirklichkeit, die Gefühle, das sich anpassen müssen, das Einordnen und verbunden bleiben.

Einen Platz offenhalten

Letzteres ist sicher eine gute Nachricht: Dass es bei allem Verlust etwas gibt, das bleibt: Die innere Verbindung zueinander, die wir durchaus auch im Alltag leben können, unter anderem durch Rituale. Das erlebt Hedwig Portner oft: "Ich habe Familien, die mir zum Beispiel erzählen, dass sie weiter den Tisch für den Verstorbenen decken und die werden belächelt. Aber ich glaube, dass das letztendlich der Weg ist, wirklich den Platz für den Verstorbenen offen zu halten." Das sei ein gesunder Prozess, so Portner. "Das sind keine psychisch erkrankten Menschen, die nicht mehr in ihre Kraft kommen können. Das unterschätzt man oft. Das tun wir ab und diagnostizieren hier schon Krankheiten und Depressionen."

bemaltes Herz
Erinnerungsstücke gestalten als Weg der Trauerbewältigung Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

In der Trauer liegt also auch Kraft. Oder um es mit der Trauertherapeutin Chris Paul zu sagen: Trauern ist die Lösung und nicht das Problem. Ein natürlicher Prozess, der nötig ist, um nach einem Verlust wieder ins Leben zurückkehren zu können.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 24. November 2024 | 10:20 Uhr

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