Was kommt nach dem Tod? Nahtoderfahrungen – der kurze Blick ins Jenseits
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06. Dezember 2024, 13:07 Uhr
Die Endgültigkeit des Todes ist für viele Menschen nur schwer zu ertragen. Seit Jahrtausenden bieten Religionen und Kulte deshalb das tröstliche Versprechen, dass es nach dem Tod in einer anderen Welt, einer anderen Dimension weitergeht, dass ein Teil von unserem Selbst weiterlebt. Einige Berichte von Nahtod-Erfahrenen scheinen dieses Versprechen zu stützen. Doch viele Aspekte dieser Berichte lassen sich wissenschaftlich erklären – und dadurch entkräften.
Ein dunkler Tunnel. An dessen Ende scheint ein helles Licht. Ein tiefes, inneres Gefühl von Wärme ist spürbar. Und eine Stimme, die sagt: Geh' ins Licht! Und dann: Ist man im Himmel. So oder so ähnlich geht die Klischee-Erzählung davon, was mit uns passiert, wenn wir gestorben sind.
Warme Lichter, dunkle Landschaften
Und tatsächlich ist die Wahrnehmung eines Lichts, zu dem man hinschweben möchte, ein zentrales Motiv, das in vielen Nahtod-Berichten vorkommt, sagt die Soziologin Ina Schmied-Knittel. Sie forscht am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg zu genau solchen Erzählungen von Menschen, die überzeugt davon sind, gesehen und erlebt zu haben, was nach dem Tod kommt.
"Auch andere visuelle Wahrnehmungen gehören dazu, etwa paradiesische Landschaften", so Schmied-Knittel. Doch längst nicht immer sei eine Nahtod-Erfahrung warm und positiv: "Es kann auch sein, dass ein negatives, panikhaftes Gefühl damit verbunden ist. In den Berichten tauchen dann dunkle Landschaften auf, auch dämonenhafte und unangenehme Begegnungen und Wesen."
Verschiedene Nahtode in Ost und West
Was sagen uns diese Befunde? Dass nach dem Tod entweder ein Paradies oder ein Horrorfilm auf uns warten? Nicht unbedingt. Die Forschung zeigt, dass die Frage, was Menschen während einer Nahtod-Erfahrung erleben, dadurch geprägt ist, was sie zu Lebzeiten "gelernt" haben, welche Bilder sie also womöglich erwarten.
Ende der Neunzigerjahre war Ina Schmied-Knittel beispielsweise Teil eines Forschungsteams, das die Nahtod-Erfahrungen von Menschen in Ost- und Westdeutschland unter die Lupe nahm, um zu sehen, ob sich durch die verschiedenen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Prägungen aus BRD und DDR Unterschiede zeigen. Ergebnis: Ja. Während die Menschen aus der alten Bundesrepublik eher klassische Nahtod-Motive wie Licht und Wärme nannten, fanden sich in den Berichten der Menschen aus der ehemaligen DDR häufiger auch dunkle Motive und negative Emotionen.
"In Ostdeutschland war es so, dass dieses bekannte Nahtod-Muster gar nicht bekannt war, weil eben dieser Themenkomplex der religiösen Erfahrung, der individuellen Erfahrungen des Spirituellen, des Esoterischen, aus dem gesellschaftlichen Diskurs bekanntermaßen ausgeschlossen war", erklärt Schmied-Knittel. "Es passte einfach nicht in das Weltbild des Marxismus-Leninismus."
Die Frage nach dem Ende des Bewusstseins
Sind Nahtod-Erfahrungen am Ende also nicht mehr als kleine, durch unsere Lebensrealität geprägte Halluzinationen, die unser Gehirn uns in unseren letzten Momenten vorspielt? Nun, sagt Ina Schmied-Knittel, zumindest "teilen uns Nahtod-Erfahrungen sehr viel mehr über unser Diesseits mit als über ein möglicherweise vermeintliches Jenseits".
Jedoch, so Schmied-Knittel weiter, seien diese Erfahrungen ein ernstzunehmendes Phänomen, das von der Wissenschaft nicht als Humbug abgetan werden solle: "Da geht es auch darum, dass man auch Hoffnungen in dieses Phänomen setzt, beispielsweise was die Kognitions- und Neurowissenschaften, die Bewusstseinsforschung, betrifft."
Die Frage nach dem Bewusstsein ist vielleicht der Kern, wenn es um Nahtod-Erfahrungen und Mutmaßungen über ein Leben nach dem Tod geht: Wie und wann hört unser Bewusstsein auf zu existieren?
Für Christian Hoppe, Neuropsychologe an der Universitätsklinik für Epileptologie in Bonn, ist die Antwort ganz einfach: "Alle psychischen Funktionen beim Menschen und bei den Tieren hängen von Hirnfunktionen ab. Zu jedem Zeitpunkt und ausnahmslos." Also: Gehirn tot – Bewusstsein vorbei, so der Stand der Hirnforschung.
"Die Person war nie tot"
Also doch alles nur Unsinn, die Berichte vom Licht am Ende des Tunnels, vom Gefühl der Seele, die auf Reisen geht? Christian Hoppe wird ein wenig lauter. "Es ist völlig unbestritten, dass es Nahtod-Erlebnisse gibt. Zu glauben, dass die Personen sich irgendwas ausgedacht haben, um sich wichtig zu machen, das vertritt ernsthaft niemand in der Wissenschaft. Die Berichte werden für glaubwürdig erachtet."
Doch wie passt das zusammen damit, dass nach dem Tod unseres Gehirns doch nichts mehr passieren kann? Ganz einfach, sagt Hoppe: "Zwei Punkte können wir festhalten. Die Berichte sind glaubwürdig. Das, was berichtet wird, wurde erlebt. Und zweitens: Die Person war nie tot."
Wie das Gehirn sich seinen Film zusammenschneidet
Bereits wenige Minuten, nachdem es nicht mehr mit Blut und Sauerstoff versorgt wird, stellt unser Gehirn seine Funktionen schrittweise ein. Doch die moderne Medizin ermöglicht es immer häufiger, Menschen kurz vor der kritischen Schwelle zurückzuholen, etwa durch Beatmung und Herzdruckmassage. Und in diesen kritischen Momenten, erklärt Hoppe, funkt das Gehirn noch weiter, kann Eindrücke aufnehmen und verarbeiten – und diese dann nachträglich eben als Nahtod-Erlebnis interpretieren.
Wenn Menschen etwa berichten, sie hätten, obwohl sie schon tot gewesen seien, noch gehört, was im OP-Saal oder im Schockraum besprochen wurde – dann seien das oft einfach ganz normale Eindrücke, die das noch lebende Gehirn aufgenommen habe.
Hinzu komme: "Es gibt auch bestimmte Vorstellungen, die man vielleicht hat, zum Beispiel: Ich hatte jetzt gerade einen Unfall. Und jetzt wird wahrscheinlich meine Familie zusammenkommen, und ich weiß genau, was jetzt meine Mutter sagen wird in der Situation und so weiter. Und manches davon wird vielleicht sogar zutreffen, dass es tatsächlich genauso abläuft." Diese 'Auto-Vervollständigung' würden dann manche Nahtod-Erfahrene interpretieren als: Ich war schon tot, aber meine Seele konnte weiter erleben, was um mich herum passierte.
Wie Außerkörperlichkeits-Erfahrungen entstehen
Das Bild, dass die Seele nach dem Tod den Körper verlässt und entschwebt, klingt nicht nur romantisch, es wird auch häufig von Nahtod-Erfahrenen berichtet. Man sei quasi unter der Decke geschwebt, habe sich selbst und das Geschehen von oben beobachtet. Für einige Menschen ist das der Beweis: Die Seele, der Geist, das Bewusstsein trennt sich vom Körper und lebt weiter. Christian Hoppe wiegt den Kopf. "Dieses Erlebnis kann man am besten experimentell untersuchen und wir kennen es auch aus anderen Zusammenhängen. Es kann zum Beispiel als Symptom auftreten bei den seltenen Epilepsien, die aus dem Scheitellappen kommen. Da werden Außerkörperlichkeits-Erlebnisse als Symptome eines epileptischen Anfalls berichtet."
Was genau im Gehirn passieren muss, damit man sich selbst von außen sieht und meint, über dem Geschehen zu schweben, erklärt Hoppe so: Ein bestimmter Bereich in unserem Gehirn ist dafür zuständig, das Sehen, den Lagesinn und die Wahrnehmung unseres Körpers miteinander zu koordinieren. Er sorgt dafür, dass wir die Welt 'aus unserem Kopf heraus' sehen, aus unserer stehenden / sitzenden / liegenden Ich-Perspektive.
Wenn dieser Hirn-Bereich nun gezielt gestört wird, etwa mit Hilfe elektrischer Impulse, funktioniert diese Verarbeitung des Gesehenen in eine Ich-Perspektive nicht mehr. Als 'Ersatz' sucht sich das Gehirn dann einen anderen Weg, das, was es von den Augen an Infos bekommt, zu integrieren – und wechselt in eine Außenperspektive, eine Art Film also, bei dem wir uns selbst zuschauen können. Das wäre eine mögliche Erklärung für die sogenannten Out-of-Body-Experiences.
Wie ein Beweis für 'fliegende' Seelen aussehen könnte
Auch darüber hinaus hat es bereits verschiedene experimentelle Settings gegeben, um der Außerkörperlichkeits-Erfahrung auf die Schliche zu kommen. Dazu gehört etwa eine Untersuchung des britisch-US-amerikanischen Kardiologen und Intensivmediziners Sam Parnia: Für seine sogenannte AWAREness-Studie ließ er Intensivstationen in 15 Klinken mit Displays ausstatten. Diese Displays zeigten zufallsgenerierte Bilder und Symbole – und waren aber so angebracht, dass man sie nur aus erhöhter Position sehen konnte, etwa von der Zimmerdecke aus. Parnias Idee: Wenn jemand wirklich seinen Körper verlassen würde bei einem Nahtod-Erlebnis, müsste er hinterher von diesen versteckten Bildern berichten können. Dies war aber nie der Fall.
Die Wissenschaft muss offenbleiben
Offene Fragen gibt es dennoch. Etwa die, warum mitunter auch von Geburt an blinde Menschen visuelle Nahtod-Erlebnisse berichten, was aus Sicht der Hirnforschung eigentlich als unwahrscheinlich gilt. Oder warum Menschen an der Schwelle zum Tod plötzlich verstorbene Angehörige sehen, die sie "abholen" in eine andere Welt – manchmal sogar welche, von denen sie noch gar nicht wissen konnten, dass sie tot sind.
Christian Hoppe ist skeptisch. "Bisher ist es so, dass die Qualität dieser Berichte manchmal zu wünschen übrig lässt." Er wolle jedoch absolut niemandem seine Erlebnisse absprechen. "Wir haben keine Eins-zu-eins-Möglichkeit, wissenschaftlich zu beweisen, dass es nach dem Tod zu irgendwelchen Erlebnissen kommt. Das heißt aber nicht, dass man für sich selbst nicht einen Glauben, eine Hoffnung haben darf."
Und doch zeigt sich Hoppe – ganz im Sinne der Wissenschaft – ergebnisoffen: "Ich würde nicht ausschließen, dass wir irgendwann Phänomene auf einem Niveau dokumentieren, was wissenschaftlich dann wirklich zu einer Revision von wichtigen Überzeugungen führt. Dass man dann auf Basis von Nahtod-Erfahrungen weiß: Wir müssen über manche Dinge anders nachdenken."
Links/Studien
Knoblauch, Huber: Berichte aus dem Jenseits, Herder (1999)
Parnia, Sam et al.: AWAreness during REsuscitation – II: A multi-center study of consciousness and awareness in cardiac arrest, Resuscitation (2023)
Schmied-Knittel, Ina: "Der Tod, mein schönstes Erlebnis". Individuelle und gesellschaftliche Bedeutungszuschreibungen von Nahtoderfahrungen, Universitätsverlag Kiel (2022)
Schmied-Knittel, Ina: Jenseits der Grenze. Todesnäheerfahrungen in Ost- und Westdeutschland, Leske + Budrich (2000)
Dieses Thema im Programm: MDR+ | Meine Challenge | 06. Dezember 2024 | 12:00 Uhr
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