Detailaufnahme: Aufgestelltes Vermessungsgerät, im Hintergrund abgesackter Teil der Carolabrücke mit hängenden Straßenbahnschienen, dahinter Elbufer 1 min
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Nach dem Teileinsturz der Carolabrücke "Die Branche wird sich mit diesem Fall intensiv befassen müssen"

13. September 2024, 11:04 Uhr

Der Einsturz der Carolabrücke ist eine absolute Ausnahme in Deutschland. Und gerade das macht den Fall so außergewöhnlich. Fest steht: Nicht nur die Stadt Dresden schaut bei ihren Brücken jetzt genauer hin, sondern die ganze Branche, die mit Bau und Prüfung befasst ist. Das sagt der Diplom-Ingenieur Joachim Fallert, der dreißig Jahre Erfahrung im Brückenbau vorzuweisen hat. Er sagt auch: Es muss nicht immer der Neubau sein, wenn man seine Brücke so lieb hat wie sein Auto.

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Herr Fallert, über marode Brücken wird in Deutschland immer dann besonders heftig diskutiert, wenn es wieder irgendwo zu spät war. Auch nach dem Einsturz in Genua ist das Thema nach vorn gerutscht, das Institut der deutschen Wirtschaft hat damals bereits von einer ernsten Lage gesprochen. Sechs Jahre später ist abermals vom Investitionsstau die Rede, sogar von fünf nach zwölf. Entschuldigen Sie die saloppe Frage, aber sind Brücken in Deutschland eine Gefahr für die Öffentlichkeit?

Joachim Fallert: Das würde ich ohne mit der Wimper zu zucken verneinen. Wir haben viele Brücken in Deutschland. Allein das Schienenverkehrsnetz der Deutschen Bahn ist das größte in Europa. Und bei den meisten Brücken, über die wir gehen oder fahren, wissen wir gar nicht, dass wir da über eine Brücke gehen oder gefahren sind, weil wir die gar nicht sehen. Jetzt muss man auch zur Sachlichkeit hinzufügen, dass der Einsturz von Brücken in Deutschland nichts Gewöhnliches ist. In dem Ausmaß ist die Carolabrücke die erste Brücke, die ich erlebe, die einstürzt. Weltweit gibt es das natürlich schon, die Vorschriften zur Prüfung und auch zur Qualität von Brücken, sind weltweit sehr unterschiedlich. Wir haben in Deutschland ein sehr engmaschiges Prüfungsnetz und da gehört der Brückeneinsturz nicht zur Normalität. Natürlich wird immer dann häufig diskutiert, wenn was passiert ist, aber das liegt ja in der Natur der Sache.

Nun ist häufig zu beobachten, dass eine Erneuerung von Brücken oft mit der Abrissbirne gleichzusetzen ist: Das alte Ding muss weg, ein neues Ding muss her. Ja braucht es denn immer gleich den zeitaufwendigen und ressourcenintensiven Neubau?

Detailaufnahme: Aufgestelltes Vermessungsgerät, im Hintergrund abgesackter Teil der Carolabrücke mit hängenden Straßenbahnschienen, dahinter Elbufer
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Da bin ich der Meinung, dass es nicht sein muss. Viele Brücken sind – zu der Zeit, wo sie gebaut wurden – für andere, geringere Belastungen gebaut worden. Das beeinträchtigt natürlich Brücken, die dann gewisse Ermüdungserscheinungen zeigen. Man muss ihnen, wie bei seinem eigenen Kfz, auch regelmäßige Wartung angedeihen lassen. Und da sehe ich den Hauptfaktor für zahlreiche Neubauten, dass viele Sanierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen aus vermeintlich kurzfristigen Kostensparzwängen verschoben werden. Und irgendwann gibt es eben nichts mehr zu sanieren. Da hilft dann nur noch der Neubau. Aber wie bei seinem eigenen Auto ist man manchmal nicht bereit, wirklich jährlich in eine gute Wartung zu investieren, sondern meint vielleicht, es würde reichen, wenn man es auf das nächste oder das übernächste Jahr verschiebt. Und das ist natürlich schlecht.

Wie beim eigenen Auto ist man manchmal nicht bereit, wirklich jährlich in eine gute Wartung zu investieren.

Dipl.-Ing. Joachim Fallert

Forschung der HTWK in Leipzig hat vor ein paar Jahren eine pfiffige Stabilisierungslösung aus Kohlenstofffasern präsentiert, woraufhin auch international die Ohren gespitzt wurden. Zu dem Zeitpunkt brauchte es für dieses Carbon-Korsett in Deutschland aber noch Einzelfallzulassung. Hat sich da was bewegt?

Da muss ich ehrlich sagen, das ist mir neu. Es ist, soweit ich weiß, auch nicht in irgendwelchen DIN-Normen geregelt. Ich glaube auch nicht, dass es bei der aktuellen Einsturzursache etwas gebracht hätte. Es geht ja um eine Spannbetonbrücke, das heißt, da liegen die Spannglieder im Inneren der Brücke, die offensichtlich gerissen sind, durch Korrosion, durch Spannungsrisse. Und da hätte ein Korsett nichts geholfen. Welche Ursache verantwortlich dafür war, dass diese Spannglieder versagt haben, das weiß man noch nicht. Es gibt aus der DDR auch bestimmte Spannstähle, die bekannt dafür sind, dass sie im Alter Schwierigkeiten machen. Ob es sich um einen solchen gehandelt hat, ist mir noch nicht bekannt.

Also sind wir erstmal machtlos?

Moderne Konstruktionen, die bezahlbar sind, haben einen gewissen Wartungsaufwand im Gegensatz zu älteren Bauwerken. Es gibt Viadukte aus der Römerzeit, die stehen 2.000 Jahre ohne Probleme. Aber selbst bei alten Bauwerken muss man immer wieder dafür sorgen, dass eben Feuchtigkeit nicht in den Kern vordringt. Und so ist es bei Betonbrücken auch, egal ob es eine Stahlbetonbrücke oder eine Spannbetonbrücke ist. Also Risse müssen geschlossen werden, Ströme von Tausalz müssen so weit wie möglich unterbunden werden. Der Beton schützt eigentlich den Bewehrungsstahl, der im Innern liegt, sehr zuverlässig. Aber wenn man die Wartung zu lange aufschiebt, dann bilden sich eben Risse, die Kapillare haben, die weit ins Innere reichen. Und je länger man dann mit einer Sanierung wartet, also mit dem Verschließen von solchen Rissen, umso dramatischer kann sich der Alterungsfortschritt im Innern abspielen. Und hineinschauen kann man in eine Betonbrücke eigentlich nicht. Man kommt an manche Stellen einfach nicht ran, zum Beispiel, weil eine Fahrbahn drauf liegt. Da kann man nicht die ganze Straße aufreißen, um den Beton zu prüfen. Das wird punktuell schon gemacht, wenn man weiß, dass es da ein Problem gibt. Aber jetzt im regelmäßigen Prüfrhythmus kann man das nicht realisieren.

Ansicht von Fluss aus: Carolabrücke mit abgesacktem Teil im Wasser, im Hintergrund abendliche Altstadt mit farbig glänzenden Lichtern, die sich teilweise im Wasser spiegeln.
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Sie sagen, wenn ein Problem bekannt ist, schaut man auch mal genauer hin. Vor dem Einsturz der Morandi-Brücke in Genua 2018 war bereits seit vier Jahren bekannt, dass die Brücke sanierungsbedürftig und einsturzgefährdet ist. Da hat man also eher genauer weg- statt hingeschaut.

Ich kenne derartige Sichtweisen aus Deutschland nicht. Es sind mir alle, die mit Brückenprüfung befasst sind, als sehr sorgfältig bekannt. Selbst bei den Zuständigen auf den Bauämtern habe ich nie persönlich erlebt, dass die leichtfertig über sowas urteilen. Aber es gibt Sachzwänge, die haushaltstechnisch begründet sind, und dann wird eine Sanierung vielleicht auch mal ein Jahr verschoben, was aber jetzt für die Sicherheit erst mal kein riesiges Problem darstellt. Nur immer wieder verschieben geht natürlich nicht.

Es sind mir alle, die mit Brückenprüfung befasst sind, als sehr sorgfältig bekannt.

Dipl.-Ing. Joachim Fallert

In einem Tweet schreiben Sie, der Einsturz der Carolabrücke werde die Branche ganz schön aufmischen. Warum denn bloß?

Das wird mit Sicherheit Auswirkungen auf jeden haben, der mit Brückenprüfung befasst ist. Es wird auf jeden Auswirkungen haben, der sich auf Bauämtern mit dieser Verantwortung befasst. Das wird aus meiner Sicht für zusätzliche Sicherheit sorgen. Und es wird am Ende, je nach Ursache dieses Brückeneinsturzes, auch Auswirkungen haben auf Vorschriften, auf Prüfzyklen, auf den Prüfumfang. Vielleicht wird es auch einen gewissen Push geben, was bestimmte Prüfmethoden betrifft. Da sind die Normen ja auch manchmal eher träge. Da wird nicht immer der Stand der Technik abgebildet, sondern eher nach ein paar Jahren Forschung wird sowas vielleicht erst in die DIN aufgenommen. Das kann da schon zu einer Beschleunigung führen. Also die Branche wird sich mit diesem Fall intensiv befassen müssen und auch für Veränderungen wird gesorgt werden, da bin ich sicher. Aber am Ende wird es sicherer.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 12. September 2024 | 19:30 Uhr

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