Eine Semaglutid Spritze liegt auf einem Teller
Bildrechte: IMAGO / Ulrich Roth

Der Redakteur | 09.11.2023 Ein Mangel, viele Ursachen - der Ärger mit den fehlenden Diabetes-Medikamenten

09. November 2023, 19:13 Uhr

Antibiotika, Schmerzmittel, Diabetes-Medikamente - die Liste ließe sich fortsetzen. Nicht ganz so lang ist die Liste der Ursachen. Und die Liste der Schuldigen enthält einige Überraschungen. Eine Recherche unseres Redakteurs für Hörerfragen. Sie fragen - wir antworten.

Wenn Antibiotika oder Schmerzmittel fehlen, sind es oft Probleme in den Lieferketten. Weil wir über Jahrzehnte unsere Produktionsstrecken ins billige Ausland verlegt haben, sind ungünstige Abhängigkeiten entstanden. Die Billigmentalität ist ein generelles Problem in unserer Gesellschaft und hat nicht nur die Arzneimittel-Hersteller erfasst. Aktuell wird die Uhr zurückgedreht und in der EU werden wieder Produktionskapazitäten aufgebaut. Das braucht aber Zeit und ist auch nur "so einfach" möglich bei Medikamenten, die keinen Patentschutz mehr haben. Also bei den Schmerzmittelklassikern oder vielen Antibiotika.

Etwas anders ist die Sachlage bei neuen Medikamenten, wie bei der segensreiche Gruppe der Diabetes-Spritzen. Segensreich deshalb, weil eine Dosis pro Woche ausreicht. Die haben noch Patentschutz und sind rar und dürfen nicht einfach nachgemacht werden. Dabei sind die aktuellen Lieferengpässe hausgemacht oder besser gesagt "netzgemacht", zum Beispiel unter dem Hashtag (#) Ozempic. Auf Empfehlung der Tiktok-, Instagram- und Facebook-Gemeinden werden diese Medikamente als Abnehmspritze gepriesen und wegen der so entstandenen hohen Nachfrage kommt es zu Engpässen. Im Ergebnis steigen die Preise und wer liefern kann, wird dorthin liefern, wo die besten Preise zu erzielen sind.

In den USA ist das Medikament teilweise zehnmal teurer als in Deutschland.

Stefan Fink, Vorsitzender Thüringer Apothekerverband

Wissenschaftlich ist das mit dem Abnehmen sogar haltbar. Eigentlich sollen die Diabetes-Medikamente zwar den Blutzuckerspiegel senken, haben aber tatsächlich den Nebeneffekt, dass auch die Pfunde purzeln. Solche Dinge gibt es immer wieder, dass plötzlich eine "Nebenwirkung" zur Hauptanwendung wird. Der Viagra-Wirkstoff war eigentlich als Mittel gegen Bluthochdruck gedacht. Wer weiß das heute schon noch.

Woher kam der Hype mit Ozempic?

Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) beschäftigt sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft auch mit dem Thema Diabetes und beobachtet mit Sorge diesen Trend. Als gesundheitsbewusster Mensch könnte man durchaus auf andere Abnehm-Ideen kommen und Medikamente den wirklich Kranken überlassen. Aber wenn das Netz geflutet wird, lassen sich viele mitreißen.

In den USA wird das verschreibungspflichtige Diabetesmedikament Ozempic® sehr stark ohne Zulassung zur Gewichtsreduktion verwendet; auch weil viele Prominente wie Elon Musk das stark bewerben. Alleine der Hashtag #Ozempic wurde 350 Millionen Mal in Sozialen Medien geteilt.

Veröffentlichung der Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) 2022

Die 350 Millionen sind der Stand von 2022, das hat sich seit dem mehr als verdoppelt, zeigen Daten von Analyse-Plattformen. Auf Tiktok ist #Ozempic der am häufigsten verwendete Hashtag in der Kategorie "Gesundheit und Fitness". Eine ziemlich kranke Entwicklung eigentlich und Arzt oder Apotheker werden erst gar nicht gefragt. Während bei den Corona-Impfungen die Nebenwirkungen geradezu gesucht und social-medial aufgeblasen wurden, sind die Nebenwirkungen von Ozempic & Co. offensichtlich kein Thema. Die da wären: Übelkeit und Erbrechen, Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse und Gallenblase und ein in Tierversuchen festgestelltes potenziell erhöhtes Risiko für bestimmte Schilddrüsenkrebsarten. Warum der Hype diese Ausmaße angenommen hat, ist unklar, das Apotheken-Fachmagazin "PTAheute" schrieb aber, dass es Hinweise gäbe, dass ein Hersteller durch gezielte Aktionen zur Nachfragesteigerung beigetragen haben könnte.

Wie kann es sein, dass mit Medikamenten Profit gemacht wird?

Innovationen fallen nicht vom Himmel. Sie sind das Ergebnis oft jahrzehntelanger Forschungen, die Millionen oder gar Milliarden verschlingen. Deshalb gibt es in den ersten Jahren Patentschutz für neue Medikamente. Dann bestimmt nicht der Markt den Preis, sondern erstmal der Hersteller, weil er nämlich quasi ein Monopol hat. Das wird etwas aufgeweicht, wenn es ähnliche Medikamente von anderen Herstellern gibt, die eine vergleichbare Wirkung haben. Man kann das mit dem Profit kritisieren, aber die Menschheit ist in der Vergangenheit technologisch vor allem dann vorangekommen, wenn jemand eine Idee hatte und dann auch jemand den Mut und auch das Geld, daraus ein Produkt zu machen. Visionäre alleine reichen nicht aus.

Packung des Diabetes Medikaments Ozempic.
Eigentlich richtet sich das Medikament Ozempic an Diabetiker. Es wird aber auch als "Abnehmspritze" genutzt. Bildrechte: IMAGO/Remko de Waal

Gerade Grundlagenforschung ist teuer und langwierig und muss nicht zwingend zum Erfolg führen. Das aktuelle Beispiel sind die mRNA-Impfungen. Jahrzehntelang dümpelten die Forschungen vor sich hin, es fehlten die Gelder vor allem für die teuren Studien, bis Corona kam und die Not so groß war, dass Investoren und Staaten die Mittel bereitstellten. Am Ende können von diesem Schub auch Krebspatienten profitieren, wenn mit Hilfe einer Impfung die Krebserkrankung gezielt bekämpft werden kann, ohne große Operation und Chemotherapie mit all ihren Risiken. Ähnliche Entwicklungen gibt es bei den Gentherapien.

Vereinfacht gesprochen, wenn eine genetische Disposition schuld daran ist, dass jemand an einer Erkrankung leidet, dann wäre es natürlich nur logisch, wenn die Ursache beseitigt werden könnte, also der Genabschnitt "repariert" wird. Das geht bestenfalls in Richtung Einmaltherapie: Eine Spritze und das Leiden ist vorbei. Denn machen wir uns nichts vor: Viele Medikamente setzen bei den Symptomen an oder den Folgeerscheinungen, senken Blutdruck oder Blutzucker oder nehmen den Schmerz, aber das kann ja nur die zweitbeste Idee sein.

Warum entwickeln und produzieren wir nicht alles in Deutschland und der EU?

Es ist eine naive Vorstellung, unsere Innovations- und Produktionskraft würde für alle Mittelchen reichen, die wir brauchen. Für einen Markt wie Deutschland mit - bezogen auf die jeweilige Krankheit - vielleicht wenigen Tausend Betroffenen fehlen am Ende ganz banal schon die Probanden für die essentiell nötigen Studien. Abgesehen davon, dass die Forschungs- und Produktionskapazitäten gar nicht da wären und die Fachkräfte auch nicht. Nicht einmal wir als EU-Gemeinschaft wären in der Lage, das alleine zu stemmen, da ist sich Apotheker Stefan Fink sicher. Das geht nur weltweit oder in wirklich großen Märkten.

Damit sind wir aber eben wieder bei den Märkten, die es richten müssen. Die jeweilige Politik kann allenfalls die Rahmenbedingungen schaffen - und trotzdem wird die von vielen Patienten zum Hauptschuldigen erklärt. Das bekommen die Apotheker oft zu hören, sagt Stefan Fink. Manche erzählen das möglicherweise sogar mehreren Apothekern, weil sie sich nämlich bei verschiedenen Ärzten Rezepte geholt haben und die gewissenhaft auf mehrere Apotheken verteilen.

Das heißt, es wird hier gehortet zum Teil, was die Gesamtsituation noch einmal verschärft.

Stefan Fink, Vorsitzender Thüringer Apothekerverband

Ein solches Vorgehen hat uns gerade erst beim Klopapier in Schwierigkeiten gebracht.

Der Redakteur - Sie fragen, wir antworten Täglich beantwortet "Der Redakteur" Fragen, die Ihnen auf den Nägeln brennen. Unser Redakteur Thomas Becker recherchiert und hält Sie im Programm von MDR THÜRINGEN auf dem Laufenden darüber, wer als Ansprechpartner zur Verfügung steht, welche Experten oder Verantwortlichen hilfsbereit sind und wer sich um eine klare Antwort drückt. Auch Hörerhinweise zu den Fragen sind herzlich willkommen.

MDR (thk)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 09. November 2023 | 16:40 Uhr

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