FAQ Abnehmspritze Wegovy: Was Sie über Semaglutid wissen müssen

04. August 2023, 16:57 Uhr

In den USA haben Prominente einen regelrechten Hype um das Medikament ausgelöst, jetzt gibt es die Abnehmspritze Wegovy auch auf dem deutschen Markt. Allerdings ist das Medikament, das die Pfunde purzeln lässt, nicht für alle Abnehmwilligen zu bekommen. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA untersucht zudem derzeit mögliche schwerwiegende Nebenwirkungen. In der Forschung geht es schon längst um die nächste Generation solcher Medikamente, die noch viel effektiver sein sollen.

Update 12.12.2023:

  • Das Medikament Wegovy ist für viele krankhaft übergewichtige Menschen eine echte Hoffnung, um leichter abnehmen zu können. Aber ist der Hype um das Präparat einzig seiner Wirkung zu verdanken? Oder hat der Hersteller nachgeholfen und haben nun einige Mediziner einen Interessenkonflikt, der ein Problem darstellt? Unsere große Hintergrundrecherche:

Was ist eigentlich Wegovy?

Wegovy ist ein Medikament des dänischen Pharma-Unternehmens Novo Nordisk. Es enthält den Wirkstoff Semaglutid, der bei Menschen mit starkem Übergewicht das Abnehmen fördert. Das Medikament muss einmal wöchentlich unter die Haut gespritzt werden. Bei Menschen mit Adipositas ohne zusätzliche Diabetes-Erkrankung kann die Wegovy-Therapie zu einer Gewichtsreduktion um 15 Prozent binnen 18 Monaten führen.

Wie wirkt Wegovy und was unterscheidet es von Ozempic?

Im Prinzip steigert Wegovy das Sättigungsgefühl, wodurch die zugeführten Kalorien reduziert werden, da die Patientinnen und Patienten schlichtweg weniger Hunger und Appetit haben. Dafür sorgt der Wirkstoff Semaglutid. Das ist ein sogenannter GLP-1-Rezeptoragonist. Es wirkt auf die gleiche Weise wie das Darm-Hormon GLP-1: Es erhöht die Insulinmenge, die die Bauchspeicheldrüse als Reaktion auf die Nahrungsaufnahme freisetzt. Und das wiederum hilft bei der Kontrolle des Blutzuckerspiegels.

Das Sättigungsgefühl steigert Semaglutid, weil es im Gehirn bestimmte neuronale Regelkreise aktiviert, die für die Hunger-Regulation zuständig sind. Doch um diesen Effekt zu erreichen, muss der Wirkstoff etwas höher dosiert sein. Für die Diabetes-Behandlung gibt es deshalb das niedriger dosierte Mittel Ozempic, das vor allem auf die Regulierung der Insulinproduktion zielt.

Wem kann das Medikament Wegovy helfen?

Wegovy ist von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zur Behandlung von Adipositas zugelassen. Konkret heißt das also, alle Menschen mit einem BMI über 30 können die Therapie verordnet bekommen. Zusätzlich ist sie auch für Personen mit einem BMI über 27 mit gewichtsinduzierten Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck zugelassen. Bevor Wegovy verschrieben werden kann, müssen Betroffene jedoch konservative Therapiemaßnahmen gemacht haben – so wie etwa Ernährungsberatung, Bewegungs- und Verhaltenstherapie. Die Abnehmspritze ist also eher für diejenigen vorgesehen, bei denen bisher gar nichts funktioniert hat.

Adipositas
Ab einem BMI von 30 spricht man von Adipositas. Bildrechte: Colourbox.de

Die Abnehm-Spritze ist rezeptpflichtig und muss von einem Arzt verschrieben werden. Pharmazeuten und Mediziner warnen davor, Wegovy als Lifestyle-Medikament zur Gewichtsabnahme zu nutzen und auch der Hersteller des Medikaments bittet darum, Wegovy "verantwortungsvoll zu verschreiben".

Pharma-Forscher Timo Müller vom Helmholtz-Zentrum München weist außerdem darauf hin, dass bei Menschen mit einem BMI von unter 27 ohnehin keine so große Abnahme mehr zu verzeichnen sei. Prinzipiell funktioniere es aber – allerdings auch nur bis zu einem gewissen Punkt. In Maus-Studien lasse sich sehr gut nachweisen, dass der Gewichtsverlust umso größer ist, je mehr Fettmasse die Nagetiere hätten. Andersherum sei es so, dass der Gewichtsverlust stark nachlasse, je weniger Körperfett das Tier habe. Bei Tieren mit Normalgewicht passiere fast gar nichts. "Der Effekt auf den Blutzucker funktioniert eigentlich nur unter Bedingungen, wo der Blutzucker erhöht ist", so Müller.

Semaglutid: Was kostet die Spritze?

Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für die Abnehm-Spritze auch mit einem Rezept noch nicht. Denn Medikamente zur Gewichtsreduktion schließt der Gesetzgeber bisher von der Erstattung aus. Da Adipositas aber seit 2020 offiziell vom Deutschen Bundestag als Krankheit anerkannt ist, könnte sich das künftig noch ändern.

Übergewichtiger Mann schneidet Gemüse in einer Küche.
Wird die Abnehmspritze von einer geänderten Lebensweise begleitet, können Kilos dauerhaft verschwinden. Bildrechte: UCONN RUDD CENTER

Der Apothekenabgabepreis für die Anfangsdosis für die ersten vier Wochen der Behandlung soll sich auf 171,92 Euro belaufen. Für die höchste Erhaltungsdosis von 2,4 mg Semaglutid, die dann einmal wöchentlich gespritzt wird, betrage der Abgabepreis für vier Wochen 301,91 Euro, heißt es vom Hersteller. Das bedeute, dass die Therapie im Monat knapp 328 Euro kosten werde.

Der deutsche Preis liegt damit deutlich unter dem in den USA. Dort hat Wegovy einen Listenpreis von 1.350 Dollar (rund 1.202 Euro) im Monat für die höchste Dosis.

Welche Nebenwirkungen hat die Abnehmspritze?

Wie jedes Medikament hat auch Wegovy Nebenwirkungen. Das Mittel war zuletzt in die Schlagzeilen geraten, weil der Sicherheitsausschuss der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA die Abnehmspritze sogar wegen möglicher schwerer Nebenwirkungen prüft. Kontrolliert würden Daten über das Risiko von Suizidgedanken und Gedanken an Selbstverletzung. Das Verfahren betreffe nach EMA-Angaben nicht nur Wegovy, sondern auch Ozempic und Saxenda mit dem Wirkstoff Liraglutid. Alle sind GLP-1-Rezeptor-Agonisten.

Eine Studie aus den USA stellt im Januar 2024 wiederum keinen Zusammenhang zwischen GLP-1-Rezeptor-Agonisten und Suzidgedanken her. "Die Daten stützen nicht die Befürchtung, dass Semaglutid die Suizidalität erhöht," sagt Nora Volkow vom Nationalen Institut gegen Drogenmissbrauch in den USA. Um tatsächlich Entwarnung zu geben, reichen die Ergebnisse allerdings nicht aus. Weitere epidemiologische Studien seien nötig, so das Fazit der Forschenden.

Wann wird zur Vorsicht mit dem Semglutid-Präparaten gemahnt?

Im Fall von Personen mit Typ-2-Diabetes hat die EMA außerdem vor der Gefahr von Schilddrüsenkrebs im Zusammenhang mit der Einnahme von Semaglutid-Präparaten gewarnt. Ein Sprecher erklärte Ende Juni, dass es in einer Studie Anzeichen gebe, die darauf hindeuteten, dass bei der Einnahme ein erhöhtes Risiko bestehen könnte. Die Hersteller wurden beauftragt, das zu untersuchen und entsprechende Daten zum Zusammenhang von Semaglutid und Schilddrüsenkrebs zu liefern. In Tierversuchen mit Nagetieren war bereits beobachtet worden, dass Wegovy Schilddrüsentumore verursachen kann. Das steht auch auf dem Beipackzettel.

Weitere bekannte Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Außerdem gibt es ein Risiko für Gallensteine. Seltener ist auch eine erhöhte Herzfrequenz oder eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse möglich. Über mögliche Langzeitfolgen ist bisher noch nichts bekannt. Eine Studie der University of British Columbia kommt anhand der Krankenkassenunterlagen von 16 Millionen Patienten zu dem Ergebnis, dass GLP-1-Rezeptor-Agonisten bei einer Therapie zum Abnehmen (nicht als Diabetes-Medikament) mit schweren Erkrankungen im Magen-Dark-Trakt verbunden ist. Im Vergleich zu einem anderen Abnehmpräparat stellen die Forschenden ein über neun Mal höheres Risiko für Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung), ein rund vier Mal höheres Risiko für Darmverschluss sowie ein 3,6 Mal höheres Risiko für Gastroparese (Magenlähmung) fest.

Wie nachhaltig ist die Wegovy-Therapie?

Die Idee, dass eine Spritze pro Woche zum Abnehmen reicht, ist verlockend. Doch die Adipositas-Therapie mit Wegovy ist tatsächlich komplexer. Das Mittel allein sorgt nämlich nicht für eine nachhaltige Abnahme. Klinische Studien zeigen, dass die Patientinnen und Patienten zwar über die Behandlungszeit von eineinhalb Jahren kontinuierlich abnahmen. Wurde die Spritze dann aber abgesetzt, nahmen sie aber auch sukzessive wieder zu, so Dr. Timo Müller vom Institut für Diabetes und Adipositas am Helmholtz Zentrum München.

Ein kräftiges Mädchen bei einer Bauchmuskel-Übung auf einer Sportmatte
Wer seine Gewohnheiten nicht ändert, bleibt auch mit Abnehmspritze nicht dauerhaft schlanker. Bildrechte: Colourbox.de

Die Abnehm-Spritze wird deshalb im Behandlungsalltag von einer Verhaltenstherapie begleitet, heißt es aus den Adipositas-Zentren. Wenn Betroffene es im Verlauf der Therapie schaffen, ihren Lebensstil nachhaltig zu ändern, schaffen sie es auch das reduzierte Gewicht zu halten. In einer Verhaltenstherapie lernen die Patientinnen und Patienten unter anderem ihre Ernährung zu beobachten und zu bewerten und das Ernährungsverhalten zu ändern.

Warum gibt es Kritik am Hersteller Novo Nordisk?

Das Pharma-Unternehmen Novo Nordisk ist wegen fehlender Transparenz in seinen Geschäftspraktiken in die Kritik geraten. Unter anderem hat der Verband der britischen Pharmaindustrie (Association of the British Pharmaceutical Industry, ABPI) Novo Nordisk im März wegen schwerwiegender Verstöße suspendiert, weil das Unternehmen die pharmazeutische Industrie durch unzulässige Werbung in Misskredit gebracht habe. Wie der Guardian berichtete, soll Novo Nordisk in Großbritannien einen anderen ihrer GLP-1-Rezeptoragonisten – das Medikament Saxenda, das ebenfalls zur Gewichtsreduktion zugelassen ist – mit unlauteren Mitteln beworben haben. So sollen bei speziellen Online-Trainingskursen Sponsorings nicht offengelegt worden sein. Außerdem sei nicht auf Risiken des Medikaments hingewiesen worden.

Packung des Diabetes Medikaments Ozempic.
Auch beim Diabetes-Medikament Ozempic von Novo Nordisk gibt es wegen des Hypes Lieferengpässe. Bildrechte: IMAGO/Remko de Waal

Kritiker haben Novo Nordisk zuletzt wiederholt vorgeworfen, den Hype um die Abnehmspritze in der Öffentlichkeit und insbesondere in den Sozialen Netzwerken selbst befeuert zu haben. Seit Monaten gibt es Lieferengpässe. Das Unternehmen verweist immer wieder auf eine unerwartet gestiegene Nachfrage, aber so unerwartet wie behauptet könnte die gar nicht sein. Denn Novo Nordisk soll offenbar gezielt Zahlungen an sogenannte "Key Opinion Leaders" – also Influencer – geleistet haben. Deshalb gebe es auch erneut Kritik wegen fehlender Transparenz bei der Bewerbung der Semaglutid-Medikamente (Ozempic und Wegovy), schreibt der führende deutsche Experte Helmut Schatz von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie in einem Blog. Rund 25 Millionen Euro soll Novo Nordisk an Influencer gezahlt haben, damit sie Semaglutid als "Gamechanger" beim Abnehmen bewerben. Durch die hohe Nachfrage ist vor allem das Diabetes-Medikament Ozempic vielerorts nur noch schwer zu bekommen. Kritiker werfen dem Unternehmen vor, diesen Zustand durch eine orchestrierte PR-Kampagne selbst verursacht zu haben.

Semaglutid und Tirzepatid: Woran arbeitet die Pharmaforschung?

Die nächste Generation der Abnehmspritze wird noch viel effektiver sein. Bereits jetzt prüft die US-Zulassungsbehörde FDA ein dual wirkendes Medikament für Personen mit Adipositas, das einen Gewichtsverlust bis 25 Prozent verspricht. Bei dualen Medikamenten zielen die Wirkstoffe parallel auf zwei Rezeptoren im Gehirn. Fachleute rechnen damit, dass diese Semaglutid-Präparate bald in den USA und anschließend auch in der EU zugelassen werden.

Die Pharma-Forschung arbeitet inzwischen weiter an den beliebten Mitteln. Ein weiteres Anti-Obesitas-Medikament, das in den Startlöchern steht, ist ein Tirzepatid, schreibt DGE-Experte Helmut Schatz in einem Blogeintrag. Tirzepatid sei eine Kombination aus einem GLP-1 und einem GIP-Rezeptoragonisten, ein sogenanntes "Twincretin". Das sei eine völlig neue Klasse von Diabetesmedikamenten. Klinische Studien zeigten aber auch bei Nicht-Diabetikern starke Gewichtsverluste. Allerdings gebe es noch "eine erhebliche Rate an Nebeneffekten". Aber auch bei diesem Wirkstoff rechnet Schatz damit, dass er nur wirkt, solange es eingenommen wird und dann eine Gewichtszunahme droht und bilanziert lakonisch: "Der Jo-jo-Effekt läßt grüßen!"

(kie)

Eine Semaglutid Spritze liegt auf einem Teller. 14 min
Bildrechte: IMAGO / Ulrich Roth

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 17. Juli 2023 | 16:17 Uhr

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