Der Redakteur | 28.04.2023 Gefährdungen am Arbeitsplatz: Wie kann ich mich davor schützen?
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28. April 2023, 16:40 Uhr
Schwere Lasten, psychische Belastung, UV-Strahlung oder Chemikalien - diese und viele weitere Gefährdungen gehören oft zum Arbeitsalltag. Wie man sich davor schützen kann, erklärt die Wissenschaft.
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) ist eine Forschungseinrichtung, die für die wissenschaftliche Datenbasis sorgt, damit am Ende vernünftige Arbeitsschutzvorschriften entstehen. Leider ist es häufig so, dass die vorgeschriebenen turnusgemäßen Arbeitsschutzbelehrungen eben genau das sind: Belehrungen, lieblos vorgetragen. Hauptsache, die Unterschrift steht drunter - lästige Pflicht. Das ärgert Arbeitswissenschaftler Prof. Lars Adolph, der sich hier mehr Gesprächsformate wünscht.
Dass man das nicht so formalistisch nach Paragraf soundso betreibt, sondern dies kommunikativ zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Betrieb nutzt.
Ein Beispiel sind Berufe, bei denen das Tragen schwerer Lasten zum Alltag gehört - Paketzusteller zum Beispiel. Der aktuelle Vorstoß von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, Pakete ab zehn Kilogramm zu kennzeichnen und ab 20 Kilogramm nur mit zwei Zustellern auszuliefern, mag bei Praktikern und Arbeitsgebern praxisfern erscheinen. Aber irgendwas muss passieren in Zeiten unseres Bestellwahns.
Das Zustellfahrzeug, das eigentlich oft nur eine hohle Blechbüchse ist, ist für Arbeitsmediziner auch nicht gerade das optimale Arbeitsmittel. Vor allem bei "selbstständigen" Zustellern, die mit irgendwelchen Mietwagen über die Dörfer schaukeln, werden in jeder Kurve die Pakete neu sortiert. Dann schreitet der Zusteller in gebückter Haltung breitbeinig über seine Pakete, hebt und schiebt und schädigt sich somit dauerhaft, ohne es zu ahnen.
Junge Männer sind auch nicht so sensibel für diese Problematik, aber nach ein paar Jahren haben sie ihre Rückenleiden, dann ist es aber schon zu spät. Auch dort ist Schulung und Unterweisung ganz zentral!
Die passende Lektüre haben die Wissenschaftler erarbeitet. Vieles ist organisatorisch machbar: Lastgewichtreduzierungen, ergonomisch günstige Lastaufnahmen und Absetzhöhen zwischen 70 cm und 110 cm, Bereitstellung von genügend Fuß- und Beinraum oder eben Gewichtsangaben auf den Kartons. Denn wenn ein "richtiger Kerl" einen 30-Kilogramm-Karton erst in der Hand hat, wird durchgezogen. Bei passender Kennzeichnung denkt der Kopf vielleicht dann doch auch mal an den Rücken oder rät zu Hilfsmitteln wie Sackkarre oder Gurt.
Die Pflege - physische und psychische Belastungen
Rund 1,7 Millionen Beschäftigte sind in der Pflege tätig. Hier sind vielfältige physische und psychische Tätigkeiten zu bewältigen - Heben, Tragen, Zeitdruck, das nicht immer einfache Verhalten der Pflegebedürftigen. Da kommt einiges zusammen und deshalb haben sich die Wissenschaftler der Dresdner Außenstelle der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in die Praxis begeben und gemeinsam mit den Mitarbeitern dort einen Leitfaden für gute Stationsorganisation entwickelt.
Dieser wurde schon 2016 vorgestellt, sollte also in den meisten Einrichtungen schon Thema gewesen sein, so wie auch die Themen Betriebliches Gesundheitsmanagement und Gefährdungsbeurteilung. Hier hat ja der Gesetzgeber auch bereits die Arbeitgeber verpflichtet, Schwachstellen zu identifizieren und zu beseitigen. Auch diese Themen werden in der Praxis oft - wie schon die Arbeitsschutzbelehrungen - als lästige Dokumentationsaufgabe wahrgenommen, die den Alltagsstress stört. Da ist das Thema psychische Belastung nicht weit, in Verbindung mit der hipp klingenden Work-Life-Balance.
Ist das noch flexible Arbeitszeit oder eine (unbezahlte) Überstunde?
Gleich auf der Startseite der Internetseite der Bundesanstalt ist das Thema Arbeitszeit sehr prominent platziert. Alle zwei Jahre wurden in repräsentativen Befragungen die Arbeitszeiten ermittelt, die ja zunehmend eine flexible Komponente im häuslichen Umfeld beinhalten. Für den Arbeitszeitenreport 2021 gaben 39 Prozent der Beschäftigten an, mindestens einmal monatlich auch am Wochenende zu arbeiten. Von 22 Prozent der Beschäftigten erwartet ihr Arbeitsumfeld, dass sie im Privatleben für dienstliche Belange erreichbar sind. Wer besonders flexibel sein soll, also kurzfristig mit Arbeitszeitänderungen rechnen muss, schätzt sein gesundheitliches Befinden tendenziell schlechter ein, so die Arbeitswissenschaftler.
Stattdessen gehen Planbarkeit und Vorhersehbarkeit der Arbeitszeit mit einer besseren Gesundheit und Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben einher. Eigentlich das ganze Gegenteil der oft gefeierten Flexibilität. Und einige Dinge haben wir jetzt noch gar nicht auf dem Schirm, Prof. Adolph und seine Kollegen aber schon. Er beschäftigt sich zum Beispiel schon intensiv mit den Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf den Arbeitsalltag. Denn das Hilfsmittel, das die Büroarbeit so fantastisch unterstützt, kann zu einer größeren Arbeitsbelastung und noch mehr Stress führen, wenn niemand aufpasst.
Wenn Sie zum Beispiel kurze Berichte verfassen müssen, gibt es dafür eine veranschlagte Zeit, und wenn das mit ChatGPT schneller geht, kann der Chef auf die Idee kommen, dass man noch andere Dinge zusätzlich machen kann.
Klimawandel und UV-Schutz
Ein großes Problem ist auch hier der Klimawandel. Wenn extreme Temperaturen zunehmen, die Sonne häufiger ungebremst vom Himmel knallt, ist UV-Schutz ein größer werdendes Thema.
Hautkrebs ist eine der häufigsten anerkannten Berufskrankheiten, erklärt Prof. Adolph und ergänzt, dass sich viele des Risikos nicht bewusst sind. Das Hautkrebsrisiko steigt beim Arbeiten im Freien bei Sonneneinstrahlung. Schützende Kleidung und Cremes sind dringend nötig, nicht nur am Strand. Und auch hier liefern Gefährdungsbeurteilungen den Arbeitgebern eigentlich die notwendigen Schritte, eine ordentliche Dokumentation alleine ist aber kein wirklicher Sonnenschutz.
Auf dem Markt findet man persönliche Schutzausrüstung, die hilft. Die Arbeitgeber sind in der Pflicht, ihre Mitarbeiter entsprechend zu schulen und zu unterweisen.
Und noch etwas wird häufig unterschätzt: Die Auswirkungen von biologischen oder chemischen Substanzen. Ein Beispiel: Im Umgang mit Bauschaum sind Fenster(ein)bauer, Tischler, Maurer & Co. geübt. Dass das Zeug nicht in die Augen gelangen darf und von den Händen kaum wieder abgeht, ist bekannt und führt dazu, dass der kluge Handwerker mit Brille und Schutzhandschuhen arbeitet.
Das Kunststoffmaterial mag zwar theoretisch vor dem Schaum schützen, wenn aber in der Praxis gleich die Nähte reißen, nützt das gar nichts. Und dass zusätzlich mit jedem Knopfdruck gefährliche Diisocynate entweichen können, ist auch nicht jedem klar. Deshalb gibt es schon einige Zeit eine Vorschrift zur Unterweisung der Mitarbeiter mit dem Hinweis, dass diese Stoffe Atemwege und Lunge schädigen.
Das haut den stärksten Mann vielleicht nicht sofort um, aber irgendwann eben doch.
MDR (ifl, mw)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 28. April 2023 | 16:40 Uhr