Verteidigung Expertin: Gemeinsame EU-Armee wäre gegen Russland machtlos
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04. April 2024, 16:21 Uhr
Neue Fronten im Osten, bröckelnde Allianzen und Nato-Skepsis in den USA. Ist auf die Nato noch Verlass und kann sich Europa im Zwiefelsfall selbst verteidigen? Vor allem die Nato-skeptische Haltung des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump hat die Debatte um eine gemeinsame EU-Armee befeuert. Die Idee ist nicht neu – und offenbar nach wie vor absolute Zukunftsmusik.
Dass die USA eine militärische Weltmacht geworden sind, hat auch damit zu tun, dass ihre Armee zentral gesteuert wird, sagte die Politikwissenschaftlerin Liana Fix im Gespräch mit dem MDR. Hier sieht sie die größte Hürde auf dem Weg zu einer starken, gemeinsamen EU-Armee: Die EU bestehe aus 27 Ländern, "die sich niemals die Entscheidungsgewalt über militärische Einsätze aus der Hand nehmen lassen werden von einer zentralen Kommandostelle in Brüssel zum Beispiel", so die Wissenschaftlerin, die bei der US-amerikanischen Denkfabrik "Council on Foreign Relations" zu Außen- und Sicherheitspolitik forscht. Dass eine gemeinsame EU-Armee entstehe, sei derzeit daher unwahrscheinlich.
Keine EU-Armee, aber engere Zusammenarbeit
Allerdings könnten die EU-Staaten der Expertin zufolge ihre Armeen enger miteinander verzahnen, so dass sie im Ernstfall miteinander kompatibel wären und gemeinsam vorgehen könnten. Dadurch wären sie in der Lage, kleine bis mittlere Militärmissionen eigenständig durchzuführen. Um Russland von einem Angriff auf ein EU-Land abzuschrecken, würde das allerdings nicht reichen, meint Fix.
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Enorme Investitionen für EU-Verteidigung nötig
Bis eine europäische Verteidigungspolitik ohne die Nato und damit das militärische Potenzial der USA funktionieren kann, wird es der Expertin zufolge noch Jahrzehnte brauchen, "weil die Militärmacht aller Europäer zusammen im Vergleich zu dem, was die USA haben, einfach zu gering ist". Außerdem seien dafür Militärausgaben nötig, die deutlich über den derzeit geforderten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts lägen.
Doch selbst, wenn die EU-Staaten bereit wären, deutlich mehr in die Verteidigung zu investieren – Geld allein werde nicht reichen, um für den Ernstfall gewappnet zu sein, meint Fix. Es müssten Waffensysteme produziert werden, "von denen Europa heute nur träumen kann", so die Expertin.
USA werden sich in Europa weniger engegieren
Eine Alternative zu mehr militärischer Eigenständigkeit und zur Aufrüstung gibt es aber offenbar nicht. Florence Gaub, Direktorin der Forschungsabteilung des NATO Defense Colleges in Rom, verweist in diesem Zusammenhang auf die geänderte geostrategische Lage. Mit China, das kräftig aufrüstet und bereits jetzt über die zweitstärkste Armee der Welt nach den USA verfügt, wächst Amerika ein neuer Herausfoderer heran.
Die Lage in Asien, insbesondere Chinas Vorgehen gegen die nach Pekings Lesart abtrünnige chinesische Provinz Taiwan, werde Amerikas Ressourcen in Zukunft immer stärker binden und die Möglichkeiten, in Europa einzugreifen, schrumpfen lassen, erläuterte Gaub im Gespräch mit dem MDR. Bereits 2019 hätten ihr US-Partner gesagt: "Russland ist ein europäisches Problem, nicht mehr unseres. Ihr müsst euch darum kümmern." Die Europäer müssten daher mit dem Gedanken klarkommen, dass die Amerikaner im Ernstfall "vielleicht einfach nicht können, weil sie gerade woanders beschäftigt sind", so Gaub.
Diese Einsicht scheint sich allmählich auch in der europäischen Politik durchzusetzen. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen will sich in der nächsten Legislaturperiode des Europaparlaments für die Schaffung des Postens eines europäischen Verteidigungskommissars einsetzten und spricht sich für gemeinsame europäische Rüstungsanstrengungen aus.
Dieses Thema im Programm: Das Erste | NATO – wer wird Europa schützen? | 03. April 2024 | 22:50 Uhr