Tschechien Leihroller bald auch in Prag verboten?
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12. September 2023, 09:01 Uhr
Elektrische Leihroller sorgen nicht nur in Paris für Unmut, wo sie seit kurzem verboten sind, sondern auch in der tschechischen Hauptstadt Prag. Die Stadt geht gegen rücksichtslose Fahrer und wildes Parken vor. Immer mehr Stadtteile sanktionieren solche Verstöße und die Stadtverwaltung arbeitet gemeinsam mit Leihfirmen an einem einheitlichen Regelwerk für ganz Prag – Einfahrtverbote und Tempolimits inklusive. Die Stadtpolizei verstärkt unterdessen ihre Kontrollen.
Ein junger ausländischer Tourist, der betrunken mit einem Leihroller auf dem Gehweg rast, rücksichtslos zwischen den Fußgängern Slalom fährt oder sich in bester Selbstmörder-Manier ohne Helm zwischen den vielen Autos auf stark befahrenen Straßen vorbeischlängelt und zum Schluss sein Gefährt an erstbester Stelle stehen lässt, und zwar so, dass es Passanten, Kinderwagen und Rollstuhlfahrer behindert – so ist das landläufige Bild des typischen Nutzers der Leihroller in Prag.
Strengere Regeln für E-Scooter in Prager Innenstadt
Zumindest ein Punkt an dieser Beschreibung stimmt nicht – nach Zahlen von Bolt, einem der vier Leihroller-Anbieter in Prag, sind drei Viertel der Kunden Einheimische. Dennoch haben die E-Scooter ein schlechtes Image – so schlecht, dass immer mehr Prager Stadtteile deren Nutzer an die Kandare nehmen. Nun hat auch Prag 1, also das engste Zentrum mit der historischen Altstadt, rücksichtslosen Leihrollernutzern den Kampf angesagt. Seit Anfang September dürfen sie die Scooter nur noch auf ausgewiesenen Parkplätzen wie in Leipzig abstellen. Um die Roller aus dem Zentrum ein Stück weit zu verdrängen, ist die Zahl der Stellplätze auf 140 begrenzt.
Etwa 40 Stellplätze werden mit Verkehrsschildern markiert, der Rest sind "virtuelle Parkplätze", die die User nur in der App finden können. Falschparkern stellt die Leihfirma eine Strafgebühr in Rechnung, die zusätzlich zum regulären Mietpreis abgebucht wird – möglich ist das dank GPS-Überwachung. Damit tritt Prag 1 in die Fußstapfen der Viertel Prag 2 und Prag 3, die ein ähnliches Konzept schon früher eingeführt haben.
Referendum nach Vorbild von Paris möglich
Stadtrat Vojtěch Rivola, im Bezirk Prag 1 für Verkehrsfragen zuständig, betonte gegenüber der Presse, es gehe nicht darum, Leihroller aus der Innenstadt völlig zu verbannen, denn nach wie vor stellten sie eine ökologische Alternative zum Auto dar. Man müsse hier aber klare Regeln und Ordnung schaffen, sagte der Politiker. Gleichzeitig versicherte er, man bemühe sich, die Parkplätze für Roller so auszuweisen, dass keine Parkplätze für Autos verloren gehen.
Nach ein paar Wochen will Vojtěch evaluieren, ob sich die Lage dank der neuen Regelungen gebessert hat – wenn nicht, werde er über ein Referendum nach dem Pariser Vorbild nachdenken. Dort wurden Leihroller nach einer Einwohnerabstimmung Anfang September 2023 komplett aus der Stadt verbannt.
Momentan bleiben die Regelungen zu den Leihrollern in Prag ein Flickwerk. Jedes Viertel kocht sein eigenes "Süppchen". Manche weisen die erlaubten Stellflächen beispielsweise mit Piktogrammen auf dem Boden aus, andere nur in der App. Manche erlauben Parken auf den Sperrflächen vor Zebrastreifen, andere sehen das nicht so gern. Und viele Stadtteile haben noch gar keine Regelungen.
Regelwerk mit Tempolimits und Sperrzonen geplant
Der Magistrat arbeitet derzeit an einem einheitlichen Konzept für die gesamte tschechische Hauptstadt. Das Problem dabei: Es gibt noch keine gesetzlichen Regelungen für das relativ neue Verkehrsmittel E-Scooter. Wenn ein Leihroller beispielsweise mitten auf dem Gehsteig abgestellt wird und Fußgänger zwar stört, den Verkehr aber nicht wirklich blockiert, darf die Stadtverwaltung dieses Gefährt nach derzeitiger Rechtslage nicht abschleppen lassen.
Die Stadtverwaltung strebt deshalb eine Übereinkunft mit den Leihfirmen auf freiwilliger Basis an, eine Art Regelwerk, an das sich beide Seiten vertraglich binden – so wie es bereits bei den einzelnen Stadtteilen der Fall ist. So sollen künftig nicht nur die einzig zulässigen Parkflächen ausgewiesen werden, sondern auch Bereiche mit Tempolimit oder Einfahrtverbot, etwa Parks oder Teile besonders frequentierter Plätze, etwa die Mittelinsel auf dem Wenzelsplatz.
Der Bolt-Managerin Lucie Krahulcová zufolge könnten diese per GPS überwacht werden – die Geschwindigkeit könne automatisch gedrosselt werden, der Motor im schlimmsten Fall sogar ausgeschaltet werden, sobald das Leihrad eine limitierte Zone befährt. Ohne Tempolimit können die in Prag angebotenen Leihscooter bis zu 25 km/h schnell fahren.
Außerdem soll eine Prozedur festgelegt werden, wie falsch geparkte Scooter entfernt werden. Anwohner haben schon jetzt die Möglichkeit, störend geparkte Leihräder mittels Telefonhotline beim jeweiligen Anbieter zu melden. In Absprache mit den Anbietern soll an den Lenkstangen zudem ein deutlich sichtbarer Hinweis erscheinen, dass das Fahren auf dem Gehsteig verboten ist.
Leihfirma wirft Politikern Populismus vor
Wie schnell das einheitliche Regelwerk in Kraft treten könnte, ist derzeit noch unklar. Bolt-Managerin Krahulcová beklagt, dass das Thema von Politikern populistisch angegangen wird. Tatsächlich hat der seit Februar 2023 amtierende Oberbürgermeister von Prag, Bohuslav Svoboda, in der Vergangenheit vorgeschlagen, die Stadtreinigung solle falschparkende Leihroller entfernen und zum Wertstoffhof bringen. Später verwarf er die Idee jedoch als juristisch unzulässig.
Das Problem sieht er aber nach wie vor als dringend an. Der Betrieb von Leihrollern in der weitgefassten Innenstadt stelle ein großes Problem dar, sei es wegen der undisziplinierten Fahrweise, sei es wegen rücksichtslosen Parkens auf den Gehwegen, sagte der Oberbürgermeister neulich. Nach Ansicht von Bolt-Vertreterin Krahulcová hat die Stadtverwaltung aber ebenfalls "Hausaufgaben" zu erledigen. Denn oft würden Rad- und Scooter-Fahrer Gehwege oder Parks deshalb unerlaubt befahren, weil es zu wenig gute Radwege gebe und sie sich auf den stark befahrenen Straßen nicht sicher fühlten.
Prager fühlen sich auf der Straße nicht sicher
Die Leihroller, die eines der Themen im Kommunalwahlkampf 2022 waren, werden wohl noch länger die Gemüter erhitzen. Das legen auch Umfragen nahe. Im "Urban Road Safety Index" (zu Deutsch "Städtischer Straßensicherheits-Index") belegte Prag in diesem Jahr den viertschlechtesten Platz unter 25 europäischen Metropolen, was die gefühlte Sicherheit der Verkehrsteilnehmer betrifft. 44 Prozent der befragten Prager fühlten sich nicht sicher. Dazu tragen, nicht nur, aber auch, die Leihroller bei, denn fast 60 Prozent der Befragten nannten Elektrofahrräder und Elektroroller als Unfallverursacher. Fast die Hälfte der Befragten würde sie gerne völlig verbieten.
So weit wird es wahrscheinlich nicht kommen. Bis das neue Regelwerk kommt, intensiviert das Ordnungsamt, das in Tschechien unter dem Namen Stadtpolizei firmiert, die Kontrollen. Wer auf dem Gehweg, Zebrastreifen oder in falscher Richtung fährt oder Verkehrsschilder und Ampeln missachtet, muss mit einem Bußgeld von bis zu 2.000 Kronen rechnen, umgerechnet 82 Euro. Die letzte großflächige Kontrollaktion gab es am ersten September-Wochenende.
Die vermeintlichen und echten Exzesse der Leihroller-Nutzer schrecken andere Städte rund um Prag ab. Lukáš Seifert, der Bürgermeister der pittoresken ehemaligen Bergbaustadt Kutná Hora, deren historisches Zentrum auf der Welterbeliste der UNESCO steht, sagte etwa: Kutná Hora solle nicht mit Leihrollern überschwemmt werden, so wie es in Prag der Fall – "das ist nichts, was wir uns wünschen".
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | Sachsenspiegel | Unsere Nachbarn | 10. September 2023 | 19:00 Uhr