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Wie ist Bosnien-Herzegowina entstanden?

MDR AKTUELL Sa 21.11.2020 07:10Uhr 01:03 min

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Westbalkan Wie der Staat Bosnien und Herzegowina funktioniert

15. März 2025, 11:09 Uhr

Bosnien und Herzegowina sorgt regelmäßig für Schlagzeilen. Meist liest man von Konflikten zwischen Serben und der Zentralregierung. Das Land ist ein Produkt des Bosnienkrieges und des Dayton-Friedensabkommens von 1995. Die staatlichen Strukturen sind kompliziert, und der Einfluss, den die internationale Gemeinschaft mit ihrem Hohen Repräsentanten ausübt, macht es nicht einfacher, das Konstrukt zu verstehen. Wir erklären, wie dieser "merkwürdige" Balkanstaat funktioniert.

Das politische System in Bosnien und Herzegowina ist wohl das komplizierteste in Europa. Es geht auf das Dayton-Friedensabkommen von 1995 zurück, mit dem der Bosnienkrieg (1992-95) beendet wurde. Bosnien besteht heute aus zwei Landesteilen (sogenannten Entitäten), die so im Krieg und durch Vertreibung entstanden sind: der Föderation Bosnien und Herzegowina, in der vorwiegend Kroaten und Bosniaken (bosnische Muslime) leben und der Republika Srpska, in der mehrheitlich Serben wohnen. Der Landesteil Föderation ist in sich noch einmal in Kantone unterteilt. Eine besondere Stellung hat als dritte Einheit der Brčko-Distrikt – er ist verkehrstechnisch für beide Entitäten wichtig und wird deshalb formal von beiden gleichzeitig verwaltet, genießt aber de facto Autonomie. Über allem steht zwar der Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina, doch der hat im Vergleich zu den Entitäten nur wenig Entscheidungsgewalt. Das Militär und die Verteidigungspolitik etwa sind zwar im Gesamtstaat angesiedelt, neben einer Polizei des Gesamtstaates unterhalten aber auch die Entitäten eigene Polizeibehörden.

Der serbische Präsident Slobodan Milošević, der Vorsitzende im bosnisch-herzegowinischen Präsidium Alija Izetbegović und Kroatiens Präsident Franjo Tuđman unterzeichnen am 14. Dezember 1995 in Paris das Friedensabkommen von Dayton.
Der serbische Präsident Slobodan Milošević, der Vorsitzende im bosnisch-herzegowinischen Präsidium Alija Izetbegović und Kroatiens Präsident Franjo Tuđman unterzeichnen am 14. Dezember 1995 in Paris das Friedensabkommen von Dayton. Bildrechte: imago images / Everett Collection

Herausforderungen und Probleme

Die politische Macht ist im Land nach dem ethnonationalen Prinzip verteilt. Das heißt, dass die drei großen bosnischen Bevölkerungsgruppen der Kroaten, Serben und Bosniaken jeweils ihre politischen Vertreter wählen. Das politische System drängt die Bürgerinnen und Bürger dazu, sich national einzuordnen. Minderheiten wie Roma, jüdische Menschen oder andere, die sich nicht zu einer der drei großen Volksgruppen zählen, sind zwar auch Bürger des Staates, haben aber nicht die gleichen politischen Rechte. Wer sich zum Beispiel nicht als Kroate, Serbe oder Bosniake einordnet, kann nicht für alle politischen Ämter im Land kandidieren.

Grafik Bosnien Herzegowina
Bosnien-Herzegowina besteht aus zwei Landesteilen, die so im Krieg und durch Vertreibung entstanden sind: der Föderation Bosnien und Herzegowina, in der vorwiegend Kroaten und Bosniaken (bosnische Muslime) leben und der Republika Srpska, in der mehrheitlich Serben wohnen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Der komplizierte Staatsaufbau Bosniens führt dazu, dass die Unterschiede zwischen den nationalen Gruppen betont und vertieft werden. Das System bietet außerdem viele Möglichkeiten zur politischen Blockade – Anreize, Entscheidungen im Konsens zu treffen, gibt es wenige. Auch gelten die vielen Ebenen der Verwaltung als ineffizient. Das Land ist laut Transparency International eines der korruptesten in Europa, worunter auch die wirtschaftliche Entwicklung leidet. Das alles sorgt bei der Bevölkerung für Politikverdrossenheit und bewegt viele junge Menschen dazu, Bosnien zu verlassen.

Bevölkerung Bosnien und Herzegowina (bitte aufklappen)

1991 lebten in der jugoslawischen Teilrepublik Bosnien und Herzegowina weniger als 4,5 Millionen Menschen. Bei der letzten jugoslawischen Volkszählung gaben 43,5 Prozent an, Muslime zu sein, 31,2 Prozent Serben, 17,4 Prozent Kroaten, knapp 8 Prozent bekannten sich als Jugoslawen oder Angehörige von Minderheiten. Im Krieg 1992-95 starben etwa 100.000 Menschen, mehr als zwei Millionen wurden vertrieben. Heute leben etwa 3,2 Millionen Menschen in Bosnien und Herzegowina, ein Drittel davon in der Republika Srpska, die etwa die Hälfte des Staatsgebietes ausmacht. Bosnien und Herzegowina leidet unter einer niedrigen Geburtenrate und einer der stärksten Abwanderung in Europa. Pro Jahr verlassen schätzungsweise 50.000 Menschen das Land.

Hoher Repräsentant: Der "Statthalter"

Eine besondere Rolle im politischen Leben Bosniens und Herzegowinas spielt der Hohe Repräsentant, der vom Friedensimplementierungsrat eingesetzt wird. In diesem internationalen Rat sind mehr als 50 Länder und internationale Organisationen vertreten. Dazu zählen unter anderem die USA, Kanada und Deutschland sowie die Europäische Kommission, das Internationale Rote Kreuz und die Weltbank. Der Hohe Repräsentant soll über den Frieden in Bosnien wachen und kann sich über Entscheidungen der Politiker und Politikerinnen im Land hinwegsetzen. Dafür ist er mit den sogenannten "Bonner Befugnissen" ausgestattet. Diese erlauben es ihm beispielweise, Gesetze am Parlament vorbei zu ändern und gewählte Amtsträger zu entlassen.

Christian Schmidt spricht auf einer Pressekonferenz
Der deutsche CSU-Politiker Christian Schmidt soll als Hoher Repräsentant über den Frieden in Bosnien wachen und kann sich über Entscheidungen der Politiker und Politikerinnen im Land hinwegsetzen. Bildrechte: IMAGO / Pixsell | Armin Durgut

Zwar wird die Macht des Hohen Repräsentanten einerseits als notwendig angesehen, um politische Blockaden zu überwinden, andererseits wird sie als undemokratischer Eingriff in die Unabhängigkeit des Landes Bosnien und Herzegowina kritisiert. Seit 2021 hat der CSU-Politiker Christian Schmidt das Amt des Hohen Repräsentanten inne. Die Bundesregierung hatte den ehemaligen Bundeslandwirtschaftsminister vorgeschlagen. Schmidt war in der Zeit des Bosnienkrieges außen- und verteidigungspolitischer Sprecher seiner Partei und von 2005 bis 2013 parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Zuletzt gerieten Schmidt und das Amt des Hohen Repräsentanten an sich 2022 in die Kritik, als Schmidt am Tag der Parlamentswahlen Bosniens das Wahlrecht geändert hatte. In den Monaten zuvor hatten sich bosnische Politiker nicht auf eine Wahlrechtsreform einigen können. Schmidts Änderung per Dekret ignorierte zwar die zuvor aufgestellten Forderungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, berücksichtigte dafür aber die Anliegen der kroatisch-nationalistischen HDZ-Partei in Bosnien, für die auch die Schwesterpartei in Kroatien Werbung gemacht hatte.

EU und Einmischung der Nachbarländer

Bosnien hat 2016 einen Beitrittsantrag zur EU gestellt, 2022 wurde das Land zum Beitrittskandidaten erklärt. Seit 2016 haben bosnische Politiker und Politikerinnen Reform-Forderungen der EU allerdings kaum umgesetzt. Zu diesen Forderungen gehört, dass Personen, die nicht einer der drei konstituierenden Volksgruppen angehören, politisch nicht diskriminiert werden, oder dass der Gesamtstaat gegenüber den beiden mächtigen Landesteilen Republika Srpska und Föderation Bosnien und Herzegowina gestärkt werden soll.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, in Bosnien und Herzegowina bei einem Treffen mit dem serbischen Mitglied der Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina Zeljka Cvijanovic, dem bosniakischen Mitglied der Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina Denis Becirovic und dem Vorsitzenden der Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina Zeljko Komsic.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, im Oktober 2024 in Bosnien und Herzegowina bei einem Treffen mit dem serbischen Mitglied der Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina Željka Cvijanović (li.), dem bosniakischen Mitglied der Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina Denis Bećirović und dem Vorsitzenden der Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina Željko Komšić. Bildrechte: picture alliance / Hans Lucas | POOL UNION EUROPEENNE / AGENCE HANS LUCAS

Außerdem mischen sich die Nachbarländer Serbien und Kroatien immer wieder in die bosnische Politik ein. Serbische Nationalisten unter Führung von Milorad Dodik im Landesteil Republika Srpska drohen regelmäßig mit Abspaltung von Bosnien und Herzegowina und werden dabei aus Serbien unterstützt. Dem gegenüber unterstützt die HDZ-Partei aus dem EU-Mitgliedsland Kroatien ihre kroatisch-nationalistische Schwesterpartei in Bosnien und Herzegowina – auch oder gerade, um liberalere bosnisch-kroatische Kräfte zu schwächen.

Zusammenarbeit über ethnische Grenzen hinweg

Bei Wahlen in Bosnien waren insgesamt bisher Parteien am erfolgreichsten, wenn sie die Unterschiede zwischen den Volksgruppen betont haben. Aber es gibt auch Kräfte, die sich für einen Staat gleichberechtigter Bürger abseits der nationalen Zugehörigkeit einsetzen. Die Einwohnerinnen und Einwohner verschiedener Ethnien arbeiten auch selbstorganisiert zusammen,  beispielsweise bei Protesten gegen Umweltzerstörung oder Korruption. Immer wieder unterstützten sich die Menschen über nationale Grenzen hinweg bei Naturkatastrophen und in Ausnahmesituationen wie der Corona-Pandemie. Doch nach wie vor ist im politischen System Bosniens und Herzegowinas das nationale Prinzip am wirksamsten, das die Unterschiede zwischen den Volksgruppen und den Konflikt zwischen ihnen betont.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 15. März 2025 | 07:17 Uhr

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