Jana Peterková kommt aus einem Gerichtsgebäude
Die Influencerin und Verschwörungstheoritikerin Jana Peterková hat sich zu einer Identifikationsfigur der "Gläubiger"-Bewegung entwickelt – dem tschechischen Gegenpart zu den deutschen "Reichsbürgern". Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

Extremismus Die tschechischen "Reichsbürger" – wenige, aber militant

31. Juli 2023, 15:27 Uhr

In Deutschland machen sogenannte "Reichsbürger" von sich reden. Sie erkennen den heutigen deutschen Staat nicht an und behaupten, das Deutsche Reich würde fortbestehen. Eine ähnliche Bewegung gibt es in Tschechien – die sogenannten "Gläubiger". Sie halten sich für Staatsbürger der ehemaligen Tschechoslowakei. Die heutige Tschechische Republik ist in ihren Augen nur eine private Firma, die ihnen obendrein noch Geld schuldet!

Der tschechische Journalist Robert Schuster
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Viele Tschechen staunten nicht schlecht, als Ende Mai Videos einer versuchten Besetzung des Prager Stadtgerichts in den sozialen Netzwerken viral gingen. Unter Rufen wie "Gestapo, Gestapo!" oder "Wir sind das Gesetz" drangen erzürnte Aktivisten in einen Gerichtssaal ein, in dem gerade eine Verhandlung lief. Sie konnten nur unter Einsatz der Justizwache zurückgedrängt werden.

Impfgegner sind jetzt "Tschechoslowaken"

Ort und Zeitpunkt waren nicht zufällig gewählt. Auf der Tagesordnung stand das Revisionsverfahren im Fall der wohl bekanntesten tschechischen Querdenkerin, der ehemaligen Fernsehjournalistin und nunmehrigen Influencerin Jana Peterková, die sich neuerdings auch an die Spitze der "Gläubiger"-Bewegung stellt, wie sich die tschechischen "Reichsbürger" nennen.

Peterková musste sich wegen wiederholter Verbreitung von Falschinformationen im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie vor Gericht verantworten. Denn dies war ihr Lieblingsthema, bevor sie auf den angeblichen Fortbestand der ehemaligen Tschechoslowakei umsattelte. In ihren Youtube- und Facebook-Videos hatte sie behauptet, die Weltbevölkerung solle um 70 Prozent verringert werden, und vor neuen Konzentrationslagern in Deutschland gewarnt.

Viele Menschen stehen in einem Flur eines Gerichts.
Gerichtsbesetzung durch Anhänger der "Gläubiger"-Bewegung – die tschechische Entsprechung der deutschen "Reichsbürger". Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

Ausschlaggebend für die Verurteilung in erster Instanz war aber die von Peterková verbreitete Falschmeldung, dass in einem Seniorenheim unweit von Prag Menschen nach einer Corona-Impfung gestorben seien. Dafür gab es zwei Jahre Haft auf Bewährung, wogegen sie aber Berufung einlegte. Bei der Revisionsverhandlung erhielt sie nun Unterstützung von gleichgesinnten Aktivisten, denen es gelungen war, für fast zwei Stunden die Arbeit des Gerichts lahmzulegen.

Eine Woche später ergab sich bei einem anderen Prager Gericht und der Verhandlung mit zwei anderen Covid-Leugnern ein vergleichbares Bild. Diesmal waren zwar die Behörden besser vorbereitet, es war sogar eine Spezialeinheit der Polizei vor Ort, doch die Wucht der Staatsgegner war größer. Sie legten sich vor dem Verhandlungssaal auf den Boden und sangen – angeführt von Peterková – die Nationalhymne.

Es waren die ersten öffentlichkeitswirksamen Auftritte der selbsternannten "Legitimen Gläubiger". Diese sind überzeugt, dass die heutige Tschechische Republik, die vor dreißig Jahren nach der Auflösung der Tschechoslowakei entstand, illegitim ist – unter anderem deshalb, weil das Ende der Tschechoslowakei nicht von den Bürgern in einer Volksabstimmung entschieden wurde, sondern lediglich von Politikern. Die gegenwärtigen politischen Vertreter des Landes sind in den Augen der "Gläubiger" nichts anderes als "Volksverräter" und "Schädlinge des Volkes".

Selbstgemachte Ausweise bei Polizeikontrollen

Obendrein behaupten sie, die Tschechische Republik sei kein Staat, sondern lediglich eine private Firma (gelegentlich sogar: eine Mafia). Deshalb weigern sie sich unter anderem, Strafen für Verkehrsdelikte wie Falschparken und Überschreiten des Tempolimits zu bezahlen, den Betrag für die Autobahn-Vignette zu entrichten, Amtsschreiben entgegenzunehmen oder zu Gerichtsterminen zu erscheinen.

Polizeikontrolle in Tschechien
Verkehrskontrolle in Tschechien. Immer häufiger behaupten Verkehrssünder, die Tschechische Republik sei kein Staat, sondern nur eine Privatfirma, die keine Bußgelder verhänen darf. Bildrechte: imago/CTK Photo

Streifenpolizisten machen des Öfteren die Erfahrung, dass Bürger ihre Autorität anzweifeln. Bei Personenkontrollen bekommen die Uniformierten beispielsweise zu hören, dass die Dokumente, die sie kontrollieren wollen, also Personalausweise oder Führerscheine, ungültig sind, weil sie von einem illegitimen Staat, der eigentlich nicht existiere, herausgegeben wurden. Dabei berufen sie sich auf ihre angebliche Staatsbürgerschaft der Tschechoslowakei.

Manche gehen sogar so weit, sich selbst "tschechoslowakische" Ausweispapiere auszustellen, und dem heutigen tschechischen Staat zu kündigen – laut einer Analyse des tschechischen Innenministeriums treffen seit Herbst 2022 bei den Behörden verstärkt Schreiben von Bürgern ein, in denen sie erklären, ihre rechtlichen Verbindungen zur "Firma Tschechische Republik" aufzulösen.

Ähnlichkeiten mit der Reichsbürger-Szene

Eine Ähnlichkeit mit der Bewegung der sogenannten Reichsbürger in Deutschland, aber auch mit den US-amerikanischen "Souveränen Bürgern" ist nicht von der Hand zu weisen, meint die tschechische Extremismus-Forscherin Petra Mlejnková von der Masaryk-Universität in Brünn.

Diese Bewegung, die behauptet, die gegenwärtigen Staaten seien illegal, verbreitet sich in ganz Europa. Dahinter steht ein Trend, sich gegenüber dem System der Demokratie abzugrenzen.

Petra Mlejnková, Extremismus-Forscherin

Angetrieben werde die Bewegung von den aktuellen weltweiten Krisen, beginnend mit der Flüchtlingskrise, über Covid bis zum Ukraine-Krieg, so Mlejnková weiter.

Auslöser: private Fehde mit dem Staat

Gründer der Bewegung mit dem vollen Namen "Legitime Gläubiger der Tschechischen Republik" ist der mittlerweile von der Polizei gesuchte 60-jährige Jan Macháček, der möglicherweise irgendwo in Deutschland untergetaucht ist. Der frühere Inhaber einer kleinen Baufirma aus Ostböhmen führt seit den 1990er Jahren einen juristischen Streit mit dem Staat, der in eine Art Krieg ausgeufert ist. Wegen des Verdachts auf Betrug saß er in Untersuchungshaft. Dies war jedoch rechtswidrig, wie sich im Nachhinein herausstellte, und Macháček klagte auf Entschädigung.

Die vier Millionen Kronen (umgerechnet rund 166.000 Euro), die ihm zugestanden wurden, betrachtet er als zu gering. Gegenwärtig beziffert er seine Forderungen gegen die Tschechische Republik auf sechs Milliarden Kronen (fast 250 Millionen Euro). Dieses ihm angeblich vorenthaltene Geld will sich Macháček, der die Tschechische Republik nicht anerkennt und sich für einen Bürger der Tschechoslowakei hält, vom Staat zurückholen.

Mit der Zeit fing Macháček an, Gleichgesinnte um sich zu scharen, die in ihm mittlerweile eine Art Guru sehen. Er hat ferner damit begonnen, seinen Anhängern Schuldbriefe auszustellen, die es ihnen ermöglichen sollen, Eigentum des Staates einzufordern – daher der Name der Bewegung, die bis vor Kurzem aber nicht sonderlich stark wahrnehmbar war.

"Sie waren eigentlich nie sonderlich präsent im öffentlichen Raum, mit Ausnahme der Fälle, wo sie versuchten Institutionen zu besetzen. Niemand hat dem allerdings große Aufmerksamkeit geschenkt", erklärt Extremismus-Forscherin Mlejnková. Die öffentlichkeitswirksamen Gerichtsbesetzungen werden ihnen nun einen gewissen weiteren Zulauf bescheren, glaubt sie. Die Zahl der angeblichen "Gläubiger" schätzt Mlejnková auf einige Hundert Personen. Das tschechische Innenministerium geht von einigen Tausend aus.

"Tschechoslowaken" besetzen Behörden

Die "Gläubiger" verlangen, dass die Tschechische Republik ihnen Geld zurückzahlt, das sie ihnen angeblich schuldet. In den letzten Wochen begannen sie mit der sogenannten "Übernahme" staatlichen Eigentums, was immer nach dem gleichen Muster verläuft: Entweder schicken sie an einzelne Behörden, zum Beispiel Ministerien, entsprechende Erklärungen über die Beschlagnahmung von Werten "im Namen der Tschechoslowakischen Republik".

Oder aber: Sie versuchen, in die betreffende Institution einzudringen und sie als Eigentum der in ihren Augen fortbestehenden Tschechoslowakei zu übernehmen. Dabei wird vom Blatt oft folgende Erklärung verlesen:

Als Bürger der Tschechoslowakei sind wir verpflichtet, die Kontrolle über das gesamte Eigentum des Landes zu übernehmen. Wir wollen jene Aktivposten übernehmen, die gestohlen wurden und zwar im Namen der Mitglieder der Übergangsregierung der Tschechischen Republik.

Wenn die "Übernahme" aufgrund von Gegenwehr nicht klappt, ist die ganze Aktion wenigstens für ein Gruppenfoto mit Fahne und dem alten tschechoslowakischen Wappen gut. Das Ganze wird zudem auf Video dokumentiert und ins Netz gestellt. Oft sind im Hintergrund auch die völlig verdutzten Angestellten der jeweiligen Behörde zu sehen, die das Prozedere regungslos über sich ergehen lassen.

Konflikte unter tschechischen "Reichsbürgern"

Allerdings sind die "Gläubiger" keine homogene Gruppe. Das zeigte sich in letzter Zeit, als vermehrt Anhänger der Ex-Journalistin Peterková dazustießen. Die Neuankömmlinge werden vom ursprünglichen Aktivisten-Kern rund um Macháček mit Argwohn betrachtet, wie die Extremismus-Forscherin Petra Mlejnková erklärt: "Die Leute aus dem Umfeld von Frau Peterková hängen mit Macháčeks Gruppierung nicht zusammen, im Gegenteil. Letztere distanzieren sich von ersteren, kritisieren sie, sie würden sie der ursprünglichen Idee berauben und es angeblich nicht ernst meinen. In Peterková sehen sie in erster Line eine pragmatisch agierende Person, die etwas missbraucht, woran sie ganz fest glauben."

Die tschechische "Gläubiger"-Bewegung ist noch relativ jung und nach Einschätzung der Extremismus-Forscherin Mlejnková noch nicht so gefährlich wie ihre Entsprechungen in Deutschland und den USA, die "bereit sind, fast alles zu tun, um das verhasste System zu zerstören." Auch in den regelmäßig erscheinenden Jahresberichten des tschechischen Inlandsgeheimdienstes BIS fanden sie bislang keine explizite Erwähnung. Doch das wird sich wohl schon bald ändern – nicht zuletzt wegen der beiden Attacken auf tschechische Gerichte.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten - Der Osteuropa-Podcast | 29. Juli 2023 | 07:17 Uhr

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