Arbeitskräftemangel Saisonarbeiter in Tschechien: Heiß umworben und dennoch Mangelware
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31. August 2023, 18:53 Uhr
Jobben während der Ferien? In Eisdielen Eis verkaufen oder bei einer Fastfood-Kette Pommes frittieren? Das war einmal, zumindest in Tschechien. Viele tschechische Unternehmen klagen seit geraumer Zeit, dass sie gerade in den Sommermonaten immer größere Schwierigkeiten haben, Saisonarbeitskräfte zu finden. In diesem Jahr soll die Lage besonders kritisch sein.
Es fehlt an Saisonarbeitskräften, egal ob jung oder alt. Die meisten Aushilfen werden im Einzelhandel gebraucht, in der Gastronomie und traditionell in der Landwirtschaft, zum Beispiel bei der Hopfen-Ernte, die jedes Jahr Ende August beginnt. Auch die Logistik-Branche, wo es zum Beispiel um Tätigkeiten in Lagerhallen geht, findet immer schwieriger Saisonarbeiter und Aushilfen. Wer nach einem Zuverdienst sucht, kann es sich in Tschechien oft aussuchen – beliebt sind Tätigkeiten an bequemeren Arbeitsplätzen, etwa in Büros, bei einfachen Computer-Arbeiten oder am Kopiergerät.
Der Mangel an Saisonkräften und Aushilfen kostet die Betriebe bares Geld: Sie müssen bedeutend tiefer in die Tasche greifen, um überhaupt jemanden zu bekommen. "Gegenwärtig bewegt sich der Stundenlohn bei diesen Jobs zwischen 150 und 170 Kronen", sagt dem MDR Miroslav Diro, Sprecher der tschechischen Wirtschaftskammer. Umgerechnet sind das Stundensätze zwischen 6,40 und 7,30 Euro. "Die Entlohnung bei diesen saisonbedingten Jobs steigt schneller, als die Löhne in der Gesamtwirtschaft. Dort liegt der Stundenlohn gegenwärtig bei 103 Kronen", berichtet Diro (umgerechnet 4,20 Euro).
Die Entlohnung bei saisonbedingten Jobs steigt schneller als die Löhne in der Gesamtwirtschaft.
Firmen, die nicht genügend Aushilfen finden, schränken ihre Dienste ein. In der Gastronomie wird beispielsweise nur im Innenraum bedient, im Freisitz dagegen nicht. Auch die Öffnungszeiten können verkürzt werden. Doch solche Lösungen kosten die Unternehmen genauso bares Geld – weil sie sich negativ auf den Umsatz auswirken.
Ferienjobs unattraktiv für Studenten?
Nach Schätzungen von Arbeitsvermittlungsagenturen sinkt die Zahl der Menschen, die an einem Zuverdienst als Aushilfe oder Saisonkraft interessiert sind, jedes Jahr um fünf bis zehn Prozent. Selbst Studenten haben immer weniger Interesse an einem "klassischen" Ferienjob. Wirtschaftskammersprecher Diro erklärt sich das u.a. damit, dass die heutigen Studenten es immer häufiger einfach gar nicht nötig hätten, sich etwas dazuzuverdienen, weil sie von ihren Eltern finanziell besser versorgt werden als frühere Generationen.
Sind also die jungen Menschen bequemer oder gar fauler geworden? Ervín Tomáš Dombrovský widerspricht dem energisch im Gespräch mit dem MDR. Er arbeitet für die Online-Plattform jobs.cz, die zu den größten Vermittlern von Nebenerwerbstätigkeiten in Tschechien gehört: "Das ist in erster Linie eine demographische Angelegenheit. An den Hochschulen und teilweise auch noch an Mittelschulen sind jetzt die schwächsten Geburtenjahrgänge in der Geschichte Tschechiens anzutreffen. In jedem Jahrgang haben wir jetzt ungefähr 85.000 bis 95.000 Personen, das ist gut die Hälfte dessen, was vor rund zwanzig Jahren für kurzzeitige Arbeitsverhältnisse zur Verfügung stand."
Hinzu kommt: Diejenigen, die sich tatsächlich etwas dazuverdienen wollen, beschränken sich nicht nur auf die Ferienzeit. Wenn schon, dann suchen sie sich einen Job, den sie das ganze Jahr über verrichten können, um eine halbwegs stabile Einnahmequelle zu haben.
Inflation zwingt viele zu Zweitjobs
Auf einen neuen Trend weist Wirtschaftskammersprecher Diro hin: "Wir haben bemerkt, dass vermehrt die Menschen reges Interesse an solchen kurzfristigen Jobs zeigen, die schon eine feste Stelle und ein Einkommen haben. Sie versuchen auf diese Weise, der gegenwärtig hohen Inflation zu trotzen und die steigenden Lebenshaltungskosten zu meistern."
Aus den Daten der Wirtschaftskammer geht hervor, dass rund zwei Fünftel der Unternehmen, die solche kurzfristigen Jobs anbieten, Stellen zu besetzen suchen, die keine besonders hohe Qualifikation erfordern. Ein Viertel der Firmen hält hingegen nach Arbeitnehmern Ausschau, die über eine höhere Qualifikation verfügen. Firmeninhaber berichten zudem, dass es oft nicht an Interessenten mangele, sehr wohl aber an Menschen, die zuverlässig seien.
Unternehmen wollen auch Ferienjobber binden
Sofern sie fündig geworden sind, sind die Unternehmen schnell dem Risiko ausgesetzt, dass sich die neuen Mitarbeiter bald durch bessere Angebote weglocken lassen. Die Firmen versuchen daher, sie an sich zu binden – zum Beispiel durch zusätzliche Leistungen.
Welche das sein können, erklärt gegenüber dem MDR Tomáš Prouza, Präsident des Interessenverbandes der Handels- und Tourismusbranche: "Den Angestellten in Restaurants wird zum Beispiel die Möglichkeit gegeben, sich dort gratis zu verköstigen. Oder sie bekommen Gutscheine für sich und ihre Familienangehörigen, damit sie in das Gasthaus oder die Pension, in der sie vorher gearbeitet haben, später als Gäste zurückkehren."
Medienberichten zufolge bieten manche Logistikfirmen ihren Lagerarbeitern zudem Vorteile an, in deren Genuss bis vor Kurzem nur Büroangestellte kamen – etwa kostenlosen Kaffee, Gratisfrühstück oder Obst. Die Firmen umsorgen ihre Aushilfen auch deshalb, damit diese im folgenden Jahr wiederkommen – denn dann muss man sie nicht erneut einarbeiten.
Ausländische Arbeitskräfte als Lösung?
Doch nicht nur Aushilfen und Saisonarbeiter sind in Tschechien Mangelware. Der gesamte Arbeitsmarkt ist nahezu leergefegt. "Aus Sicht der Arbeitgeber ist der Mangel an Arbeitskräften seit gut sechs Jahren die größte Hürde bei der Weiterentwicklung ihrer unternehmerischen Tätigkeiten im Land. Den Firmen fehlen an die 300.000 Arbeitskräfte und gemäß der vorausgesagten Bevölkerungsentwicklung ist zu erwarten, dass sich bis zum Jahr 2032 die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter hierzulande um weitere mehr als 240.000 Personen verringert", sagt Wirtschaftskammervertreter Diro – ein eher pessimistischer Ausblick.
Die Konsequenz? Die Unternehmen werden vermehrt versuchen, Arbeitskräfte aus dem Ausland zu bekommen, und zwar nicht nur, aber gerade für Saisonjobs. Momentan springen hier die Flüchtlinge aus der Ukraine ein. "Viele Ukrainer nehmen ganz bewusst befristete Stellen an, weil auch ihr Aufenthalt im Land aus verschiedenen Gründen zeitlich begrenzt ist. Nach einer gewissen Zeit fahren sie wieder in ihre Heimat, um später vielleicht wieder für ein paar Wochen und Monate zurückzukehren. Sie pendeln also hin und her", sagt Dombrovský von der Vermittlungsplattform jobs.cz.
Aber auch der Pool der ukrainischen Arbeitskräfte scheint mittlerweile erschöpft. Das lässt einige Unternehmen geographisch noch weiter blicken: Erst vor wenigen Tagen gab die Firma Škoda aus Pilsen, die u. a. Lokomotiven und Straßenbahnen baut, bekannt, bis Jahresende 300 Arbeitskräfte aus Indonesien ins Land holen zu wollen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell | 26. August 2023 | 13:21 Uhr