Corona in Polen Homeoffice ausschließlich für Geimpfte?
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30. November 2021, 21:01 Uhr
Die Entscheidung wirkt kurios: Homeoffice ausschließlich für Geimpfte. Getroffen hat sie Olgierd Geblewicz, Marschall der Woiwodschaft Westpommern mit Sitz in Stettin. Sein Kalkül: Bei massiv steigenden Coronaerkrankungen will niemand mehr ins Büro. Also doch lieber impfen lassen.
Die Pandemie rollt über Polen hinweg wie über das sonstige Europa. Während die Zahl der Infizierten und Toten täglich steigt, bleiben landesweite Neuregelungen aus. Nur 53 Prozent der Menschen sind geimpft und der Traum von der Herdenimmunität schwindet dahin. Immer mehr Firmen und Büros schicken inzwischen ungeimpfte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Hause, teilweise oder vollständig. Anders läuft das in der Woiwodschaft Westpommern. Der zuständige Marschall, Olgierd Geblewicz, hat sich für eine unorthodoxe Lösung entschlossen: Homeoffice ausschließlich für Geimpfte.
Seit dem 22. November können alle seine über 800 Beamtinnen und Beamten, die um ihre Gesundheit besorgt sind, von zu Hause aus arbeiten. Dazu müssen sie jedoch nachweisen, dass sie geimpft sind. Es gibt keinen Zwang, die Heimarbeit ist eine freiwillige Entscheidung.
Homeoffice als Belohnung
Olgierd Geblewicz erklärt: "Unsere Lösung ist nicht restriktiv. Sie beruht auf Logik. Menschen, die sich nicht impfen lassen, ohne dass eindeutige medizinische Gründe gegen die Impfung vorliegen, nehmen das Infektionsrisiko nicht ernst. Fernarbeit ist für sie eine sinnlose Lösung." Er hält Homeoffice für eine Art Belohnung und hofft, dass seine Idee Ungeimpfte zusätzlich motiviert.
Trotz der erschreckenden Zahlen unternimmt die polnische Regierung wenig, um die vierte Welle zu stoppen. Während die meisten Länder in Europa zu harten Maßnahmen inklusive Lockdown greifen, werden in Polen nur zusätzliche Covid-Betten geschaffen – auf Kosten von Patientinnen und Patienten mit anderen Erkrankungen. Aber wo das medizinische Personal herbeizaubern? Eine Antwort bleibt aus. Der stellvertretende Gesundheitsminister Waldemar Kraska kann zumindest die Frage beantworten, warum Polen nicht wie die Nachbarländer handelt:
Wir sind kulturell anders veranlagt, wir haben den Widerstand seit vielen Jahren in unseren Genen.
Kuriose Idee mit ernstem Hintergrund
Heimarbeit für Geimpfte mag vielleicht lustig klingen, aber es steckt ein wirkliches Drama dahinter. Denn selbst die an Fahrt aufnehmende vierte Welle und der anstehende Kollaps des Gesundheitssystems sind für die Regierung kein hinreichender Anlass, die Corona-Regeln zu verschärfen. Und selbst die bereits bestehenden Maßnahmen – wie etwa die Masken- und Distanzpflicht im öffentlichen Raum – werden so gut wie gar nicht überprüft.
Die regierende Partei PiS zögert mit Entscheidungen, um dem Zorn der Impfgegnerinnen und -gegner zu entkommen, die sie zum großen Teil wählen. Dabei fordern die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber seit Langem das Recht darauf überprüfen zu dürfen, ob ihre Angestellten geimpft sind, um die Arbeit effizient zu organiseren und ein Mindestmaß an gesundheitlicher Sicherheit zu gewährleisten. Die Regierung hatte ein solches Gesetz schon im Juli 2021 angekündigt.
Wir haben keine Wahl – wir müssen die Verantwortungsbewussten selbst schützen.
Marschall Geblewicz erklärt: "Leider hat die Regierung im Kampf gegen die Pandemie kapituliert, um die Impfgegner in unverantwortlicher Weise zufriedenzustellen. Sie schafft keine Anreize für Impfungen. Sie schützt verantwortungsbewusste Menschen nicht, die sich impfen lassen. Und sie gibt den Arbeitgebern keine Instrumente an die Hand, um die Arbeit so zu organisieren, dass Infektionen und Quarantänen Unternehmen und Institutionen nicht lahmlegen. Wir haben keine Wahl – wir müssen die Verantwortungsbewussten selbst schützen."
Vereinigte Rechte uneinig
Die PiS weiß sehr wohl, dass ein von vielen so bezeichnetes "Segregationsgesetz" in bestimmten Kreisen Proteste auslösen würde. Die Stimmung in der Regierungspartei ist mies, man spricht von einer ernsthaften Spaltung. Fast 20 Mitglieder der PiS-Parlamentsfraktion erklärten, dass sie ein solches Gesetz nicht unterstützen werden, andere sind zwischen Parteitreue und sozialem Verantwortungsgefühl hin- und hergerissen.
Die Regierung will nicht allein die Verantwortung für ein Gesetzesvorhaben übernehmen und sich die politischen Kosten mit der Opposition zumindest teilen. Zum ersten Mal seit sechs Jahren wird deshalb nun zu Konsultationen geladen, um eine überparteiliche Lösung zu finden.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | 21. November 2021 | 19:00 Uhr