Streit mit Belarus Lukaschenko fordert von der EU Aufnahme Tausender Migranten
Hauptinhalt
22. November 2021, 18:01 Uhr
Wie geht es weiter mit den Migranten in Belarus? Lukaschenko will einen Teil von ihnen nach Deutschland schicken. Berlin weist das zurück. Die EU sondiert mit Minsk mögliche Rückführungen. Derweil wächst die Sorge vor einem Corona-Ausbruch in einer Notunterkunft. Oppositionsführerin Tichanowskaja kritisiert die EU für ihre diplomatischen Gespräche mit Belarus.
- Nach den Gesprächen zwischen Lukaschenko und Merkel kommen Widersprüche auf: Lukaschenko sieht darin ein Bekenntnis von Deutschland und der EU, Tausende Migranten aufzunehmen – Merkel dementiert das.
- 2.000 Migranten harren an der polnisch-belarussischen Grenze unter widrigen Bedingungen in einer provisorischen Unterkunft auf – die WHO warnt vor einem Corona-Ausbruch in dem Lager.
- Gleichzeitig kritisiert die belarussische Oppositionsführerin Tichanowskaja die EU für die Gespräche mit Belarus und fordert einen Kontaktabbruch, bis sich die politische Situation in ihrem Land verbessert.
Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat Deutschland und die EU aufgefordert, Tausende Migranten an der polnisch-belarussischen Grenze aufzunehmen. "Ich warte auf die Antwort der EU auf die Frage nach den 2.000 Flüchtlingen", sagte er am Montag in Minsk. Er habe die EU und insbesondere Deutschland gebeten, diese Menschen "uns abzunehmen".
Lukaschenko und Merkel legen Gespräche unterschiedlich aus
Lukaschenko betonte einmal mehr, dass er die Migranten nicht an einer Weiterreise in die EU hindern werde: "Sie wollen nach Deutschland – und wir werden versuchen, ihnen auf jede erdenkliche Weise zu helfen. Wir müssen von den Deutschen verlangen, diese Leute aufzunehmen."
Lukaschenko hatte in der vergangenen Woche zweimal mit Kanzlerin Angela Merkel telefoniert. Danach behauptete er, die CDU-Politikerin wolle sich für einen "humanitären Korridor" für 2.000 Migranten vor allem nach Deutschland einsetzen. Die Meldung über eine derartige Vereinbarung mit Belarus sei falsch, hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer gesagt.
Merkel machte Anfang der Woche noch einmal deutlich, dass die Lage in Belarus europäisch zu lösen sei. Es gehe nicht um ein bilaterales deutsch-belarussisches Problem. Es sei gut, dass das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen nun vor Ort tätig werden könne. Die EU sondierte mit dem belarussischen Außenministerium zu einer möglichen Rückführung.
Lage an polnisch-belarussischer Grenze immer dramatischer
Unklar ist weiterhin, wie es mit den 2.000 Menschen weitergeht, die in einer Lagerhalle in Brusgi an der Nähe der Grenze zu Polen untergekommen sind. Die Sorge vor einem Corona-Ausbruch in der provisorischen Schlafstätte ist groß. Ein Team der Weltgesundheitsorganisation ist derzeit in Belarus. WHO-Regionaldirektor Hans Kluge besuchte am Montag die Unterkunft und sicherte Medikamente und Hilfsgüter etwa zur Behandlung chronischer Krankheiten zu.
Seit Wochen halten sich in Belarus Tausende Migranten auf, um über das Land in die EU zu gelangen. Polen und die baltischen Länder sichern die EU-Außengrenze, weshalb viele Menschen in dem Land festsitzen. Die Europäische Union beschuldigt Lukaschenko, in organisierter Form Migranten aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze gebracht zu haben, um Druck auf den Westen auszuüben.
Die Menschen aus dem Irak, aus Syrien und Afghanistan sind mit Touristenvisa in Belarus eingereist. Am vergangenen Donnerstag waren bereits Hunderte Menschen mit einem Sonderflug zurück in den Irak geflogen worden. Lukaschenko zufolge bereitet sein Land einen weiteren solchen Flug für Migranten in ihre Heimat vor. Polen wollte für eine Rückführung finanziell aufkommen.
Tichanowskaja kritisiert Kontakt zwischen Belarus und EU
Die im Exil lebende belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja hat derweil die EU-Regierungen aufgerufen, "von jeglichen Kontakten" mit Lukaschenko abzusehen. Die belarussische Führung müsse zunächst wichtige Forderungen der Opposition erfüllen, bevor ein "echter Dialog" stattfinden könne, sagte sie bei einer Pressekonferenz in Wien am Montag.
Sie kritisierte auch die Telefonate, die Bundeskanzlerin Angela Merkel in der vergangenen Woche wegen der Flüchtlingskrise mit Lukaschenko führte. "Ich verstehe, warum man das getan hat", sagte Tichanowskaja zu den Telefongesprächen. Es gehe darum, die Situation an den Grenzen zur EU zu deeskalieren. "Aber als Belarussin und aus der Sicht des belarussischen Volkes sah das sehr seltsam aus."
Lukaschenko müsse zunächst alle politischen Gefangenen freilassen und die Gewalt gegen Opposition und Demonstranten beenden. Sie habe die EU-Außenminister gebeten, "von jeglichen Kontakten mit dem Regime abzusehen, bis diese Bedingungen erfüllt sind", sagte Tichanowskaja. Sonst würde "nur das Gefühl von Straflosigkeit" für Lukaschenko "verstärkt". Sie bezeichnete Sanktionen und die Unterstützung der Zivilgesellschaft als den einzigen Weg nach vorn.
Quellen: dpa, AFP (lvr)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 22. November 2021 | 15:00 Uhr