Covid-19 Polen: Hass und Gewalt gegen Impfpersonal
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14. August 2021, 04:33 Uhr
Wer in Polen gegen Covid-19 impft oder sich impfen lässt, lebt gefährlich. Immer öfter greifen militante Impfkritiker Impfzentren an – legen Feuer und verprügeln Menschen. Die Regierung zögert mit Gegenmaßnahmen.
"Wer zum Teufel bist du, du Lump, komm her!" - beschimpften Ende Juli aggressive Impfgegner das Sicherheitspersonal der Impfstelle in Grodzisk Mazowiecki, als sie dort einzudringen versuchten. Sie umzingelten einen Krankenwagen und drohten den Sanitätern, sie zu töten. Es kam zu Gewalttaten gegen Angestellte, ein Wachbeamter wurde verprügelt. Die Polizei nahm zwei Personen fest. Das war bei weitem kein Einzelfall. In Posen stürmte eine aggressive Gruppe einen Picknickplatz für Familien und schwangere Frauen, die sich dort impfen lassen wollten. Schließlich wurden in Zamość eine Impfstelle und das Sanitätsamt in Brand gesetzt. Nach dem Täter, den zahlreiche Überwachungsaufnahmen gefilmt haben, wird bis heute gefahndet. Und in Aleksandrów Kujawski griffen Uniformierte Impfgegner ein Waisenhaus an, bedrohten dessen Leiterin und warfen ihr "illegale Experimente an Kindern" vor. Wie sich herausstellte, gehören die Angreifer einer rechtsextremen und antisemitischen Gruppierung an - der "Bydgoszczer Kameradschaft der Landsleute" (polnisch: Bydgoskie Kamractwo Rodaków).
Impfgegner vor allem aus dem rechten Lager
Die Impfgegner sind zwar nicht zahlreich, dafür aber laut und aggressiv. Und offenbar sprechen sie viele Bürger an. Zu ihren Anführern gehört die Chefin des STOP NOP-Vereins Justyna Socha, die seit Jahren Politikern der populistischen und eurokritischen Parteien Konferderacja und Kukiz15 nahe steht und schon 2018 ein Gesetz zur Aufhebung der obligatorischen Kinderimpfungen durchsetzen wollte. Nun wirbt sie im Internet für die Schaffung einer Widerstandsbewegung gegen Covid-Beschränkungen und nimmt persönlich an den "Interventionen" teil.
Überraschend viele Gruppen von Impfgegnern sind Nationalisten paramilitärischer Art. Meistens treten sie in Uniformen auf, was zur Verwirrung führt, weil die Betroffenen sie oft für Mitglieder der regulären Armee halten. Die "Polnischen Gelbwesten" leiten ihren Namen von den Gelbwestenprotesten 2018 in Frankreich ab. Manche ihrer Mitglieder gehören rechtsextremen Organisationen an, die ihre Sympathie für Russland nicht verbergen. Sie waren an dem Vorfall in Grodzisk und an einem verbalen Angriff auf den Gesundheitsminister Niedzielski vor seinem Privathaus beteiligt. Seit diesem Vorfall im Mai 2021 steht der Minister unter permanentem Schutz. Die Täter sind längst identifiziert, aber nach wie vor auf freiem Fuß.
Die polnische Regierung versucht den Spagat
Nach der Brandstiftung in Zamość zeigte sich die Regierung empört: Premierminister Mateusz Morawiecki kündigte an, dass die Polizei "bei solchen Handlungen streng vorgehen" würde, während der Gesundheitsminister die Vorfälle als "anti-staaliche Terrorakte" bezeichnete und eine weitgehende Überwachung der Impfgegner im Internet ansagte. Jedoch tut sich in der Regierung bislang wenig, um diesem gefährlichen Trend wirkungsvoll zu begegnen.
"Die Täter wurden nicht ermittelt" - ist einer der häufigsten Sätze, die Ärzte und Künstler, die Impfungen befürworten, zu hören bekommen. Viele von ihnen erhalten seit Monaten Drohungen und vulgäre Nachrichten von Impfgegnern. Doch es mangelte bisher an Reaktionen und konkreten Maßnahmen der Polizei und der Staatsanwaltschaft.
Politiker der Regierungspartei, angeführt vom Staatspräsidenten, haben die Attacken der Impfgegner nicht nur monatelang geduldet, sondern auch selbst den Sinn der Impfungen mehr als einmal in Frage gestellt und die Covid-Regeln öffentlich missachtet. Darüberhinaus hat die PiS auch Corona-Skeptiker in ihren eigenen Reihen, wie die Abgeordneten Anna Maria Siarkowska und Janusz Kowalski, die gegen eine "zwangsmäßige Impfung von Kindern" eifrig interveniert haben, was vom Regierungslager nun als Sabotage bezeichnet wird.
Der Impfmotor in Polen stottert
Obwohl das polnische Impfprogramm zunächst gut anlief, ist die Impfquote im Lande bislang eher niedrig. Bis zum 5. August waren 48,92 Prozent der Bevölkerung geimpft - ein Ergebnis, das fast zwölf Prozentpunkte unter dem EU-Durchschnitt von 60,63 Prozent liegt. Am wenigsten geimpft ist die Bevölkerung gerade in den traditionellen PiS-Bastionen - im Osten und Süden des Landes. Es fehlte an Überzeugungsarbeit, wohl aus Angst, die Wählerstimmen zu verlieren. Zudem sind PiS-Anhänger häufig sehr gläubig und die Kirche hat sich von der Impfaktion im Grunde distanziert.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 04. Mai 2021 | 19:30 Uhr