Ostern Polen: Volle Kirchen, volle Krankenhäuser
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31. März 2021, 19:02 Uhr
Polen befindet sich zurzeit mitten in der dritten Corona-Welle. Das Land verzeichnet täglich teils mehr als 30.000 Neuinfektionen. Die Kirchen aber bleiben offen und es kommt regelmäßig zu Verstößen gegen die Corona-Regeln. Experten halten das gerade zu Ostern für unverantwortlich.
Die dritte Corona-Welle trifft Polen mit voller Wucht: Viele polnische Krankenhäuser befinden sich an ihrer Belastungsgrenze. In einigen Regionen fehlt es bereits an Beatmungsgeräten. Polens nationalkonservative Regierungspartei PiS hat daher einen neuen verschärften Lockdown für das ganze Land beschlossen: Friseure, Baumärkte und Kindergärten müssen ihre Arbeit wieder einstellen. Einkaufszentren, Schulen, Museen und Kinos waren bereits seit Tagen geschlossen.
Die Kirchen sind davon jedoch nicht betroffen. Sie sollen auch über Ostern geöffnet bleiben und im ganzen Land sollen Ostergottesdienste stattfinden. Noch vor einem Jahr waren zu den Osterfeierlichkeiten maximal fünf Personen in einer Kirche zugelassen und das bei deutlich geringeren Fallzahlen als heute.
Ärzte kritisieren die Regierung
Experten finden die Entscheidung der Regierung, Ostergottesdienste stattfinden zu lassen, fatal. Der polnische Arzt und Covid-Experte Paweł Grzesiowski sagte dem Online-Portal Onet, dass er die Entscheidungen über Öffnungen und Schließungen für willkürlich halte. Er sehe keinen Grund, warum beispielsweise Einkaufszentren und Kinos geschlossen seien, Kirchen jedoch nicht. Grzesiowski vermutet, dass das Gesundheitsministerium auf eine Schließung der Kirchen verzichte, weil es viele Polen aufregen könnte. Die Mehrheit der Polen ist katholisch und gerade zu Festen wie Ostern ist der Gang in die Kirche für die Mehrheit eine nicht wegzudenkende Tradition.
PiS versucht zu beruhigen
Der Gesundheitsminister der regierenden PiS-Partei, Adam Niedzielski, begründete die Öffnung der Kirchen damit, dass für sie dieselben Regelungen gelten würden wie für geöffnete Geschäfte: pro 15 Quadratmeter nur eine Person. Der Minister traf sich zu Verhandlungen mit Vertretern der katholischen Kirche, es blieb jedoch hauptsächlich bei Appellen an die Einhaltung der geltenden Regeln. Lediglich die Quadratmeter-Regelung wurde geringfügig angepasst: Pro Person müssen es nun über Ostern 20 Quadratmeter sein.
Von einer Ungleichbehandlung könnte laut Gesundheitsministerium keine Rede sein: "Wir behandeln alle gleich und jeder hat die Verpflichtung, die Regeln zu befolgen, die für das ganze Land gelten." Wer die Einhaltung der Regeln in den Kirchen systematisch kontrollieren und durchsetzen soll, ist jedoch fraglich. Der Generalinspektor und Hauptkommandant der Polizei, Jarosław Szymczyk, sagte dazu auf einer Pressekonferenz: "Wir sind es nicht gewohnt, vorläufige Kontrollen in Kirchen durchzuführen, solche Kontrollen gab es noch nie. Als Polizei zählen wir vor allem auf die Verantwortung der Priester und der Gläubigen." Man werde notfalls einschreiten, wenn man Hinweise auf Verstöße erhalten würde. Auch der Gesundheitsminister Niedzielski geht davon aus, dass die Kirchen die Regeln einhalten werden: "So wie das mit aller Entschiedenheit in den Geschäften befolgt und überprüft wird, werden wir es auch im Fall der Kirchen überprüfen."
Realität sieht oft anders aus
Doch ob die Kirchen die geltenden Schutzmaßnahmen wirklich so gewissenhaft einhalten, daran gibt es erhebliche Zweifel. Die Fälle, in denen sich Kirchen nicht an die Corona-Regeln halten, häufen sich. Am Palmsonntag zeigte sich, wie unterschiedlich die geltenden Gesetze in den jeweiligen Gemeinden ausgelegt werden. Während in der Kathedrale von Breslau ein Personenzähler am Eingang der Kirche stand und den Einlass rigoros kontrollierte, sah es in einer Kirche in Łódź ganz anders aus: Obwohl eigentlich nur 40 Leute zum Gottesdienst zugelassen wären, gewährte man 75 Personen Einlass, wie der Sender TVN berichtete.
Auch die Bräuche in der katholischen Kirche tragen zu einem hohen Infektionsrisiko bei: In vielen Fällen wird die Kommunion nicht in die Hand, sondern direkt in den Mund gegeben. Dieses Ritual wird in vielen Gemeinden auch zu Zeiten von Corona weiter ausgeübt.
Selbst PiS-Politiker wie Stanisław Karczewski stehen der Kirchenöffnung zu Ostern deshalb kritisch gegenüber. Er sagte dem Fernsehsender TVN, dass er aus seinen eigenen Erfahrungen seines letzten Gottesdienstbesuches weiß, dass die Regeln häufig missachtet werden. Die Leute würden beispielsweise keine Masken tragen und um ihn herum wurde ununterbrochen gehustet. Er habe die Messe aus diesem Grund sogar verlassen wollen. Momentan gehe er selbst daher nicht mehr in die Kirche, denn beten sei schließlich von überall aus möglich.
Gläubiger meldet Verstöße und wird zur Zielscheibe
Anfang März sorgte ein Fall in der Kirche von Czudec im Südosten Polens landesweit für Aufsehen: Ein Kirchgänger bemerkte, dass in der Kirche die zulässigen Personenzahlen nicht eingehalten wurden. Er suchte daraufhin das Gespräch mit dem zuständigen Pfarrer. Weil dies jedoch nichts brachte und der Pfarrer keinerlei Handlungsbedarf sah, meldete er den Fall der Polizei. Die intervenierte daraufhin mehrere Male in der Kirche und stellte Verstöße gegen die Corona-Vorschriften fest.
Der Mann, der den Verstoß gemeldet hatte, wurde daraufhin von der zuständigen Kurie aufgefordert, sein "verwerfliches Verhalten" zu revidieren und zum Gespräch einbestellt. Wenn er dem nicht nachkomme, werde sein Verhalten als Ausdruck des Ungehorsams gewertet und es werde "kanonische Konsequenzen" haben. Der Mann wurde auch von anderen Mitgliedern der Gemeinde bedroht und kurze Zeit später tauchten im Dorf Plakate mit einem Bild von ihm und beleidigenden Texten auf. Die Bewertung der Kirche sank bei Google nach diesem Vorfall auf 1,9 Sterne.
Mehrheit für Schließung der Kirchen
Die katholische Kirche hat sich bisher ihre Sonderrolle in der Liste der nicht geschlossenen Örtlichkeiten bewahren können. Dabei wäre eine Mehrheit der Polen sogar dafür, die Kirchen zu schließen. Einer Umfrage des Instituts United Surveys für das Magazin Wprost zufolge, gaben mehr als 50 Prozent der Befragten an, dass die Kirchen geschlossen werden sollten. 45 Prozent plädierten dafür, sie offen zu halten. Die Umfrage macht die Spaltung zwischen Stadt und Land deutlich: Denn während konservative Wähler aus kleineren Städten eher dafür waren, die Kirchen offen zu halten, wollten vor allem Bewohner aus den Großstädten und Wähler der Opposition, dass sie geschlossen werden.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSENSPIEGEL | 21. März 2021 | 19:00 Uhr